piwik no script img

Noch 200.000 US-Soldaten zum Golf

Washington schafft die Voraussetzungen für eine militärische Offensive gegen Saddam Hussein Diplomatische Lösung von Bush verbaut / Möglicher Kriegsbeginn jedoch ins nächste Jahr verlagert  ■ Aus Washington Rolf Paasch

George Bush geht in die Offensive. Der US-Präsident gab am Donnerstag in Washington die Entsendung weiterer Streitkräfte an den Persischen Golf bekannt, um die dortige Truppenstärke von derzeit 230.000 GIs auf über 400.000 Mann zu erhöhen. Die Verlagerung von drei zusätzlichen Flugzeugträgern, einem Schlachtschiff, der Hälfte der in Europa stationierten schweren Panzerdivisionen sowie von 45.000 Marines und 12.000 Mitgliedern der Nationalgarde nach Saudi-Arabien wird mindestens zwei Monate in Anspruch nehmen. Der erstmögliche Termin für eine US-Offensive gegen Saddam Hussein hat sich damit ins nächste Jahr verlagert. Präsident Bush will den USA und ihren Alliierten mit seiner Entscheidung „eine adäquate offensive Militäroption“ verschaffen, „sollte dies zum Erreichen unserer gemeinsamen Ziele notwendig werden“.

Damit ist das militärische Engagement der Vereinigten Staaten am Persischen Golf drei Monate nach dem Einmarsch irakischer Truppen im Kuwait in eine neue Phase getreten. An die Stelle der angeblich defensiven Mission ist nun ein Offensivkonzept getreten, das die militärischen Voraussetzungen für die gewaltsame Vertreibung Saddams aus dem besetzten Kuwait schafft. Abgezogen werden die Armeetruppen vor allem aus Europa, darunter aus Standorten in Ansbach, Frankfurt, Garlstedt, Nürnberg und Stuttgart. Bush weigerte sich, eine zahlenmäßige Obergrenze der zukünftigen Golfstreitmacht festzulegen.

Die Verkündung der Truppenentsendung an den Golf am Donnerstag - vorsichtshalber erst nach Schließung der New Yorker Börse - erfolgte, nachdem US-Außenminister Baker in Saudi-Arabien mit König Fahd sowie in Moskau mit seinem sowjetischen Amtskollegen gesprochen hatte. Außenminister Schewardnadse hatte gegenüber Baker ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Hussein nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Zwischen den USA und der Sowjetunion bestehen trotz der verbalen Einheitsfront weiterhin erhebliche Meinungsverschiedenheiten über das diplomatische wie militärische Vorgehen gegen den Irak.

In den USA wurde die Beinahe- Verdoppelung der US-Streitmacht als endgültige Absage an jede Verhandlungs- oder Kompromißlösung mit Saddam interpretiert. Wenn die Wirtschaftssanktionen bis zum Januar nächsten Jahres keine sichtbare Wirkung zeigen, so die allgemeine Ansicht, wird eine US-Attacke gegen die 450.000 irakischen Truppen in Kuwait und an der saudischen Grenze nicht mehr zu stoppen sein.

Dennoch hielt sich die Kritik an George Bushs Entscheidung in Grenzen. Der Vorsitzende des außenpolitischen Auschusses des Repräsentantenhauses, Lee Hamilton, erklärte, die Aktion des Präsidenten „ergebe Sinn“, denn sie schicke eine klare Botschaft an den Irak. Andere Kongreßmitglieder begrüßten gar die Möglichkeit, mit der Entsendung der Nationalgarde das integrierte Militärkonzept der „total force“ endlich einmal testen zu können. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Senatsausschusses, Clairborne Pell, warnte dagegen vor einem offensiven Vorgehen der USA ohne weitere UN-Resolutionen. Selbst eine Kritik an George Bush, mit der Umgehung des sogenannten „War Powers Act“ (Kriegsermächtigungsgesetzes) den Kongreß von der Entscheidung auszuschließen, scheint den Volksvertretern in den Parlamentsferien zuviel der Mühe zu sein.

Einen tatenlosen Abgang, so Henry Kissinger im TV, könnten sich die USA schon bei der gegenwärtigen Truppenstärke nicht mehr leisten, wollten sie ihre Einflußmöglichkeiten in der Golfregion nicht endgültig verlieren. In einem allerdings gab Kissinger der Kritik an Bush Recht: Nach einem Wahlkampf, in dem der Golfkrieg überhaupt keine Rolle gespielt hat, habe es George Bush am Donnerstag erneut versäumt, der amerikanischen Bevölkerung die Interessen der USA am Persischen Golf hinreichend zu erklären. Die Diskussion über die Legitimation der US-Intervention wird wohl erst nach der Rückkehr der ersten Särge beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen