Die intelligenten Idioten

„Notorische, wandernde Chaoten“ nennt sie Fußballpräsident Neuberger: Hooligans sind der unverstandene Schrecken der Nation/ Einmal demolieren sie die City, dann trauern sie friedlich  ■ Aus Berlin Hagen Boßdorf

Sie tragen sündhaft teure Turnschuhe und Markenklamotten, duften nach edlem Parfüm und sind modisch rasiert. Sie tun cool, sind intelligent und haben ihre eigene Weltanschauung: den Hooliganismus. Der Fight mit Fäusten und Füßen gegen Anhänger anderer Vereine, die das auch wollen, ist ihr Ziel.

Die Leipziger Ereignisse vor einer Woche brachten die Hooligans aus der ehemaligen DDR endgültig in die Schlagzeilen. Sie fuhren in Autos oder (als Anglerverein!) in gemieteten Bussen nach Leipzig. Das Aufeinanderprallen ihrer gewallttätigen Selbstbestätigung mit einem Gemisch aus Angst und Haß bei der Polizei führte zu den bisher folgenreichsten Fußballkrawallen im Osten Deutschlands. Mike Polley, ein 18jähriger aus dem Umfeld der Berliner Hool-Szene wurde von fünf Schüssen getroffen und getötet. Es gab Schwerverletzte, die noch heute auf der Intensivstation liegen und jede Woche von ihren Freunden besuchen werden.

Sie haben die Gesellschaft erschreckt. Die meisten Medien stellten sich zunächst auf die Seite der Polizei, um allmählich zu erkennen: Die Organisation war desolat; vorne wurden noch Karten verkauft, hinten schon Reizgas eingesetzt. Die Reaktion war überzogen; zum Zeitpunkt der Schießerei befanden sich gut vierzig Meter und ein Zaun zwischen Polizisten und Hooligans. Eifrig wurde nach Gründen gefahndet. Vielzitierte Wissenschaftler meldeten sich zu Wort, um politische und soziale Probleme der Jugendlichen zu analysieren.

Die lachen darüber. „Die meisten von uns haben überhaupt keine Probleme“, erklärt der Sprecher der FC Berlin-Hools. Politische schon gar nicht, da sie weitgehend rechts und deutsch-national eingestellt sind und ihnen die politische Entwicklung Deutschlands daher nur ein Grund zur Freude sein kann. Aber auch soziale Probleme kennen die meisten Hooligans nicht. In der Woche sind sie artige Arbeiter und strebsame Studenten, unter ihnen gibt es Krankenpfleger und Kaufhausdetektive. Was an Motivation bleibt, ist ein Freizeitspaß, der für sie darin besteht, ihre Aggressivität auszuleben und die biedere Bevölkerung zu provozieren. Sie bemalen Transparente: „VEB Elektrokohle grüßt den BFC“, und auf ihren Feten flippen sie aus bei der Musik von Roger Whitaker, Abba und Smokie. Sie feixen bei dem Gedanken, daß auch das kein Außenstehender verstehen kann.

Der Kern der Berliner Szene besteht aus rund 150 Leuten, die sich seit Jahren aus dem ehemaligen BFC-Dynamo-Fanclub „Anale“ kennen. Sie beteuern eine enge Verbindung zum sportlichen Tun ihres Vereins. Ein großer Teil von ihnen ist in den letzten Jahren aus der DDR ausgereist, traf sich im Westen Berlins wieder und konnte nun den BFC auch zu Auswärtsspielen im Europacup begleiten. Als im Stadion des AS Monaco vor einem Jahr kräftige BFC-Rufe ertönten, wunderten sich am meisten die Dynamo-Funktionäre.

