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Heseltine greift nach Thatchers Thron

...um das „größte Unglück“, eine Labour-Regierung, zu verhindern/ Thatcher ist wegen der Angriffe aus dem eigenen Lager „sehr traurig“/ Oppositionsführer Kinnock fordert Neuwahlen  ■ Von Ralf Sotscheck

Die britischen Konservativen stehen vor der Zerreißprobe. Margaret Thatchers schärfster Widersacher, der ehemalige Verteidigungsminister Michael Heseltine, hat gestern seine Kandidatur für die Tory-Führung bekanntgegeben. Die Wahl findet am nächsten Dienstag statt. Der 57jährige Heseltine sagte: „Ich bin davon überzeugt, daß ich bessere Chancen als Frau Thatcher habe, die Konservativen zu einem vierten Wahlsieg zu führen und dadurch das größte Unglück zu verhindern — eine Labour-Regierung.“ Der Parteivorsitzende Kenneth Baker erklärte, die Premierministerin werde kämpfen und siegen. Heseltine behauptete, daß er von über hundert Abgeordneten zur Kandidatur gedrängt worden sei. Er glaubt, daß er eine absolute Mehrheit von mindestens 159 Stimmen für Thatcher verhindern und einen zweiten Wahlgang erzwingen könne. Labour-Führer Neil Kinnock nutzte die Gunst der Stunde und forderte umgehend Neuwahlen, weil die Konservativen „so fundamental gespalten“ seien, daß sie unfähig seien zu regieren.

Den letzten Anstoß zu Heseltines Kandidatur gab die Rücktrittsrede des ehemaligen Thatcher-Stellvertreters Geoffrey Howe. Die Rede kam einer öffentlichen Anklage gegen die Premierministerin und ihre „Alptraumvision von Europa“ gleich. Howe sagte: „Die Tragödie ist, daß sie mit ihrer Einstellung zu Europa die Zukunft unserer Nation immer mehr aufs Spiel setzt.“ Er verglich die Regierung mit einem Cricketteam: Sie sei in der gleichen Situation wie der Schlagmann beim Cricket, der beim ersten Ball feststellen muß, daß ihm sein eigener Mannschaftskapitän vor dem Spiel den Schläger zerbrochen hat. Völlig emotionslos fuhr er fort: „Der Konflikt zwischen der Loyalität zur Premierministerin und der Loyalität zum wahren Interesse dieser Nation ist zu groß geworden. Ich halte es nicht mehr länger für möglich, diesen Konflikt innerhalb dieser Regierung zu lösen.“ Howe schloß seine Rede mit einem Satz, den viele Torys als Aufruf zur Meuterei gegen Thatcher interpretierten: „Die Zeit ist gekommen, wo andere sich ihre eigene Antwort auf den tragischen Loyalitätskonflikt überlegen müssen, mit dem ich selbst vielleicht zu lange gerungen habe.“

Howes Rede löste im Unterhaus eine Sensation aus. Nie zuvor war ein Regierungschef aus den eigenen Reihen so scharf kritisiert worden. „Das war kein Messer in den Rücken — das war ein Holzpflock mitten durchs Herz“, sagte Menzies Campbell von den Liberalen. Die Kabinettsmitglieder hatten seit Howes Rücktritt vor zwei Wochen behauptet, er sei aus persönlichen Gründen zurückgetreten. Thatcher hatte bis zuletzt gehofft, daß Howe in seiner Rücktrittsrede politische Differenzen ausklammern würde. Diese Hoffnung zerstörte Howe bereits am Anfang seiner Rede mit beißendem Sarkasmus: „Wenn man einigen meiner ehemaligen Kollegen glauben kann, dann muß ich der erste Minister sein, der zurückgetreten ist, weil er sich in völliger Übereinstimmung mit der Regierungspolitik befand.“

Thatcher, die Howes Rede mit eisigem Lächeln über sich ergehen ließ, sagte am Dienstag abend, sie sei „sehr traurig“. Howes Kritik wiegt umso schwerer, da er seit Thatchers Amtsantritt vor elf Jahren Mitglied ihres Kabinetts war und nach eigener Aussage an „über 700 Sitzungen mit ihr teilgenommen“ habe. Howes Angriff hat die Chancen Heseltines bei der Wahl um die Tory-Führung erheblich vergrößert. Heseltine hegt bereits seit seinem spektakulären Rücktritt als Verteidigungsminister im Jahr 1986 Ambitionen auf den Posten des Premierministers. Er hatte damals Steuergelder für die vor dem Bankrott stehende Rüstungsfirma Westland gefordert, was Thatcher jedoch ablehnte. Heseltine ist ein vorsichtiger Taktierer: Er hatte ständig seine Loyalität zu Thatcher betont und Machtgelüste weit von sich gewiesen, bis er die Premierministerin vor zwei Wochen in einem offenen Brief scharf angriff. Freunde und Feinde beschuldigten ihn daraufhin der Feigheit, wenn er seinen Worten keine Taten folgen ließe. Nach Howes Rede vom Dienstag kam er nicht mehr umhin zu handeln.

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