piwik no script img

Das Raserparadies

■ Im Gropius-Bau werden noch einmal Ergebnisse des Wettbewerbs »Hauptstadt Berlin« aus dem Jahr 1957/58 gezeigt

Im Zeichentrickfilm: Hauptstadt Berlin von Alison und Peter Smithson, gedreht zur Veranschaulichung ihres Entwurfs für den »Städtebaulichen Ideenwettbewerb 1957/58«, ziehen die Straßen und Häuser vorbei, als befände man sich selbst auf dem Weg. Doch das Raumerlebnis wird unfreiwillig zum Horrorstreifen. In der Berlin-Vision rennen knopfäugige Wesen wild durcheinander, als seien sie auf der Flucht vor der organisierten innerstädtischen Bewegung. Zwischen himmelhohen Betonsilos sind oberirdische Fußwege und unterirdische Autobahnen angelegt. Sie sind durch Rolltreppen verbunden. Ampeln blitzen. Pfeile weisen. Ein alles überwachendes Auge ordnet die Ebenen. Die Stadt ist zu einem sezierten Körper aus vielen Adern geworden, durch die der Verkehr mit hypertonischer Geschwindigkeit dem Exitus entgegenrast.

Alison und Peter Smithsons Hauptstadt Berlin läuft als Video in der gleichnamigen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau und ist eine Warnung, mehr noch eine Drohung an alle Symbol-Mompers, Sechsspur-Wagners und Tiefgaragen-Nagels. Nicht mehr und nicht weniger. Denn der Ausgangspunkt des nun 33 Jahre alten städtebaulichen Konzepts der beiden Engländer war die Entwicklung des mechanisierten Verkehrs in der autogerechten City und deren Wahrnehmung aus der Sicht der Raser. Die Fußgänger verbannten sie auf »Fußgängerplattformen«, zum Schein einer Bewegungsfreiheit, die nur wieder zum Auto führte. Durch die Trennung der urbanen Funktionen und in Anlehnung an Le Corbusiers »le plan voisin« sollte Stadt als komplexer Organismus »erfahrbar« werden, der reibungslos — wie eine perfekte Maschine — strukturiert ist: Den einzelnen Straßen wurden differenzierte Funktionen zuerkannt. Um das alte Berliner Zentrum lief der Autobahnring. Tangenten lenkten den Schnellverkehr in und um die City. Am Spreebogen siedelte die Regierung. Zwischen Potsdamer Platz und Friedrichstraße zockten Handel und Gewerbe. Und am Alex saß die Stadtregierung. Wie alt. Wie neu.

Die Szenarien für den Ideenwettbewerb »Haupt- und Weltstadt Berlin« waren bis 1957 politisch klar vorformuliert worden. Weil die »Interbau« Anfang der fünfziger Jahre als westliche Gegenmaßnahme gegen die »Stalinallee« im Osten nicht ausreichte, sollte jetzt ein städtebau- licher Megaplan die Architekturdebatte in die propagandistische Auseinandersetzung des Kalten Krieges miteinbeziehen. Den »dilettierenden« Russen im Ostteil sollte es so richtig gezeigt werden, schrieb die Zeitschrift 'Bauwelt‘ 1956. Denn trotz der Teilung der Stadt, die eine übergreifende Planung für ganz Berlin ausschloß, umfaßte das vom Senat und der Bundesregierung vorgesehene Gelände auch das Territorium der DDR. Als »Insel im roten Meer« sollte in der alten Mitte Berlins eine neue, moderne Stadt entstehen, die vom Großen Stern bis zum Alexanderplatz reichte. Große Namen wie Le Corbusier und Hans Scharoun, Luigi Piccinato und R. Hogg Matthew als Teilnehmer, Walter Gropius, Alvar Aalto und Otto Bartning als Preisrichter halfen, den Bau-Zirkus international aufzuwerten. Der symbolische Charakter zeigte sich auch dadurch, daß dem realen Ausbau von Bonn der Berlin- Wettbewerb nur mit dem Mythos der glorreichen Vergangenheit und den Versprechnungen auf eine ungewisse Zukunft als Regierungssitz entgegenstand, entbehrten doch die West- Hauptstadtplanungen jeder wirklichen politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Grundlage.

Gleichzeitig wurden wie zum Trotz in der Auslobung die damaligen historisierenden Aufbauplanungen in Ost-Berlin konterkariert, sollten doch die Entwürfe möglichst wenig mit den überkommenen Stadtstrukturen zu tun haben. Planungsgrundlagen waren ferner der eben verabschiedete Flächennutzungsplan mit seiner funktionellen Gliederung der Stadt, ein geplantes Verkehrsnetz, das die Innenstadt mit kreuzungsfreien Autobahntrassen und Zubringern in einem Tangentenviereck einschnürte und schließlich die Empfehlung, das Regierungsviertel im Spreebogen zu errichten.

