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Vorboten eines Handelskrieges?

taz-Gatt-Serie, Teil 6: Die USA, Entwicklungsländer und die Cairnsgruppe der agrarexportierenden Länder reagieren gereizt auf das Scharmützel der EG-Agrarier/ US-Handelsbeauftragte: Abbau des Außenschutzes notwendig  ■ Aus Genf Andreas Zumach

„250 Millionen Amerikaner essen Fleisch aus unseren Schlachthöfen, ohne vergiftet zu werden. Für diese Maßnahmen der EG gibt es nicht die geringste Berechtigung und keinerlei wissenschaftliche Basis.“ Heftig reagierte Rufus Yerxa, der stellvertretende Handelsbeauftragte der US- Regierung diese Woche in Genf auf den jüngsten Nadelstich aus Brüssel. Im Gatt-Lenkungsausschuß (TNC), der offiziellen Runde der Delegationschefs der 107 Gatt-Mitgliedsländer, hatten die EG-Vertreter gerade offiziell das seit dem 1. November verhängte Importverbot für Schweinefleisch und den ab 1. Januar 1991 geltenden Einfuhrstopp für Rindfleisch aus US-Schlachthöfen zu Protokoll gegeben. Die dortigen Hygiene- und Veterinär-Kontrollen seien unzureichend und entsprächen nicht dem EG-Standard, lautet die Begründung aus Brüssel.

Die Revanche kam umgehend. Unterstützt von Kanada, Hongkong und Australien verweigerten die USA die von der EG erbetene formale Absegnung von Ausnahmeregelungen beim Handel zwischen der ehemaligen DDR und den Staaten Osteuropas. Diese Ausnahmen — Zollbefreiungen oder -reduzierungen für Waren, die auf der Basis bilateraler Verträge mit osteuropäischen Staaten eingeführt werden — werden bereits seit Beginn der deutschen Wirtschafts-und Währungsunion am 1. Juli praktiziert. Die EG möchte bis Ende 1992 weiter so verfahren, weil sie befürchtet, daß es sonst in den osteuropäischen Exportländern zu noch mehr Fabrikschließungen und Arbeitslosigkeit kommt.

Verstimmung über das EG-Angebot

Doch für die Abweichung von gültigen Gatt-Handelsregeln fehlte bislang noch die offizielle Genehmigung des TNC. Eigentlich eine Routineangelegenheit. Aber jetzt verlangen die USA und die anderen drei Staaten erst einmal ausführliche Konsultationen über diese Frage.

Die Stimmung unter den Genfer Gatt-Delegationen ist zunehmend frostig und gereizt. Wenn auch noch nicht offiziell, so doch unter der Hand wird in Genf auf allen Seiten eingeräumt, daß diese Scharmützel bereits Vorboten des Handelskrieges sind, der ausbrechen dürfte, wenn die Verhandlungen über ein neues Welthandelsabkommen endgültig scheitern sollten. Auf besondere Verstimmung nicht nur bei Amerikanern, sondern auch bei Ländern der Cairns-Gruppe oder Drittwelt-Staaten stößt, daß sich ausgerechnet die EG offensichtlich stark fühlt und entsprechend benimmt. Obwohl das am Dienstag nach dreiwöchiger Verzögerung endlich zustande gekommene EG-Angebot im Agrarbereich noch immer nicht im Wortlaut in Genf vorliegt, steht das Urteil bei den anderen Verhandlungsgruppen schon weitgehend fest: „Sehr enttäuschend“, „unzureichend“, „keine ernsthafte Verhandlungsbasis“ lauten übereinstimmend die Kommentare. Im Büro von Gatt-Generaldirektor Dunkel gibt man sich noch der Hoffnung hin, bei genauer Prüfung der Details des Angebots noch Verhandlungspielräume ausfindig machen zu können.

Sorgfältig werden in Genf derzeit die unterschiedlichen Nuancen registriert, mit denen sich in den letzten Tagen Vertreter der EG-Kommission, der deutsche, der britische oder französische Landwirtschaftsminister oder auch Bonns Wirtschaftsminister zu Endgültigkeit oder Flexibilität des EG-Angebots äußern. Es ist wird damit gerechnet, daß sich Brüssels Haltung eher noch verhärtet, wenn am Dienstag nächster Woche vor dem Gatt-Gebäude Tausende europäischer Bauern gegen eine Kürzung von Subventionen und Beihilfen demonstrieren werden. In der Schweizer Haupstadt Bern skandierten bereits am Freitag rund 8.000 Bauern: „Lieber geplatzte Gatt-Verträge, als eine tote Landschaft Schweiz“.

In Genf wird damit gerechnet, daß die Regelungen zur Einführung zusätzlicher Handelsbarrieren für bestimmte Produkte, durch die schließlich eine Zustimmung vor allem Frankreichs zu dem EG-Kompromiß vom vergangenen Dienstag ermöglicht wurde, die Verhandlungen eher noch zusätzlich erschweren werden. Der US- amerikanische Senator Lloyd Bentsen, demokratischer Kandidat für die Vizepäsidentschaft bei den Wahlen 1988, nannte das EG-Angebot in einer Rede in Genf wegen dieser Regelungen „völlig unakzeptabel“.

Der Senator aus dem wichtigen Agrarstaat Texas wies darauf hin, daß in die USA heute bereits 50 Prozent der landwirtschaftlichen Exporte aus Entwicklungsländern gingen, in die EG jedoch nur 30 und nach Japan nur acht Prozent. Nach Einschätzung von US-Agrarminister Clayton Jeutter ist der Fahrplan für die Gatt-Verhandlungen nicht einzuhalten. Er sehe keine Chancen, die Gespräche wie geplant im Dezember in Brüssel abzuschließen, erklärte der Minister in Washington.

Die Handelsbeauftragte der Bush- Administration, Clara Hills, erklärte, die USA bestünden darauf, daß nicht nur über eine Kürzung interner Agrarsubventionen sowie externer Beihilfen verhandelt wird, sondern auch über den Abbau von Handelsbarrieren. Diese hätten Kohl, Mitterand, Thatcher und Andreotti Bush beim „Weltwirtschaftsgipfel“ im Juli in Houston ausdrücklich „persönlich versprochen“.

Die Experten in Washington sind sich noch uneins, welche Konsequenzen ein Scheitern der Uruguay- Runde haben könnte. Während Clara Hills vor kurzem einen Erfolg als lebenswichtig bezeichnet hatte, spielten US-Wissenschaftler die Gatt- Frage eher herunter.Nach Ansicht von R. K. Morris, Direktor für internationalen Handel im nationalen Verband der verarbeitenden Industrie, betont die Bush-Regierung allzu sehr die Vorteile einer Reform und die Nachteile eines Scheiterns. „Wir glauben nicht, daß bei einem Scheitern die Welt untergeht“, meinte er.

Möglicherweise wird es am Rande der Gipfelkonferenz der 34 KSZE-Staaten vom 19. bis 21. November in Paris erneut zu Gesprächen der sieben wichtigsten Industriestaaten USA, Kanada, BRD, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan über den Stand der Gatt- Verhandlungen kommen. Am 23. November — so die ursprüngliche Zeitplanung — sollten in Genf alle Vereinbarungen auf dem Tisch liegen, um dann bis zur Ministerrunde Anfang Dezember in Brüssel in die verschiedenen Sprachen übersetzt zu werden.

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