: Brandt bringt fast 200 Geiseln mit
■ Während der SPD-Ehrenvorsitzende in Bagdad nach Kompromißlösungen suchte, laufen die Kriegsvorbereitungen auf Hochtouren / Auch China lehnt Einsatz des Militärs nicht mehr prinzipiell ab
Bagdad (dpa) — Der SPD-Eherenvorsitzende Willy Brandt hat am Freitag nachmittag mit fast zweihundert Geiseln an Bord des Lufthansa- Airbusses Bagdad verlassen. Während Brandt und seine kleine Delegation am Vormittag noch ein privates Programm absolvierten, hatten sich die Geiseln, die den Irak verlassen durften, in der deutschen Botschaft versammelt. Der größte Teil der notwendigen Formalitäten wurde abgewickelt oder war bereits erledigt.
Nach Angaben der deutschen Botschaft hat die Mission Brandts zur Freilassung von insgesamt 188 Menschen geführt. Darunter sind 136 Deutsche, 17 Italiener, elf Niederländer, zehn Briten, vier US-Amerikaner sowie je ein Kanadier, Ire, Schweizer, Belgier, Grieche, Portugiese, Luxemburger, Schwede, Norweger und Finne. Dazu kommen noch einige Ehefrauen und Kinder, die bisher freiwillig zurückgeblieben waren. 42 der Freigelassenen — 33 Deutsche, fünf Briten und alle vier Amerikaner — hatten die letzten Monate als „lebende Schutzschilde“ gegen einen Angriff an strategisch wichtigen irakischen Orten verbracht. Sie gehören zu den psychisch und physisch am stärksten angeschlagenen Geiseln. In der deutschen Gruppe befinden sich auch die beiden früheren Botschafter in Kuwait, Klaus Sönksen (West), und Kurt Merkel (Ost), sowie einige weitere Angehörige der inzwischen geschlossenen Kuwait-Mission der Bundesrepublik.
Die irakischen Behörden haben über die Zusammensetzung der deutschen Gruppe aufgrund von Listen entschieden, die die BRD vorgelegt hatte. Dabei wurden auch alle 36 „humanitären Fälle“ berücksichtigt, also Kranke und Personen, bei denen eine Familienzusammenführung besonders dringlich erschien. Zu den Rückkehrern gehören zahlreiche ältere und junge Menschen. Etwa 200 Deutsche werden nach der Freilassungsaktion im Irak zurückbleiben.
Baker sieht Allianz geschlossen
Unterdessen betonte der amerikanische Außenminister Baker, die meisten Länder der gegen den Irak gerichteten Allianz seien zum Kampf bereit, wenn andere Mittel versagen. In Interviews mit US-Fernsehgesellschaften sagte Baker am Freitag, daß es aber „einige geben könnte, die aus dem einen oder anderen Grund nicht dazu bereit wären“. Der Minister, der sich auf einer Nahost- und Europareise derzeit in London befindet, wies darauf hin, daß die Konsultationen noch nicht abgeschlossen seien.
Baker, der in Moskau mit dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow und Außenminister Schewardnadse konferiert hatte, beschrieb die Sowjets als „genauso frustriert und enttäuscht“ über die Haltung des Iraks wie der Rest der Weltgemeinschaft. „Sie sind nicht optimistisch.“ Zur Haltung Syriens betonte Baker, daß „die Syrer [...] in der Vergangenheit einen Wunsch angedeutet haben, die Aggression [Saddam Husseins, d.Red.] umzukehren und die UNO-Resolutionen voll zu erfüllen“. Baker machte klar, daß eine besondere Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen über einen Waffeneinsatz gegen den Irak politisch vorzuziehen sei. Auf diese Weise würde nach Auffassung der meisten Staaten die politische Unterstützung gefestigt. Das sei aber keine Vorbedingung. Eine solche Resolution ist seit einiger Zeit im Gespräch.
Der chinesische Ministerpräsident Li Peng hat die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, die Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Golfkrise fortzusetzen, „solange ein Funken Hoffnung besteht“, berichtete die chinesische Volkszeitung am Freitag. Li, der sich bei einem Treffen mit dem sudanesischen Juntachef Omar Hassan Ahmed el Beschir äußerte, schloß zugleich die Anwendung von militärischer Gewalt nicht länger formell aus. Bisher hatte Peking jede militärische Lösung strikt abgelehnt. Der chinesische Außenminister Qian Qichen hatte auf seiner Rundreise im Nahen Osten mehrfach betont, der Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait sei nicht verhandelbar. Ein militärischer Angriff müsse jedoch zuvor „in allen Einzelheiten“ vom UN-Sicherheitsrat geprüft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen