: llegale K Klampfenklänge
Berliner und Berlin-Besucher kennen, schätzen oder fürchten sie:
Die Gitarren- und Sangeskünstler, die zwischen zwei U-Bahnstationen in den Waggons ihre mehr oder weniger virtuose Kunst zum besten geben. Doch die Verkehrsbetriebe sehen solch musikalischen Wildwuchs gar nicht gern.
CHRISTINE BERGER, passionierte U-Bahnfahrerin, setzte sich auf die Spur der unliebsamen Musiker.
eit einer geschlagenen Stunde bin ich nun schon im Berliner Untergrund unterwegs, quetsche mich in überfüllte U-Bahnwaggons, biete alten Mütterchen meine hart erkämpften Sitzplätze an und bin ansonsten auf der musikalischen Pirsch. Noch ist mir nicht eine Gitarrensaite ins Blickfeld geraten, keine Stimme hat sich über den mürrischen Gesichtern der Zwangsgesellschaft im Nahverkehr zum Folkchoral erhoben. Die U-Bahnmusiker scheinen wie vom Tunneldunkel verschluckt. Nicht einmal der japanische Geigenvirtuose, der schon seit Monaten im zugigen Durchgangsflur unter dem Fehrbelliner Platz die Stellung hält, ist an seinem Platz. Und auch die Bob- Dylan-Kopie im U-Bahnhof Möckernbrücke schiebt mir heute nicht den Schlapphut vor die Füße, um mich zum Entsorgen meines Kleingelds zu bewegen. So ein Samstagnachmittag scheint für Musiker im Schienennetz der Berliner Verkehrsbetriebe nicht sonderlich rentabel zu sein.
Und dabei wimmelt es ansonsten von Gitarristen, Puppenspielern und SS
olosängern auf allen U-Bahnlinien. Schon Montagmorgens, wenn sich müde Büroangestellte hinter ihrer Zeitung vergraben und ihre Sitznachbarn am liebsten zum Teufel schicken würden, springen garantiert zwei energiegeladene Klampfenkundige auf halber Strecke in den Waggon, versperren den Ausgang und gröhlen mit sichtlichem Enthusiasmus: „If I had a hammer, a hammer in the morning“. Wohlwollend bis entnervt gucken die solcherart mit dem Notensammelsurium des Quintenzirkels konfrontierten Fahrgäste von ihrem Lesestoff hoch. Die Musiker sind mehr oder weniger willkommene Abwechslung zum tagtäglichen Rap der Bahnhofsvorsteher, der sich im „nach blabla, bitte zurückbleiben, zuuuurückbleiben“ ergießt.
Und nicht nur besagte Zugabfertiger sind unmusikalisch. Noch bis vor gar nicht so langer Zeit wurde jeder Mobilvirtuose, der sich in den Untergrund verirrt hatte, brutal aus dem Bahnhof geschmissen. Dies sei BVG- Gelände und das kommerzielle Musizieren nicht gestattet, hieß die Pauschalbegründung. Von Weltstadtargumenten und Vergleichen mit Paris oder London, wo U-Bahnmusik so selbstverständlich ist, daß kein Verwaltungsauge sich darüber mokiert, wollten die U-Bahnchefs an der Spree nichts wissen.
