: Maler — Typo-Graf — Formensammler
■ Ausstellung „Walter Dexel — Bild Zeichen Raum“ zum 100sten Geburtstag des konstruktivistischen Künstlers in der Kunsthalle
Sicher, Walter Dexel war der konstruktivistische Maler, als den ihn die Kunstgeschichte kennt. War der Schöpfer jener ausgeklügelten Arrangements verschieden gefärbter Rechtecke, die sich zumeist nur an die horizontalen und vertikalen Bildachsen anlehnen. War der radikale Reduktionist, der jeden individuellen Ausdruck aus seinen Arbeiten bannen wollte, um ein allgemeingültiges Zeichensystem der Formen freizulegen.
Ein Maler, an dessen malerischer Entwicklung sich im Nachhinein exemplarisch die Logik der zunehmenden Abstraktion nachvollziehen läßt, an dem der Weg von den ersten noch impressionistisch getönten Landschaften von 1912/13 über die expressiv verdichteten Stadtlandschaften zu den gänzlich abstrakten Arbeiten (ab 1923), nachzulesen ist.
Einer, der um die Jahrhundertwende im damals künstlerisch quicklebendigen München aufgewachsen, die verschiedenen Ausformungen der modernen Kunst in sich aufsaugte und der dann 1925 fünfunddreißigjährig aufgehört hat zu malen, weil er auf dem Sektor Malerei keine neuen Ufer erblicken konnte. Das ist die eine Ebene.
Walter Dexel, den sein Freund und Kurt Schwitters, der sich neben seinen Merz-Arbeiten mit der gleichen Materie beschäftigte, „Typo-Graf“ titulierte, war auch ein Bahnbrecher der Typografie, war derjenige, der die Formensprache seiner Malerei auf seine Gebrauchsgrafik anwandte, und der damit das Zeichensystem der Reklame entwickelte, an das unsere Wahrnehmung immer noch gewöhnt ist. Ein Künstler, der nicht mehr auf die auratische Sinnstiftung der Kunst vertraute, sondern ihr einen Sinn verleihen wollte, indem er sie in die Öffentlichkeit der Alltagswelt trug. Soweit die zweite Ebene.
Zuvor war Walter Dexel jedoch Kunst-Wissenschaftler gewesen, hatte studiert und schließlich promoviert, war einer, der sich nicht über die Triftigkeit der Abbildung von Natur oder Architektur den Kopf zerbrach, sondern über Formen. Einfache, reine Formen, deren emotionaler Gehalt universell ist und unabhängig von den Konnotationen des Reichtums, die dem barocken Schnörkel seinen Sinn verleihen, sind die eine Seite der Medaille; die Einbindung der Formen in einen Gesamtzusammenhang, die Komposition ist die andere.
Walter Dexel — ein Theoretiker, der zum Künstler wird, indem er seine theoretischen Probleme an der Praxis mißt; ein Künstler, dessen Arbeit von der Klarheit seines distanzierten Blicks zehrt.
Die Ausstellung in der Kunsthalle belegt die Vielschichtigkeit der Interessen Dexels. Im Herzen stehen die berühmten Arbeiten aus den 20er Jahren, die Spielereien mit dem Formeninventar der Buchstaben und die Querverbindungen zu seiner typografischen und Reklame-Arbeit. Jedoch sind auch Beispiele seiner frühen Arbeiten gezeigt, und der späten, als Dexel in der Folge der großen Sturm-Ausstellung 1961 in Berlin, nach fast 30 Jahren malerischer Pause, den Pinsel wieder in die Hand nahm. step
bis 13. Januar '91
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