: „...wie einer aus Auschwitz“
■ Merkwürdige Praktiken des Schwalmstedter Anstaltspfarrers/Ein Beschwerdebrief an die Kirche
Seit fast einem halben Jahr ist Herr Fräßdorf als evangelischer Pfarrer hier in der Anstalt tätig. Leider sind nach und nach Ereignisse eingetreten, die mich nun veranlassen, Sie um Hilfe zu ersuchen. [...]
1.Eine Gesinnungsprüfung vor persönlichen Gesprächen im Zusammenhang mit inhaftierten RAF-Mitgefangenen.
2.Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit einem Mitgefangenen Herrn Gerold Schwenn der „aussehen soll wie einer aus Auschwitz“.
3.Bei Anliegen/Vormelder muß der Grund vermerkt werden, warum der Gefangene ein Gespräch will mit dem Pfarrer, der Pfarrer vermerkt später (nach einem Gespräch) auf dem Anliegen, was der Gefangene noch wollte und welches Resultat das Gespräch hatte.
Ich sehe darin den Bruch des Vertrauensverhältnisses.
Zu den einzelnen Vorgängen:
1.Wir wissen nicht, ob der evangelische Pfarrer auf Anweisung der Kirchenleitung handelt, wenn er vor einem persönlichen Gespräch erst die politische Einstellung prüfen muß, im Zusammenhang mit den ebenfalls hier inhaftierten RAF-Leuten. So verlangt er vor einem persönlichen Gespräch eine Auskunft, ob der betreffende Gefangene Verbindung mit den RAF-Gefangenen hat. Falls dieses zutreffen sollte, müßte er einen Bediensteten der JVA zu dem Gespräch hinzuziehen. [...]
2.Leider ist uns in den letzten Tagen ein Vorgang zu Ohren gekommen, der auch der eigentliche Grund dieses Schreibens ist. Es geht um den Mitgefangenen Herrn G.S., der durch Muskelschwäche aufgrund eines abheilenden Bruchs der Wirbelsäule durch einen Unfall (Trümmerbruch, Wirbelsäulenverkrümmung etc.) in seinem Äußeren auffallend ist, hinzu kommt das Gewicht von nur 47 Kilogramm.
Der Mann ist arm und mittellos. Durch die Vermittlung eines anderen Gefangenen hat er einen Fernsehapparat geschenkt bekommen, der erst nach Überprüfung durch den Fachhandel in die Anstalt eingebracht werden darf.
Die Kosten sollten von dem evangelischen Pfarrer beziehungsweise Verein der Gefangenenhilfe e.V. in Schwalmstadt erstattet werden. Der evangelische Pfarrer, Herr Fräßdorf, hat sich auch erboten, entsprechende Schritte dazu zu übernehmen.
Am Freitag, den 7.9.90 hatte Herr Fräßdorf dann mit der Elektrofirma per Telefon eine entsprechende Anweisung zwecks Annahme des Geräts und Kostenübernahme geführt. Dabei ist unter anderem folgender Satz gefallen: „Wir haben hier einen Gefangenen, der aussieht wie einer aus Auschwitz, er hat auch kein Geld...“
Es ist für uns schon bedauerlich, wenn man diesen Vorgang auch aus der Öffentlichkeit zugetragen bekommt und unter Umständen davon ausgeht, daß diese Worte wieder Einzug in den Sprachgebrauch der Amtskirche gefunden hat. [...]
3.Auch der nachstehende Vorgang, gibt Anlaß zu Irritationen, daß nämlich auf Anliegen/Vormelder der Grund vermerkt sein soll, warum man den evangelischen Pfarrer sprechen will. Nach dem Gespräch beziehungsweise dabei wird dann vom Pfarrer der eigentliche Gesprächsgrund schriftlich relativiert. Da der Vormelder/Anliegen im juristischen eine Urkunde darstellt, muß das Schriftstück zu der PA (Personalakte) des Gefangenen genommen werden. Alle Personen, die mit der Akte zu tun haben, können Nachlesen, was der Gefangene von dem evangelischen Pfarrer wollte.
Ich bin mit anderen Gefangenen der Meinung, daß eine Vertraulichkeit des Wortes unter den Umständen nicht mehr möglich ist. P.M., Schwalmstadt
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