: Die Maßnahme
Zum zwanzigsten Mal: Das Festival des sowjetischen Films in Berlin (Ost) ■ Von Dietmar Hochmuth
Neunzehn Jahre lang war das traditionelle „Festival des sowjetischen Films“ in der DDR ein Wetterhahn, der für den trainierten Zwischen-den-Zeilen- Leser ziemlich sensibel den aktuellen Stand ihrer Kultur-, Innen- und Außenpolitik anzeigte. Jedes Jahr im November gab es diese Filmwoche, und die „Maßnahme“ lief geregelt, wie alles, „über die Bühne“: Ankunft der Delegation, Pressekonferenz, Empfang beim Kulturminister, logistisch durchorganisierte Zuschauergespräche, Weiterfahrt in die Bezirke... Davor hatten die Gäste immer Angst, weil sie, aus eigener Erfahrung klug, jenseits der Hauptstadt das Ende der Welt vermuteten, zumindest, was das noch rechtzeitige Eindecken mit Winterstiefeln anlangte. So war die DDR eine Zeit lang durchaus das Shopping-Eldorado für sowjetische Filmleute, und diesem Sog schienen nicht wenige sowjetische Filme geschuldet, die bei der DEFA — ob in Koproduktion oder als Dienstleistung — entstanden. Bis für sie, eher als für ihre Gastgeber, der eiserne Vorhang riß, es seit Klimow eigentlich nur noch wennschon — dennschon „über den Teich“ ging. Und just von dem Tag an konnte sich „Progress“, der Veranstalter, einiger lukrativer Gäste seines Festivals nicht mehr sicher sein. Dafür wurden die Filme lukrativer und riefen die Vorsortierer in ZK und Hauptverwaltung auf den Plan, bis es vor zwei Jahren zu einem Eklat kam.
Ich erinnere mich genau: Wir gingen damals ahnungslos, wie immer erst nach der Rede, zu jenem Pressegespräch, um die Gästeliste zu erfahren, denn es waren mit Kommissarin, Thema, Der kalte Sommer '53und Und morgen war Krieg Filme angesagt, die nicht so ganz in das traditionelle Revolutionsfeier-Ritual vergangener Jahre paßten, zu dem ins „Kosmos“-Kino immer Zuschauerreserven aus dem MfS-Wachregiment „Felix Dzierzinsky“ und dem Feierabendheim „Richard Sorge“ (gleich um die Ecke) zum Auffüllen des Parketts getrommelt wurden — doch über dem ungebrochen üppigen kalten Buffet wollte diesmal keine rechte Stimmung aufkommen. Statt dessen lange Gesichter und endlich die vertrauliche Erklärung hinter vorgehaltener Hand: „Sie“ haben sich alle Filme kommen lassen und drin rumgeschnitten. Prost Mahlzeit!
Der Eröffnungsfilm wurde gekippt, angeblich auf sowjetischen Wunsch — diese Begründung hatte 1988 bereits die längste Zeit funktioniert, aber bald kam es noch dicker: Die meisten Filme wurden aus dem Programm genommen, nun ohne jede Erklärung. Ich rief in einem Kino an und bekam mit „Wir wissen auch nichts — Anweisung von oben!“ eine Auskunft wie vom Band. Leute, die in ganz und gar nicht traditionellen Scharen gekommen waren und die Kommissarin sehen wollten, wurden mit Ersatz versorgt, ausgerechnet mit meinem Film In einem Atem, und verließen — wer wollte es ihnen verdenken! — wütend das Kino.
„Sie haben die Filme kommen lassen, das war einen Handhabung, die Stalin eingeführt hatte, der ließ sich meist nach Mitternacht und völlig unangemeldet neue Filme, in Abwesenheit der Macher, versteht sich, zur Freugabe in den Kreml kommen. Einmal wurde Eisensteins Alexander Newski herbeizitiert und vor lauter Aufregung nicht komplett verladen — eine denkbar harmlose Rolle Film war zufällig liegengeblieben. Stalin segnete den Film ab, natürlich ohne die eine Rolle, und die blieb dann auch „draußen“, denn keiner wagte sie hinzuzufügen — erst nach '56 kam sie wieder „rein“. Denn der Oberverwalter über die Realität hatte seine Hand nicht nur auf derselben, sondern freilich auch auf jeder Art von Abbild, und wehe, da lief etwas ohne sein Wissen oder Zutun.
