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Robert de Niro oder Heribert Faßbender!

■ Das Leben der Sportler nach dem Sport: Vom Medienstar zum Droschkenkutscher PRESS-SCHLAG

Guten Abend allerseits. Willkommen zum ersten Tag der Olympischen Spiele 2000 in Berlin. Endlich ist es soweit!“ Ein großer, breitschultriger Fernsehmann begrüßt mit smartem Lächeln die Zuschauer zur Eröffnungsfeier der teuersten und zugleich profitabelsten Spiele der Neuzeit. Sein Name: Christian Schenk. Der Zehnkampf-Olympiasieger von 1988 in Seoul beherrscht die Disziplinen des flimmernden Medienspiels perfekt. Aufgestiegen vom Praktikanten zum Starmoderator des Zweiten Gesamtdeutschen Fernsehens (ZGF), verkörpert er den Prototyp eines Sportjournalisten des 21. Jahrhunderts. Als Aktiver hatte er die Sportshow gelebt, bevor er die Medienshow zelebrieren lernte.

Vor zehn Jahren, im Vereinigungsjahr 1990, erkannte Schenk die Chance, durch den medialen Seitenwechsel seinen Marktwert mindestens zu erhalten. Die Reihe der Seitenwechsler ist lang: Pierre Littbarski, Norbert Dobeleit, Kristin Otto, Michael Groß oder Carlo Thränhardt. Sie alle folgten dem Rat ihres Vordenkers Boris Becker. Der Megastar der Tennisszene entwickelte in seiner intellektuellen Phase, in der er ein dreiteiliges 'Stern‘-Interview ohne Berater überstand, die beiden letzten Alternativen für alternde Sportheroen: Sportjournalist oder Taxifahrer!

Nur diese Berufe garantierten Popularität und gesichertes Einkommen auch nach dem Sport. Entweder wie einst Robert de Niro ein Taxi durch den Großstadtdschungel steuern oder wie Heribert Faßbender allsamstäglich das Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga anpreisen. Beinahe wäre Becker tatsächlich ins Taxigeschäft eingestiegen, die Lizenz für die „Lower East Side“ Berlins hatte er bereits in der Tasche. Aber dann brachte ihn die Liebe zur hübschesten Fernsehansagerin der ARD doch noch in die erste Reihe der Kommentatorenboxen am Rande der Tenniscourts dieser Welt.

Während Professoren und Gewerkschafter über die geregelte Ausbildung der (Sport-)Journalisten nachdachten, regelten die Protagonisten des Sports ihre Zukunft selbst. Studium, Ausbildung, Volontariat? Viel zu anstrengend! Nach jahrelangem Trainings-, Wettkampf und Medienstreß suchte und fand man den geraden Weg. Erstens: Ich will Sportjournalist werden! Zweitens: Ich mache es möglichst schnell publik. Und drittens: Ihr kennt mich. Ich kenne Euch. Wer will mich haben?

Nur ein Problem blieb ungelöst. Selbst Ex-Höchstspringer Carlo Thränhardt drückt in den Redaktionskonferenzen des 'Express‘ immer noch am liebsten seine alten Stories ins Blatt. Was bringt schon die ausgetretene Kiste von Olympia '36 gegen die wahre Freundschaft zwischen Boris und Carlo damals, bevor sie zerbrach? Ein Highlight hintergründiger Sportberichterstattung! Siebzehn Aufmacher bei 'Bild‘ und 'Express‘, dreiundvierzig Skandale und „letzte Wahrheiten“ schenkte die schönste Männerfreundschaft der Neunziger dem Publikum. Sie teilten alles: die Freunde, die Frauen und den letzten Drink an den Hotelbars zwischen Köln, Monaco und Miami Beach. Bevor der Streit über eine Taxirechnung von DM 37,25 ihre enge Beziehung zerstörte.

Übrigens. Gestern. Auf dem Weg zum Olympiastadion entdeckte ich am Steuer des Taxis neben mir eine alte Bekannte: Steffi Graf. Alternativen muß Mann/Frau eben haben. Ralf Scholt

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