: Ein bißchen „Volkseigentum“ hinüberretten
Die Yachtwerft Berlin GmbH, einst Paradebeispiel einer „sozialistischen Betriebsgemeinschaft“ sucht nach einem eigenen Weg in die Marktwirtschaft/ Im neuen Belegschaftsmodell sollen die Beschäftigten 50 Prozent der Anteile halten/ Geschafft haben es die Bootsbauer aus Köpenick aber noch lange nicht ■ Von Martin Kempe
Reinhard Demkel wiegt bedächtig den Kopf: Nein, schwere Konflikte gebe es nicht. Aber so ganz ohne Meinungsverschiedenheiten sei es in den letzten Monaten nicht abgegangen. Konkretes ist jedoch nicht aus ihm herauszulocken.
Der Betriebsratsvorsitzende der „Yachtwerft Berlin GmbH“ ist seit März dieses Jahres Belegschaftsvertreter in einem Betrieb der ehemaligen DDR, der einen eigenen Weg in die Marktwirtschaft gehen will: Zum Sommeranfang, am 21.Juni 1990, wurde ein Belegschaftsmodell gegründet, in dem 50 Prozent der Anteile von den Beschäftigen gehalten werden. Die restlichen 50 Prozent, so die Pressesprecherin Dolores Malter, sollen über die Ostberliner Treuhandgesellschaft an private Investoren veräußert werden.
Immerhin, „die Hälfte gehört uns“, vermerkt Demkel nicht ohne Stolz. Und im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben in der ehemaligen DDR besteht hier sogar die Aussicht, daß das Experiment ein Erfolg wird. Schon vor der Wende war die Yachtwerft einer der Vorzeigebetriebe der damaligen Staatswirtschaft.
Hier war dem Westjournalisten von der taz vor rund sieben Jahren das Funktionieren der „sozialistischen Betriebsgemeinschaft“ vor Augen geführt worden, jene harmonische Betriebsfamilie aus Betriebsleitung, Gewerkschaftsleitung und einem Stamm von qualifizierten Facharbeitern, die — voller Stolz auf ihr Produkt — an ihrem Arbeitsplatz tatsächlich so etwas wie „Volkseigentum“ verwirklicht sahen und sich in den Beschränkungen des Arbeiter- und Bauernstaates gemütlich eingerichtet hatten.
Auch heute gehört die Köpenicker „Yachtwerft GmbH“ zu den Betrieben in der ehemaligen DDR, die den Journalisten aus Ost und West gern Rede und Antwort stehen. Denn die Aussichten, den Übergang in die Marktwirtschaft ohne größere Einbrüche zu schaffen, sind hier besser als in den meisten anderen Betrieben in den fünf neuen Bundesländern.
Schon vor der Wende, berichtet Peter Lux, zuständig für Marketing und Vertrieb in dem Werftbetrieb, habe man sich Gedanken über die notwendigen Veränderungen gemacht. Und als es dann soweit war, habe man schneller als andere reagieren können.
Als erstes habe man sich aus dem zuständigen Industriekombinat der alten DDR-Planbürokratie herausgelöst und selbständig gemacht. In Kooperation mit einem Westberliner Unternehmensberater habe man die Holding „Yachtwerft Berlin GmbH“ gegründet, die jeweils 100 Prozent Anteile an den nunmehr selbständig wirtschaftenden Produktionszweigen „Werft Berlin GmbH“, „Yacht Berlin GmbH“ und „Bootsbau Berlin GmbH“ hält. Außerdem gibt es noch eine „Berliner Wassersport- und Service GmbH“ und eine „Ferienpark GmbH“, die vor- und nachgelagerte Dienstleistungen des Freizeitbootsbaus anbieten.
Schon im Februar habe man außerdem rund sechzig leitende Angestellte zur marktwirtschaftlichen und technischen Schulung nach West- Berlin geschickt — ein Umstand, der die schnelle Umstellung von der staatlichen Auftrags- und Kommandowirtschaft auf marktorientierte Produktionsvertriebsformen erleichtert habe.
Dennoch: geschafft haben es die Bootsbauer aus Köpenick noch nicht. Die Werft als größter Tochterbetrieb der Holding mit jetzt noch rund 380 Beschäftigten sieht sich im vereinten Deutschland plötzlich in einer völlig neuen Situation: Wo sie früher für das Gebiet der ehemaligen DDR der einzige Produzent für die „weiße Flotte“ auf den vielen Binnengewässern, für Wasserbagger, Feuerlöschboote und Schubkähne war, ist sie nun ein Konkurrent unter vielen.
Noch ist die Produktion bis Mitte 1991 ausgelastet. Einzelne Aufträge darüber hinaus gibt es auch schon. Aber die Unsicherheiten des gesamtdeutschen Marktes, meint Peter Lux, sind groß. Besser sieht es für den Bootsbau aus, jenen Betriebszweig, der die Ruder- und Sportboote für die international erfolgreichen Olympiakader der ehemaligen DDR produziert hat. Hier gibt es bereits ein Produkt der internationalen Spitzenklasse, das früher allein für den gold- süchtigen DDR-Spitzensport unter Verschluß gehalten wurde und nun, da ist sich Pressesprecherin Malter sicher, einen internationalen Markt finden wird.
Am größten sind die Umstellungsschwierigkeiten im Yachtbau.
Die DDR-Bürger waren früher mangels Reisemöglichkeiten exzessive Freizeitkapitäne auf den Binnengewässern des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaats. Damit ist es jetzt vorbei. Schlagartig sei mit der Währungsunion am 1.Juli die Nachfrage nach den Segel- und Ruderbooten, nach den kleinen Motorbooten aus Köpenick zusammengebrochen, erklärt Michael Nestler, Geschäftsführer der dritten „Tochter“, der Yachtbau GmbH. Zwar könne man jetzt endlich moderne Materialien verarbeiten, aber Nestler räumt illusionslos ein, daß seine Boote für den verwöhnten westdeutschen Freizeitkapitän noch keine Alternative sind. Und die Bürger der ostdeutschen Länder haben erst einmal andere Sorgen und auch andere Konsumprioritäten.
Rund 1.000 Beschäftigte hatte das Gesamtunternehmen noch vor einem Jahr. Noch beschäftigte Rentner sind inzwischen in den Ruhestand geschickt, andere per Vorruhestandsregelung herauskomplimentiert worden. Und ab Mitte Oktober gibt es für 95 Beschäftigte „Kurzarbeit null“. Betriebsgewerkschaftsleiter Reinhard Demkel, der bis zur demnächst fälligen Betriebsratswahl als Betriebsratsvorsitzender fungiert, hebt lobend die Bereitschaft der Geschäftsführung hervor, für „alle eine Lösung zu finden“.
Ob es gelingt, weiß er nicht, aber er ist voller Hoffnung und lobt die Kooperationsbereitschaft der Geschäftsführung. Derzeit sind noch rund 700 Beschäftigte in der Holding in Arbeit. Wieviele es am Ende bleiben werden, steht in den Sternen. Doch diejenigen, die bleiben, so hofft er, werden sich mit all ihren Kräften für „ihren“ Betrieb engagieren. Schließlich haben die rund 200 Belegschaftsaktionäre ein doppeltes Interesse am erfolgreichen Start in die Marktwirtschaft. Ein bißchen „Volkseigentum“, so sehen es Betriebsrat und Geschäftsführung in trauter Eintracht, wollen sie auf diese Weise in die neue Zeit hinüberretten.
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