Damals, 1988, hatte sich, wie es hieß, „Margot“ die Filme kommen lassen, und die Welt stand Kopf: Es war ohnehin dicke Luft, der 'Sputnik‘ war erst gerügt, dann verboten worden, die Reue in 'ND‘ und 'Junge Welt‘ bereits „gehörig“ abgebürstet, die Berichterstattung über das Festival untersagt, und selbst Horst Knietzsch vom 'Neuen Deutschland‘ lief kopflos mit einem, heute würde man wahrscheinlich sagen: Verbotstext durch eine Welt, die er nun auch nicht mehr verstand... Offizielle Verlautbarungen gab es keine.
Einen Monat später wurde ich mit meinem Film ins brüskierte Mutterland geschickt und konnte, wieder bei einem sauren Bankett in Moskau, dem damaligen Staatssekretär im Kulturministerium und späteren „Reformminister“ Dietmar Keller (heute MdB) natürlich nicht die gemeine Frage ersparen, was ich nun eigentlich sagen sollte, wenn man mich nach der offiziellen Version für die plötzliche Dosierung der sonst mit Holzlöffeln verabreichten deutsch-sowjetischen Freundschaft anspräche. Sie hatte mich, nebenbei bemerkt, selbst interessiert. Keller rang sichtlich mit dem gefürchteten Gesichtsverlust von Funktionären, die ja noch weiterkommen wollten, aber nicht ganz so weit weg vom Volk..., und stammelte etwas von Verständnis für „ihr“ hohes Alter, „ihre“ Herkunft aus dem Widerstand, schließlich landete er stromlinienförmig bei den Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Kristallnacht in diesen Tagen, das „man“ sich von den verständlicherweise etwas erhitzten Russen nicht durch die Gleichsetzung von Stalin und Hitler verderben ließe. (Tatsächlich: Wer erinnert sich nicht an Erich Honeckers Plaisier mit jüdischen Instanzen im In- und Ausland, an die Ordenausschüttungen von Fließband — es sollte immerhin auf nach Amerika gehen!)
So jedenfalls „gab es“ Keller „mir zu verstehen“ und wandte sich, wie man das halt macht, mit einem Sektglas in der Hand, unversehens einem anderen, interessanten Gesprächspartner zu. Bald darauf sackte alles wieder in die gewohnte Lethargie zurück, die Kritikerriege des Filmverbandes sträubte sich erfolgreich (gegen ein paar „taktisch Unkluge“, „Unbelehrbare“), eine Stellungnahme zur Reue-Schmähschrift öffentlich zu machen, und vom nächsten Moskauer Festival, im Sommer '89, wurde bereits mit Worten wie „Chaos“, „am Ende“, „Krise“ und „langweilig“ berichtet. Nun konnte mit dem Rückenwind des aktuellsten Antisowjetismus, gegen Gorbatschow, Glasnost und Perestroika, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Das bisher unter Naturschutz stehende Festival war zum Abschuß freigegeben — es bekam alle Attribute, die es alle Jahre zuvor, nur jetzt nicht mehr, verdient hätte. Das eigentliche Stichwort aber brachte der „Filmminister“ mit nach Hause: „Die reinste Konterrevolution!“ Überbracht hat es sein stets gesprächiger Vorführer, in dessen Saal ich (heimlich, versteht sich) die Muster von meinem letzten Film sehen durfte. Der Filmminister mußte gehen — die Kritiker blieben. Und reden nun, wie von einem Befehlsnotstand in den anderen getrieben, geradezu im Takt und mit dem alten Schaum vorm Maul von: Stalinismus, SED-Regime, Terror, totalitär, verlogen... Neulich habe ich mir den „Spaß“ gemacht und die Berichterstattung über die nun 20. Tage des Sowjetischen Films der „Progress Filmverleih GmbH“ im Berliner Rundfunk angehört. Träum' ich oder wach' ich? Die Stimme kommt einem bekannt vor, die schrulligen Sätze ebenso — es ist wie bei Doktor Murke... Da gibt es plötzlich so ein Genre wie „freiheitliche Poesie“ und natürlich das berühmte „schon immer“. Es scheint wunderbar leicht, zur neuen Tagesordnung überzugehen und „sich umzustellen“ — denn so nüchtern pragmatisch läßt sich die auf einmal nicht mehr gefürchtete Zauberformel Perestroika in der Verbform nämlich auch übersetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen