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Schmücker-Richter vor den Kadi?

Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Richter und Staatsanwälte des zweiten Schmücker-Verfahrens Kungelei mit dem Verfassungsschutz könnte strafrechtliche und disziplinarische Konsequenzen haben  ■ Von Vera Gaserow

Berlin (taz) — Ihre augenscheinliche Kungelei mit dem Berliner Verfassungsschutz wird für die Richter und Staatsanwälte des zweiten Durchgangs des Schmücker-Verfahrens möglicherweise juristische Konsequenzen haben. Nach Informationen der taz hat die Staatsanwaltschaft des Berliner Landgerichts jetzt strafrechtliche Vorermittlungen gegen die an dem Mammutverfahren beteiligten Justizbediensteten eingeleitet. Überprüfen muß die Staatsanwaltschaft dabei, ob sich ihre Juristenkollegen 1978 im zweiten Durchgang des nunmehr vierzehn Jahren andauernden Mordprozesses der Strafvereitelung im Amt und der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben. Sollten sich diese Anschuldigungen bestätigen, wären sie so gravierend, daß sie mit einiger Sicherheit den teilweise noch heute amtierenden Richtern und Staatsanwälten den Job kosten würden. Strafrechtlich dürften die möglichen Taten der Juristen zwar verjährt sein, disziplinarrechtlich jedoch nicht.

Anlaß der staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen ist ein bisher geheimgehaltener dreiseitiger Vermerk des Berliner Verfassungsschutzes, den die Alternative Liste Anfang November öffentlich gemacht hat. Daraus geht hervor, daß nicht nur der damals für das Schmückerverfahren zuständige Staatsanwalt Müllenbrock, sondern auch die drei beteiligten Berufsrichter des Prozesses schon 1978 wußten, daß der maßgeblich in den Mord an dem Studenten Schmücker verwickelte Volker Weingraber V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes war. Der Vorsitzende Richter soll sogar damals schon vermutet haben, daß der Verfassungsschutz über Weingraber in den Besitz der Tatwaffe gelangt ist — was Jahre später dann auch bekannt wurde. Gegenüber der Staatsanwaltschaft, so der jetzt bekanntgewordene VS-Vermerk, hätten die Richter jedoch zugesagt, an diesen Erkenntnissen „nicht zu rühren“, eine entsprechende geheime Akte nicht in den Prozeß einzubringen und auch gegenüber den Geschworenen Stillschweigen darüber zu wahren.

Diese augenscheinliche Unterdrückung von wichtigem Beweismaterial in einem Prozeß, in dem für die Hauptangeklagte immerhin lebenslängliche Haft auf dem Spiel stand, hat in Berliner Justizkreisen für einigen Aufruhr gesorgt. In einer gemeinsamen Presseerklärung haben jetzt die Richter und Staatsanwälte in der ÖTV und die Vereinigung Berliner Strafverteidiger das Verhalten der „Schmücker-Juristen“ scharf kritisiert. „Wenn der Vermerk des Verfassungsschutzes den Gang der Dinge zutreffend wiedergibt, haben sich die an dieser Form von Geheimjustiz beteiligten Juristen als Richter und Staatsanwälte disqualifiziert“, heißt es darin. Ihr Verhalten sei „für eine rechtsstaatliche Justiz nicht verkraftbar“. Gerade im Zusammenhang mit der Überprüfung der Richter aus der ehemaligen DDR erscheine das Verhalten der damaligen Richter und Staatsanwälte besonders makaber, kommentiert ein Mitglied des Berliner Richterwahlausschusses, der Vorsitzende der Berliner Arbeitsgemeinsschaft sozialdemokratischer Juristen, Percy Mac Lean: „Wenn ein Ost-Richter mit der Stasi so zusammengearbeitet hätte wie diese Richter offenbar mit dem Verfassungsschutz, wäre er für die Übernahme in den Richterdienst bei uns völlig indiskutabel.“

Die Berliner Staatsanwaltschaft will ihre weiteren Ermittlungen davon abhängig machen, ob die beschuldigten Richter und Staatsanwälte jetzt im vierten Durchgang des Prozesses als Zeugen zu ihrem Verhalten befragt werden. Über einen entsprechenden Antrag der Verteidiger hat die 18. Kammer des Landgerichts, die den Prozeß zur Zeit neu aufrollt, noch nicht entschieden.

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