Zu den Ausgereisten zählt auch Jens-Uwe V., der sich bei der ehemaligen Volkspolizei einen Namen machte, weil er maßgeblich die BFC- Szene zusammenhielt. Er kannte die meisten Fans von Hennigsdorf bis Königs Wusterhausen. So war die Polizei nur erleichtert, als V. 1988 seinen Ausreiseantrag abgab und erfüllte ihm völlig problemlos die Forderung: Das Hinspiel gegen Werder will ich noch in Berlin erleben, dann könnt ihr mich rauslassen, damit ich beim Rückspiel in Bremen bin. Nach der Öffnung der Grenze haben sich die Berliner Hooligans schleunigst wiedervereinigt, um mit geeinter Kraft ihrem „Hobby“ nachzugehen.

V. ist voll innerer Widersprüche. Im und vor dem Stadion der Fädenzieher und Randalierer schlechthin („Denkst du, ich habe in Leipzig nicht meinen Beitrag geleistet?“), tritt der 28jährige beim Interview sensibel reagierend, klug abwägend auf. Im Gegensatz zu anderen stört ihn das Bild der Hools in der Öffentlichkeit. Nicht weil sie Waisenknaben sein wollen, „aber Scheiben einschlagen gehört für mich nicht zum Hooliganismus“. Er will sich aus der Szene in diesem Jahr zurückziehen, womit den Berlinern die Integrationsfigur fehlen würde. „Das wird mir langsam alles zu heiß“, sagt er zur Freude seiner Freundin, mit der er seit acht Jahren zusammen ist und die ihn nun vielleicht zur Familiengründung überreden könnte.

Vorher allerdings hat V. für eine spektakuläre Aktion gesorgt. Eine Woche nach dem Leipziger Krawall organisierte er mit dem Kern der Hools einen Trauermarsch für den erschossenen Mike Polley. Dafür machte er aus eigenem Antrieb der Polizei das Angebot zur Zusammenarbeit. „Der machte einen vertrauenerweckenden Eindruck auf uns“, bestätigt Einsatzleiter Egon Kutzera. Zum Spiel Berlin gegen Halle (0:0) erschienen rund 500 Hooligans, denen sich nach Abpfiff noch einmal die gleiche Menge („viele haben doch Stadionverbot“) anschloß. Eine eigene Ordnergruppe der Hooligans sorgte für Ruhe von innen, ein Riesenaufgebot an Polizisten begleitete den Zug. Der Marsch vom Jahn- Stadion zum Brandenburger Tor verlief zu aller Erleichterung friedlich. „Über die Zusammenarbeit mit den Hooligans wird unsere Landespolizeidirektion die Leipziger Kollegen hundertprozentig informieren“, versichert der Einsatzleiter. Hat sich sein Bild der Fußballrowdies an diesem Nachmittag geändert, oder kann es beim nächsten Spiel schon wieder ganz anders aussehen? — „Das schließe ich nicht aus!“

Vor allem beim bevorstehenden „Fußballfest“ von Leipzig am 21. November droht eine neue Eskalation der Gewalt im Fußball. Die Hooligans warten auf eine faire Untersuchung der Vorfälle vor einer Woche. Versicherung bei bleibenden Gesundheitsschäden durch Schußwaffenanwendung, Entschädigung bei Arbeitsausfall durch Krankenhausaufenthalte — alles ungeklärt. Wenn der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf bei seiner Meinung bleibt, die Polizei sei „jederzeit korrekt aufgetreten“, kündigen ihm die Hooligans aus Ost und West für den 21. November einen Krieg an. Einer der ältesten und einflußreichsten von ihnen kündigt an: „Dann fahren wir auch mit Waffen.“

Das Bundesinnenministerium hat seine dreigeteilte Strategie vorgelegt: eine Hooligankartei, ständige Lageberichte und eine perfektere Ausbildung der Polizei. Verhindern wird sie die Krawalle damit nicht. Die Konzeption geht am eigenen Erklärungsmuster der Hooligans vorbei und muß daher scheitern. Hooligans suchen sich das Umfeld eines Fußballspiels, um ihren im Alltag aufgebauten Frust rauszulassen. Das praktizieren sie so gründlich, daß sie für den Rest der Woche weitgehend ruhige und freundliche Menschen sind.