„Das kann schon zur Bombe werden“

■ Axel Vitzthum, von der Abteilung für vergleichende Ideengeschichte an der Uni Jena, zum rechtsextremen Potential INTERVIEW

taz: Sprechen die schwachen Wahlergebnisse für die „Republikaner“ bei den Landtagswahlen gegen die Prognose, in der DDR gebe es ein großes Potential für Rechtsradikale?

Axel Vitzthum: Man muß unterscheiden zwischen rechtsextremistischen Organisationen und dem Potential bzw. einer breiten Strömung, die solche Einstellungen toleriert. Es ist ein Fehler, die Gefahr des Rechtsextremismus nur an den Prozentzahlen einer Partei abzulesen und die Gesamtstimmung in der Gesellschaft dabei außer acht zu lassen. Eine Reihe von Themen, die ja klassische Themen der Reps waren wie z. B. die Wiedervereinigung, sind ja heute Themen der offiziellen Regierungspolitik. Die Themen, die jetzt von bestimmten rechtsextremen Organisationen aufgegriffen werden, z. B. Forderungen an Polen, sind für den großen Teil einer möglichen Wählerschaft in diesem Spektrum derzeit noch kein Thema. Sollte sich aber die soziale Unsicherheit in der DDR noch verstärken, dazu kommt ja ein extrem hohes Maß an Ausländerfeindlichkeit, dann kann das schon zur Bombe werden.

Worin liegen die Ursachen für das Potential?

Entscheidend sind die Zugänge zu rechtsextremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen. Ein Zugang ist der totale Wegfall eines geordneten Wertesystems. Dann werden neue Orientierungspunkte gesucht. Ein solcher ist die Nation als fixer, natürlicher Orientierungspunkt. Zudem ist aus den Erfahrungen mit einer Politik, die sich sozialistisch nannte, eine sehr große Intoleranz gegenüber jeder linken, ja sogar liberalen Politik entstanden und eine politische Kultur des Streits ist in der DDR überhaupt nicht entwickelt. Aufkommende Differenzen oder Streitpunkte in der Gesellschaft sind immer durch das Gewaltmonopol des Staates entschieden worden. Darin liegt eine Ursache für das Maß in der Bevölkerung, in dem Intoleranz vorherrscht und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht nur akzeptiert ist, sondern auch praktiziert wird. Intoleranz ist ja auch eine Form der Verdrängung der eigenen Vergangenheit. Man verdrängt, daß man sich angepaßt hat, daß man mitgemacht hat, und erhofft sich den schnelleren Einstieg in die neue Gesellschaft, indem man bestimmte Positionen einnimmt, die man für opportun hält. Ich habe den Eindruck, die Leute kaufen die West-Autos nicht nur, weil sie Trabant und Wartburg satt haben, sondern um dazuzugehören und nicht mehr aufzufallen.

Sie führen den Rechtsextremismus u.a. auf den Wegfall von Orientierungen zurück. Vielfach wird jedoch der staatlich verordnete Antifaschismus, also eine feste Orientierung, für das gleiche Phänomen verantwortlich gemacht.

Wir haben einerseits den Antifaschismus als Staatsdoktrin gehabt. Doch die Schlußfolgerung, die Führung und der Staat sind antifaschistisch und dann sind automatisch die Bürger auch antifaschistisch, das ist ein Kurzschluß. Eine Aufarbeitung des Faschismus ist dem Einzelnen überlassen worden, sie war nicht gefordert. Auch jetzt gibt es in den etablierten Parteien die Tendenz, einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte aus dem Wege zu gehen. Es heißt, alles beginnt neu, das Alte ist gestorben. Der 3. OKtober ist aber nicht die Stunde Null.

Sie hatten „Nation“ als neuen Orientierungspunkt genannt, staatlicherseits hat man doch 40 Jahre lang versucht, eine DDR-spezifische nationale Identität herzustellen.

In dem Maß, in dem sich in der Sowjetunion und in Osteuropa Demokratiebewegungen breit gemacht haben, in dem Maße wurde der nationale Sonderweg der Deutschen, des Sozialismus in den Farben der DDR propagiert. Dabei wurde das Bild des arbeitsamen, fleißigen Deutschen kultiviert, der gegen den Kalten Krieg, gegen die schweren Ausgangsbedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Standard in der DDR aufgebaut hat. Der DDR-Bürger wurde als etwas Besonderes im sozialistischen Lager aufgebaut. Dann kam dieser DDR-Bürger im Urlaub an das Schwarze Meer und mußte feststellen, daß er plötzlich Deutscher zweiter Klasse ist. Das sind prägende Erfahrungen.

Ist denn der Rechtsextremismus in der DDR aus der BRD gesteuert?

Bis in den Sommer hinein hat es einen Tourismus rechtsextremer Organisationsleiter aus der Bundesrepublik in die DDR gegeben. Es ist bekannt, daß einige von ihnen wieder an ihre angestammten Orte zurückgegangen sind, denn mittlerweile ist in der DDR eine Struktur und Logistik aufgebaut und es gibt schon etwas wie eine Selbstorganisation unter Anleitung. Man darf aber nicht so tun, als ob das die wesentliche Gefahr sei und die sei damit erledigt, wenn der Verfassungsschutz alles kontrolliert und die Parteien unter einem Prozent liegen. Es geht um die gesellschaftliche Akzeptanz, das ist das Problem. Interview: Bernd Siegler