Erst zum 750.Geburtstag der Stadt ließen sich die preußischen Beförderungsbeamten erweichen. Seit 1987 dürfen Musiker in Durch-, Auf- und Abgängen die Stellung halten und der vorbeihastenden Meute aufspielen. Natürlich nur mit amtlichem Segen, in diesem Fall ein Berechtigungsschein, der jeden Freitag gegen eine Gebühr von zehn Mark bei der BVG erhältlich ist. Zeit und Ort des Musizierenden werden akribisch notiert und von den U-Bahnbeamten regelmäßig überprüft. Wer ohne Schein erwischt wird, bekommt wie eh und je ein deftiges Hausverbot. Erst recht verboten ist nach wie vor auch das Musizieren in den Waggons, auch wenn sich immer weniger Musiker daran halten. Das hat sich nicht zuletzt durch den Mauerfall geändert. Seit durch die offenen Grenzen die U-Bahnhöfe hoffnungslos überfüllt sind, scheinen die U-Bahnmusiker jetzt das kleinere Übel zu sein. Sie werden schlichtweg geduldet. Und das hat sich weltweit in Windeseile herumgesprochen. Jeder Besitzer einer Gitarre zwischen Sidney und San Francisco hat sich offensichtlich innerhalb der letzten zwölf Monate zumindest einmal in der Berliner U-Bahn wiedergefunden, um dem multikulturellen Passagiermix musikalisch einzuheizen. Zumindest einmal pro Tag treffen passionierte U-Bahnbenutzer auf Carlos und Juan inklusive ihrer heimatlichen Klänge oder auf irgendeinen Bob aus besagtem Sidney, der zwischen den Sitzreihen alte Beatlessongs aus der Gitarre schüttelt. Die große Mehrheit der musikalischen Globetrotter kommt aus Lateinamerika und ist entweder Student oder einfach nur so auf Europatrip. „Damit läßt sich ganz gut die Urlaubskasse füllen“, verriet ein junger Peruaner, der mir an einem Nachmittag gleich zweimal in der U-Bahn über den Weg lief. „Du mußt gar nicht besonders gut spielen können, immer schön glatt und ohne Fehler“, erklärte er. Die meisten Leute würden sowieso nicht auf musikalische Qualität achten. „Entweder die geben was, weil sie's immer tun, oder überhaupt nie“. Bis zu fünfzig Mark ließe sich stündlich schon verdienen. „Am besten läuft's am Wochenende oder abends, wenn die Leute aus der Kneipe oder vom Kino kommen“, so seine Erfahrung.
Ähnliches hatte mir auch ein Freund erzählt, der, kaum daß er ein paar Töne aus seinem Saxophon hervorlocken konnte, im U-Bahnhof Schloßstraße aufspielte. „Wenn du im Gang spielst, gibt's nur Laufkundschaft. Die merken gar nicht, was du spielst. Nur stehenbleiben darf keiner“, so seine Devise. Straßen- und U-Bahnmusiker würden sich darin in nichts unterscheiden. Die Klanginszenierer also ein haufen Anfänger, die eine schnelle Mark verdienen wollen?
Das mag vielleicht Wasser auf den Mühlen so mancher gestörter U-Bahngäste sein. Die solcherart entlarvten Musiker hingegen sind empört. „Natürlich gibt es immer schwarze Schafe, die zugekifft im Waggon rumgrölen“, mokiert sich Musiker Mark über seine Kollegen im Untergrund. Er studiert Musik mit Trompete und Klarinette an der Hochschule der Künste und ist einer der seltenen Ur-Berliner, die es auch des öfteren mit dem schnellen Geld auf den Linien 1 bis 9 probieren. Doch Mark weiß tatsächlich, wie er sein Publikum auf seine Seite bringt. Als er einmal zwischen Bahnhof Zoo und Wittenbergplatz mit seiner Klarinette den Leuten den alten Bach näherbringt, sind sogar einige Beifallsklatscher zu hören. Dementsprechend großzügig fällt auch die Spende in den Hut des Musikus' aus. „Für mich ist das einfach 'ne gute Übung, weil die Nachbarn zu Hause schon ganz entnervt sind. Hier hören die Leute wenigstens zu“, meint Mark. Drei bis vier Stunden sei er täglich unterwegs, „aber nie während der Rush-hour“. Dann sind die U-Bahnen dermaßen dicht, daß seine Klarinette statt Tönen nur noch Quetschungen davontragen würde. „Und dann hört der Spaß auf“, weiß der blonde Bläser. Der hört seiner Ansicht nach aber auch noch ganz woanders auf. „Wenn sich nämlich diverse Musiker untereinander aus den Waggons jagen wollen, weil das Geschäft nicht für alle reicht.“ Das sei alles schon vorgekommen und noch längst nicht ausgereizt. „Immer mehr Musiker heißt eben immer weniger Geld. Und das Wenige will sich eben jeder unter den Nagel reißen. Ist doch logisch, oder?“, erklärt Mark das Einmaleins der musikalischen Marktwirtschaft.
Der Samstagnachmittag scheint da noch unerforschtes Gebiet zu sein: Erst nach sensationellen 90 Minuten stellt sich ein Klampfenduo in meinem Waggon ein. Sie singen irgendein spanisches Volkslied und heißen für jeden, der fragt, Juan und Carlos.
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