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Seuchenalarm im Neckarstadion

■ VfB Stuttgart-Werder Bremen 0:1/ Den VfB- Anhängern verging sogar das Pfeifen

Stuttgart (taz) — Im Fußball „lebst du ein bißchen vom Prinzip Hoffnung“. Was hätte er auch sonst sagen sollen, der Stuttgarter Schulminister Mayer-Vorfelder, nach der bitteren 0:1 Heim-Schlappe seines VfB gegen die Werderaner. Dabei hätten die Schwaben nach acht sieglosen Spielen in der Liga eigentlich „Boden gutmachen“ sollen. Stattdessen wieder blamiert, 10:16 Punkte, ein Rutsch nach unten auf Platz 15 — beim Kellerkind VfB ist derzeit die „Seuche“ (Torwart Immel) drin.

Auch gelegentliche Wutausbrüche des MV, der es gar nicht mag, wenn seine Mannschaft schlecht kickt, helfen nicht mehr; die kennen die Spieler zur Genüge. Nach dem letzten Heimspiel schon hatte der VfB-Chef gedonnert, die hochbezahlten Ballkünstler sollten sich was schämen und gedroht, ihnen an den Geldbeutel zu gehen. Prämien nur noch ab Platz 6 — aber wer dauernd verliert, bekommt sowieso keine. Was die treuen Anhänger im berüchtigten Fanblock A von alledem halten, stand groß auf einem Transparent: „Lieber mit Willi in der Zweiten als mit MV in der Ersten.“ Am Samstag verging ihnen im Neckarstadion sogar das Pfeifen — trotz Preisnachlaß statt Topzuschlag.

Der Präsident also böse, der Trainer Willi Entenmann wieder einmal enttäuscht und Manager Hoeneß (der Jüngere) schweigt. Dabei war der VfB diese Saison angetreten, „den Bayern das Leben schwer zu machen“. Doch Entenmann weiß, „daß wir spielerisch nicht so sind, wie wir es uns erwünschen“, ahnt aber wohl auch, daß ihn das bald seinen Stuhl kosten kann, wie es lautstarke Stimmen schon fordern. Noch hält der MV zu seinem Coach, aber wie das Beispiel seines Vorgängers Arie Haan zeigt, kann sich das über Nacht ändern.

Dabei hätten allen Zorn nicht der emsige, aber dennoch blasse Trainer (Buchwald: „Der Willi bemüht sich“), sondern die schlaffen Kicker verdient. Seit Wochen laufen beim VfB ein erfolgloser Kögl, ein formschwacher Sammer, ein geschmähter Kastl, ein verhinderter Torjäger Walter, ein verträumter Basualdo, ein lethargischer Frontzeck oder ein bei den Fans in Ungnade gefallener Gaudino auf und schieben verunsichert den Ball über den Rasen. Gegen Bremen durften die Zwangsbänkler Frontzeck, Kastl und Walter wieder antreten, für die Entenmann zuletzt Lehrlinge aufgeboten hatte, die ihre Sache nicht schlechter erledigt hatten. Mit den Rückkehrern, dafür ohne die Kartensünder Sammer (viermal gelb) und Gaudino (rot), bot der VfB wieder nur fußballerische Schonkost: die Abwehr wackelte, im Mittelfeld ging es hin und zurück, im Sturm wehte nicht ein Windchen.

Entenmann analysiert: „Egal, welcher Stürmer bei uns spielt — keiner ist in der Lage, ein Tor zu erzielen.“ Und Guido „Diego“ Buchwald: „Momentan sind wir so schlecht, daß wir zu Recht dort unten stehen.“ Allein der wie im WM- Rausch aufspielende Buchwald als Antreiber, Spielgestalter und gefährlicher Angreifer sowie Routinier Allgöwer demonstrierten, was die Schwaben erst ohne die beiden wert wären.

Der Spielverlauf ist schnell erzählt: Schon nach acht Minuten klingelt es im Stuttgarter Tor durch einen Kopfball Rufers, dessen Gegenspieler Jüptner meilenweit entfernt steht; wenig später trifft Harttgen, allerdings aus dem Abseits. Immer wieder kreuzen die Bremer mit wenigen Spielzügen gefährlich vor Immels Kasten auf. Dagegen Stuttgarts neues Sturmspiel: weite Einwürfe und Ecken schinden. Nach dem Seitenwechsel verstärkt der VfB dann den Druck im Muster der Amateurklasse: wenn nichts mehr läuft, geht der Stopper nach vorn. Die Bremer, hinten souverän, erspielen sich derweil haufenweise Konterchancen, die laut Trainer Rehhagel „für zwei oder drei Siege“ reichen müßten.

Tiefstapler Rehhagel war deshalb trotz Tabellenführung nach elf Spielen ohne Niederlage wieder nicht zufrieden und mochte auch keine neuen Ziele in Richtung Meisterschaft entdecken. Dafür gab ihm der Sieg Gelegenheit, sonorig mit alten Feindschaften aufzuräumen: „Wir mögen die Stuttgarter wie die Münchner und Hamburger.“ Seit der VfB 1986 mit einem Sieg gegen die Bremer im letzten Spiel diesen die Meisterschaft vermasselt hatte, hatten beide Vereine vor ihren Begegnungen sonst regelmäßig Öl ins Feuer gegossen. Erwin Single

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