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Das Viertel und die Droge: „erstaunlich tolerant“

■ Die taz befragte Geschäftsleute, Schulkinder, Verkäuferinnen, Eltern: Wie leben Sie mit Junkies und Dealern?

Kurz vor acht Uhr morgens: AutofahrerInnen und Schulkindern gehören die Straßen im Ostertor und Steintor. Auf den Gehwegen liegen Müll, leere Spritzen-Päckchen, zerbrochene Bierflaschen. Die Geschäftsleute machen sich ans Fegen. Ab neun oder zehn Uhr ist der Bürgersteig stellenweise dicht. In Grupen stehen Kurden zusammen und afrikanische Asylbewerber zusammen.

„Ich beachte die an der Ecke einfach nicht!“ sagt der kleine Chris an der Hand seiner Mutter. Und „mir egal“ antwortet Gesa, 6, auf die Frage, ob sie Angst hat vor denen an der Sielwallkreuzung. Gesa wohnt genau im Eckhaus am Sielwall. „Die Junkies sind ausgesprochen harmlos“, findet ihre Mutter. Weil andere Kinder gerade ins Klassen-Aquarium gefaßt und die Schnecken geärgert haben, muß Bianca, 7, weinen. Sie ist von Junkies schon mal gefragt worden, ob sie Geld dabei hat, „aber dann schnell weggelaufen“. — „Schön ist es ja nicht, aber es gehört zur Realität“, sagt ein Vater, der seinen Sohn zur Schule bringt, „nur weil er was Schweres tragen muß, sonst geht er allein.“ Die Reporterin, innerlich gefaßt auf geballten elterlichen Zorn und Angst oder großes Unbehagen bei den Kindern, ist überrascht.

Nächste Station: Die Geschäftsleute. Etwa Helmut Zorn, Inhaber der Reformhaus-Kette und Vorsitzender des Einzelhandels-Verbandes. Die jüngeren, „grün angehauchten“ KundInnen kämen zwar weiter, aber die älteren blieben weg. Er hat im Stammhaus am O'weg einen Umsatzrückgang von 10 Prozent ausgemacht. Zorn sieht Bremen als „Großumschlagplatz wie Amsterdam“, fordert „dezentralisieren“ und wundert sich über den „Langmut“ der Polizei.

„Die Abhängigen haben oft Konflikte untereinander, aber nicht mit Passanten, die sind ganz friedlich“, sagt „Spleen“-Besitzer Bruns, gleich gegenüber dem Cinema mit Logenplatz fürs Dealergeschäft. Auch seinen Kunden, der gerade einen Micky- Maus-Anhänger kauft, stört die Drogenszene nicht: „Ist eben ein buntes Leben hier.“ Da hat es der vergitterte Supermarkt Penny schon schwerer. „Klar ist das geschäftsschädigend, viele Kunden kommen wegen der Junkies nicht her“, weiß der Geschäftsführer, „die Abhängigen fliegen raus, wenn die klauen oder pöbeln, eigentlich kein Problem.“ Generelles Ladenverbot für Junkies? „Nein. Viele sind ganz normale Kunden!“

Eine Verkäuferin bei Eduscho gegenüber findet die Junkies schrecklich, will das aber nicht offen sagen. Ihre Kollegin Susanne Sens dagegen will keinesfalls weg aus dem Ostertor: „Wenn wir freundlich sind, sind die es auch, und wer motzt, fliegt. Die sind eigentlich nett.“

Auch zu Christa Caesar, seit 40 Jahren Inhaberin des Haushaltswarenladens gegenüber, mögen manche älteren Kunden nicht mehr kommen, „die fühlen sich belästigt“. Mit den Junkies hat sie aber keine Probleme: „Die klauen auch nicht mehr als andere — vielleicht mal einen Löffel!“ Ihr Geschäfts-soll auch das Wohnhaus bleiben: „Wir sind hier in der Stadt! Ich brauch' ein bißchen Leben!“

Genau vor Betten-Gebers am Steintor / Ecke Linienstraße ist der Treffpunkt der Dealer. „Die Telefonzelle vor unserer Tür ist das Drogen-Depot“, weiß der Geschäftsführer. Seit dem Frühjahr habe sich die Lage dramatisch zugesitzt: „Die Kurden lungern hier rum, das schreckt die Stammkunden auch aus dem Einzugsgebiet ab. Sie werden nicht belästigt, haben aber Angst herzukommen. Für uns stellt sich inzwischen existenziell die Standortfrage.“

Almut Daasch gehört direkt an der Sielwallecke das konservative „Rehm“-Damenmoden-Geschäft. „Das Denken hat aber nichts mit der Ware zu tun“, lächelt sie, „die Intoleranz in den anderen Stadtteilen ärgert mich, die Leute müßte man aufklären.“ Wenn sie mal „echt sauer“ sei etwa wegen des Mülls, „dann schnack ich mit denen. Das geht. Es ist ein Zusammenleben.“

Barbara Brockmann-Wrede vom Blinden-Verein am Sielwall kennt die Probleme der Blinden und Sehbehinderten, durch die manchmal dichten Junkiegruppen an der akustischen Signalampel zu kommen, aber „die kommen immer gut hier an, große Schwierigkeiten gibt es nicht.“

Viertelbürgermeister Hucky Heck kennt die „erstaunliche Toleranz“ und fürchtet das „Umkippen“, wenn jetzt schon die Holländer in Bremen Drogen kaufen. Heck: „Die Balance zwischen Hilfe und Repression stimmt nicht mehr. Mehrfach Erwischte müssen in Untersuchungshaft, Dealer abgeschoben werden.“ Am Ortsamt Mitte hängt ein Spritzenautomat. Susanne Paas

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