Mit welcher Radikalität das vorgegebene Verkehrskonzept in den Entwürfen der Architektenteams dominierte, zeigen die rund zwanzig ausgewählten Exponate, darunter die der Gewinner des Wettbewerbs. Bombenlücken wie Flächenabriß im Sinn, fielen den geschichtslosen Planungen nicht nur historische Bauten wie Schinkels Bauakademie zum Opfer. Die historische Stadt selbst verschwand. Auf ihren Fundamenten erhoben sich alsbald freigestellte Zeilenbauten und abstrakte Baukörperkombinationen aus der Zeit der avantgardistischen Moderne, die den einstigen Stadtgrundriß unter sich beerdigten. Eine Stadtlandschaft, die jene alte Silhouette vergessen ließ, fand sich jedoch kaum in den Entwürfen zu einer praktikablen, modernen, funktionstüchtigen Großstadt. Entweder waren die Pläne an der Gestaltung eines idealen Stadtbildes als Leitfigur späterer Jahre orientiert, oder sie huldigten dem vorgeschlagenen Verkehrskonzept. Dieses propagierte die bewegliche, autogerechte, kreuzungsfreie Stadt, in der selbst die Fußgänger noch Teil des rasenden Wahns waren. Die Idee einer Stadt wurde überrollt von der totalen Mobilität. Häuser waren Tunneldurchfahrten, Brücken Überflieger. Plätze fanden in den Planungen keine Berechtigung mehr. Konnten sie umfahren werden, verwandelten sich die städtischen Aufenthaltsräume zu steinernen Verkehrsinseln.

Der Verkehr als Symbol der Stadt legt sich in der Ausstellung wie ein allgegenwärtiges Prinzip über beinahe alle Stadtpläne. Ob bei Egon Hartmann/Walter Nickerls (2.Preis) orthogonalem Idealbild einer Weltstadt mit mehreren Verkehrsebenen, ob bei Le Corbusiers (Ankauf) blockartiger Berliner »ville radieuse«, in der noch die Unmöglichkeit der Lösung des Verkehrsproblems im »park and ride« zum Ausdruck kommt, oder ob in der »Hochhausscheibenstadt« der ersten Preisträger Friedrich Spengelin/Fritz Eggeling und Gerd Pempelfort, die trotz ihrer modernen Interpretation der alten Stadtstruktur über das Autobahnkonzept nicht hinauskamen — die neue Stadt lebte von der Vorstellung von Geschwindigkeit als Ausdruck von Freiheit, Fortschritt und Zukunft.

Heraus fällt, wenn nicht aus dem Verkehrskonzept, so doch aus der Vorstellung der Stadt als Verkehrsinsel, Hans Scharoun (2. Preis), der eine grüne Mitte dem »steinernen Berlin«, der festen Form die Negation, die Auflösung der Stadt entgegenhält. Seine Hauptstadt-Auffassung korrigiert die Entwicklung der Städte insgesamt, indem die geometrischen Formen der Stadt wie der Gebäude in anthropomorphe aufgelöst werden, die in die Natur ausgreifen. Scharouns Idee einer neuen »grünen« Metropole ist am wenigsten am Schema repräsentativer Monumentalität interessiert, sondern eher am Bild eines poetischen, paradoxen Konstruktivismus, der an Ernst Klee denken läßt und das Auto für einen Moment vergessen macht.

Die Planungen sind — Gott sei Dank — nur Visionen geblieben. Eine Realisierung fand nicht statt, zumal die Stadt seit 1961 durch die Mauer geteilt wurde. Ihre Architekturen sind weiter Schichtungen von Geschichte geblieben. Die Absicht, mit der Schau »die aktuelle Diskussion zu bereichern«, wie Helmut Geisert im backsteinförmigen Ausstellungskatalog schreibt, kann angesichts der präsentierten Pläne nur so verstanden werden, daß eine späte Umsetzung derselben durch megalomane Hauptstadtnostalgiker und monofunktionale Autofans verhindert werden soll. Im Augenblick laufen sie wieder ungeniert draußen herum und sind auf Stimmenfang. rola

Die Ausstellung »Hauptstadt Berlin« ist bis zum 6. Jänner 1991 im Martin-Gropius-Bau zu sehen, Di. bis So. 10-20 Uhr. Es erscheint ein Katalog. Die Ausstellung gibt zugleich einen Einblick in weitere frühere Berlin-Planungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen