: Exilantinnen ohne Heimat
„Grenzüberschreitendes“ Frauentreffen in Ost-Berlin: Fremdheit besteht noch ■ Aus Berlin Margret Lünenborg
„Grenzüberschreitend“ sollte das Frauentreffen am vergangenen Wochenende in der Ostberliner Akademie der Künste sein. Doch die Diskussionsversuche dort zeigten überwiegend die Grenzen, die nach einem Jahr offenbar immer noch Frauen und Frauenbewegung aus der ehemaligen DDR und der früheren BRD voneinander trennen. Eingeladen hatten der Unabhängige Frauenverband (UFV), die europäische FrauenAktion aus West-Berlin und die FrauenAnstiftung der Grünen.
Im Unterschied zur ersten Ost- West-Frauentagung im Frühjahr, an der überwiegend westdeutsche Frauen teilgenommen hatten, waren dieses Mal die Ex-DDRlerinnen in der Überzahl. Doch damit allein war ihnen noch lange kein angemessener Raum in der Auseinandersetzung sicher.
So war es die Westberliner Senatorin Heide Pfarr, die im Eröffnungsreferat Aufschluß darüber gab, warum die Frauen seit dem 9. November wieder aus der Politik verdrängt wurden. Daß hier nicht die betroffenen Frauen selbst zu Wort kamen, zeigt, wer heute die Frauengeschichte der vergangenen Monate schreibt.
Auch das unterschiedliche Maß an Professionalität der ost- und westdeutschen Frauenprojekte zeigte sich deutlich. Unter den zahlreichen Gruppen, die sich auf der Projektemesse vorstellten, was nur eine einzige Initiative aus Ost-Berlin. Karin Gaulke vom Frauenzentrum „Frieda“ aus Friedrichshain vermutete, daß ihre Kolleginnen sich schlicht nicht trauten, öffentlich aufzutreten: „Die meinen, daß sie nicht genug haben, was sie hier ausstellen könnten.“
Samirah Kenawi vom UFV beschrieb sich selbst als „Exilantin, die in ihre Heimat nicht mehr zurückkehren kann“. Doch anstatt dieser Heimatlosigkeit näherzukommen und möglicherweise mit gemeinsamen Strategien zu überwinden, bot das Treffen eine seltsame Mischung aus Kultur und Politik, die nur wenig Raum zur Verständigung ließ. So ließ der stundenlange Vortrag zur Lebensgeschichte der Bildhauerin Camille Claudel die Frage offen, ob das nun das zentrale Thema in der Auseinandersetzung zwischen Ost- und Westfrauen ist. Auch wurde am Abend des 9. Novembers die Gelegenheit verpaßt, ein frauenpolitisches Signal zu setzen.
Lediglich die zahlreichen Arbeitsgruppen boten Gelegenheit für den Austausch von Arbeitserfahrungen, Finanzierungsmöglichkeiten und inhaltlichen Perspektiven. Je nach Interesse, das sich nahezu beliebig zwischen Spiritualität, Frauenforschung und Existenzgründung bewegte, gab es so immerhin die Möglichkeit, Kontakt zu Frauen in anderen Städten aufzunehmen. Die zusammengetragenen Adressenlisten dürften das wertvollste Ergebnis des Wochenendes sein.
Wie schwer das Zusammengehen jedoch nach wie vor ist, machte die Podiumsdiskussion am Sonntag deutlich: „Aufbruch der Frauen — zwei Schritte vor, drei zurück? — dieser Titel konnte zum Abschluß der Diskussion auch ohne Fragezeichen getrost als Motto gelten. Nachdem die Frauen auf dem Podium — aus West-Berlin die Malerin Gisela Breitling, aus Ost-Berlin mehrere Frauen des UFV sowie die Unesco- Vertreterin Alya Saada — meist aneinander vorbei geredet hatten, eskalierte die Diskussion an der Frage des Umgangs mit der Macht.
„Der typische Ost-West-Konflikt“, so meinte Samirah Kenawi vom UFV, tauche immer dann auf, wenn West-Frauen meinten, sie hätten bereits alle Erfahrungen gemacht. Westberlinerinnen hatten nämlich zuvor beschrieben, daß ihnen der bloße Machtverzicht nicht mehr reichen würde, daß sie „einen vielfältigeren Umgang mit Macht“ für erforderlich hielten.
Wie mäßig allerdings die Erfolge dieser Vielfalt sind, schilderte eine, die selbst reichlich Erfahrung im Umgang mit Macht und offenbar die Nase davon voll hat. Die Westberliner Frauensenatorin Anne Klein bekannte sich zur Erfolglosigkeit des Berliner Feminats. Frau habe sich „korrumpieren lassen und den mächtigen Männer den Bauch gestreichelt“. Der Umgang miteinander sei zu einer „Weibischkeit“ verkommen.
Doch auch diese Selbstkritik verhalf nicht zu neuen Umgangsformen. Im Eklat endete die Diskussion, als Westberlinerinnen sich von Kindern im Saal gestört fühlten und die Mütter deshalb den Saal verlassen mußten. Noch immer scheint es ziemlich wenig Vermögen zum Aufeinanderzugehen zu geben. Nach einem ganzen Jahr Diskussion zwischen Ost- und West-Frauen blieb der Eindruck, daß es am Wochenende mindestens drei Schritte zurück ging.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen