: Tote Robben haben keinen Preis
Das gestern vom Bundesrat verabschiedete neue Umwelthaftungsrecht wird seinen hohen Ansprüchen nicht gerecht/ Die Klagechancen für Bürger bleiben ungenügend, die Schäden an der Natur ungeregelt/ Auch die Waldbesitzer stehen mit ihren entnadelten Bäumen allein im sauren Regen ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Dringlichst, so forderte der Bundesgerichtshof vor drei Jahren in seinem „Waldschadensurteil“, solle die Bundesregierung dafür sorgen, daß die Waldbesitzer einen Anspruch auf Entschädigung haben. Die „Rechtsstellung des Geschädigten nachhaltig zu verbessern“, war denn auch der selbstformulierte Anspruch des Regierungslagers an ein Umwelthaftungsgesetz. Doch das gestern vom Bundesrat verabschiedete Gesetz wird dem nicht gerecht: Was ein entscheidender Baustein für ein umweltpolitisches Umsteuern hätte sein können, läßt nicht nur die Waldbesitzer im (sauren) Regen stehen. Dabei ist der Wortlaut des Gesetzes durchaus geeignet, Hoffnung zu wecken, daß die Verursacher von Umweltschäden nun wirklich zur Kasse gebeten werden und die wachsende Zahl von Menschen mit umweltbedingten Erkrankungen endlich eine Chance auf Entschädigung erhält. Die Regierung rühmt sich, das ab Januar 91 geltende Gesetz:
—führe eine „Gefährdungshaftung“ für Betreiber von gefährlichen Anlagen ein, die auch für den Normalbetrieb, also auch, wenn keine Störfälle auftreten, gelten soll;
—bringe eine Beweiserleichterung — der in der Regel nicht zu erbringende „Vollbeweis“, daß eine Schädigung direkt von der Giftküche nebenan herrührt, soll nicht mehr nötig sein;
—gebe Geschädigten bei einem begründeten Verdacht ein Auskunftsrecht gegenüber Unternehmen und Genehmigungsbehörden;
—schaffe Ersatzansprüche bei ökologischen Schäden, die aufwendige Wiederherstellung eines zerstörten Biotops muß auch dann bezahlt werden, wenn „sie den Wert der Sache übersteige“;
—verlange von Unternehmen mit gefährlichen Anlagen, für einen Schadensfall finanzielle Vorsorge zu treffen. Damit soll verhindert werden, daß eine Umweltsau sich wie bisher der Entschädigung durch einen geschickten Konkurs entzieht.
Dennoch kritisiert die Opposition das Gesetz als unzureichend. Trotz guter Ansätze hielten die Worte nicht, was sie versprechen. Wichtige Bereiche seien gänzlich ausgespart worden. Von einem „Placebo-Gesetz“ sprach der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Gerald Häfner, bei der Verabschiedung. In der Praxis, so befürchtet auch der auf Haftungsprozesse spezialisierte Frankfurter Anwalt Christoph Krämer, werde das Entschädigungsbegehren „nicht nennenswert erleichtert“.
Die Grünen, die ebenso wie die Sozialdemokraten einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben, bemängeln vor allem, daß das Gesetz keine Regelungen für sogenannte „Distanz- und Summationsschäden“ enthält — also gerade die vom Bundesgerichtshof monierten Waldschäden oder auch Pseudo-Krupp- Erkrankungen, die auf keinen bestimmten Einzelverursacher zurückzuführen sind. Die Grünen fordern für diese Fälle die Einrichtung eines Umwelthaftungsfonds nach dem Vorbild USA, Japan und Niederlande. Dies aber lehnen Bundesregierung und SPD-regierte Länder als zu teuer ab. Bemängelt wird von den Grünen auch, daß Natur nur dann entschädigt wird, wenn sie in Privateigentum ist. Wenn Robben und Vögel, die niemandem gehören, an Umweltgiften krepieren, gibt es juristisch auch keinen Schaden, so die krude Logik des Gesetzes.
Der Bundesrat hat über den Vermittlungsausschuß nur in wenigen Punkten eine Verbesserung durchsetzen können. So bei der Schadenshöchstgrenze: Unternehmen haften nicht nur bis 160 Millionen Mark, wie es die Bundesregierung wollte, sondern unbegrenzt. Erfolglos blieb der Versuch der SPD, das von beiden Oppositionsparteien als ungenügend angesehene Akteneinsichtsrecht zu verschärfen.
Kurios bleibt das Gesetz auch an anderer Stelle. Grüne und SPD wollten die im Zivilrecht übliche „gesamtschuldnerische Haftung“ verankern, damit Geschädigte trotz mehrerer Verursacher nur einen Prozeß zu führen brauchen. Die Regelung der Bundesregierung zwang den geschädigten Bürger dagegen, gegen jedes einzelne Unternehmen zu klagen. Ergebnis im Vermittlungsausschuß: Nun gibt es gar keine Regelung mehr. Damit ist den Gerichten überlassen, was Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre.
Der Jurist Martin Führ vom Öko- Institut Darmstadt sieht weitere Hürden für die Kläger. Eine „effektive Beweiserleichterung ist nicht gegeben“, hat er festgestellt. Außerdem gelte die Gefährdungshaftung nur für eine nach Führs Meinung zu kurz geratene Liste von gefährlichen Anlagen und auch die großspurig formulierte Haftung im Normalbetrieb wurde auf Betreiben der FDP wieder ausgehebelt. Die Vermutung, eine Anlage könnte für einen Schaden in Frage kommen, entfällt nämlich dann, wenn der Betrieb genehmigungsgemäß arbeitet. Das aber seien angesichts von „Allmähligkeitsschäden“ durch Daueremissionen die entscheidenden Fälle, weiß Martin Führ: „Wenn eine Anlage in die Luft fliegt, ist eh alles klar“.
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