piwik no script img

»Der kollektive Anspruch ist noch da«

■ Ein Besetzer des Kerngehäuses zu den Entwicklungen INTERVIEW

taz: Herzlichen Glückwunsch zum Zehnjährigen. Hast du dir das damals träumen lassen?

Andy: Eigentlich habe ich nie daran gezweifelt, daß wir hier drin bleiben werden.

Du arbeitest und wohnst im Kerngehäuse. Ihr habt also noch den alten Anspruch vom Kollektiv?

Von den alten Ansprüchen ist schon noch viel da. Die haben sich allerdings den Realitäten angepaßt. Das kollektive Wohnen ist zum Bespiel mehr in Kleingruppen zerfallen, weil es jetzt viele Kinder im Haus gibt. Beim Arbeiten ist es so, daß wir wie vor zehn Jahren die gleichen Löhne haben. Es gibt keinen Unterschied, ob jemand besser oder schlechter ist, und auch keinen Chef.

Habt ihr mit den 130 besetzten Häusern in Ost-Berlin Kontakt?

Einzelne Leute aus dem Kerngehäuse schon, aber als Gruppe sind wir da nicht beteiligt. Es liegt daran, daß die meisten durch ihren Alltag, durch Kinder und Arbeit ziemlich eingeschränkt sind, und es deshalb nicht mehr so leicht geht, eine Woche mal spontan was anderes zu machen.

Arbeitet ihr als Gruppe noch politisch?

Eher als Kleingruppen. So wie früher als großes Kerngehäuse aufzutreten, fände ich heute auch nicht mehr gut.

Auf eurer Party waren hauptsächlich Leute zwischen 30 und 45. Habt ihr mit jüngeren Leuten nichts zu tun?

Eigentlich schon. Aber wir sind natürlich alle älter geworden und zu der Party hat jeder seine Leute eingeladen, die er aus der Zeit von früher kennt.

Wirst du im Kerngehäuse alt?

Das glaube ich nicht. Aber ich habe schon vor fünf Jahre gesagt, ich hau bestimmt in ein paar Jahren ab. Daß könnte sich jetzt wiederholen. Aber solange wie ich in Berlin bin, bin ich mir ziemlich sicher, daß ich hier wohnen bleibe. Woanders wollte ich nicht wohnen, weil mir das Umfeld wichtig ist.

Was hat sich im Kiez durch den Wegfall der Mauer für dich verändert?

Das ist ein Grund dafür, daß ich irgendwann in den nächsten Jahren abhauen will. Die Ausländerfeindlichkeit ist viel schlimmer geworden. Der Autoverkehr ist grausam, die Ostler nehmen absolut null Rücksicht auf Radfahrer und Fußgänger. Es schwebt eine unheimliche Agressivität in der Luft, und das Geplärre von Hauptstadt kann ich auch nicht mehr hören. Wenn das wirklich wahr wird, dann wird Berlin für mich unerträglich. Interview: Plutonia Plarre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen