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Heilige Tradizje

■ Klezmer mit »Brave Old World« im Haus der Kulturen der Welt

Schon die ersten Klänge fahren in die Glieder. Ein geniales Zusammenspiel von Baß, Akkordeon und Joel Rubins Klarinette: Die amerikanische Klezmerband »Brave Old World« spielte am Donnerstag im Haus der Kulturen. Daß die Tradition des Klezmer auf ostjüdische Tanz- und Hochzeitsmusik zurückgeht, braucht nicht erklärt zu werden: Diese Musik macht Lust zum Tanzen. Leider paßte der große Saal der Kongreßhalle überhaupt nicht zu den vier Musikern, die in dem steifen Milieu Mühe hatten, das Publikum zu erwärmen.

Ihr Klezmer ist fröhlich und traurig im gleichen Moment, spritzig, beschwingt, melancholisch, vor allem aber kristallklar: Hier gibt es keine jiddische Sentimentalität, keine rührseligen Imitationen. Der Sänger und Geiger Michael Alpert (bekannt durch die Gruppe »Kapelje«) kann Jiddisch, und er spricht es ohne Akzent. Alan Berns Akkordeon ist mehr als nur Untermalung, und das Multitalent Stuart Brotman springt zwischen Baß, Zimbeln, Percussion und anderen Geräten hin und her (Klei-zemer gleich Musik-Gefäße).

»Die heilige Tradizje fun Klezmerei«, so der polnische Klezmerist Ben Bayzler, dem das Konzert gewidmet war, leitete die Musiker. Aus Gesprächen mit Bayzler und anderen alten Musikern, aus Plattenaufnahmen der zwanziger und dreißiger Jahre rekonstruierten sie, wie sich Klezmer damals anhörte. Aber »Brave Old World« komponiert auch höchst aktuelle Lieder.

Kann man auf jiddisch über Tschernobyl singen? Michael Alpert kann. »Dort in land fun russ dem shtolzn / Hot men di welt schir nit ferschmolzn« — so beklagt er nicht nur den Untergang des ehemaligen jüdischen Dorfes Tschernobyl: »Auf den Gräbern unserer Ahnen tanzt ein neuer Todesengel...« Hier sieht, hört, fühlt man, daß »Brave Old World« den Bogen von Osteuropa über die USA zurück in die Ukraine mühelos beherrschen.

Ein musikalischer Einfall jagt den anderen: Akkordeonist Bern trommelt auf seinem Körper wie auf einem Schlagzeug, Michael Alpert spielt den Hochzeitsspaßmacher, Joel Rubins Klarinettensoli werden immer atemloser, und wenn der Zuhörer sich gerade an einen Rhythmus gewöhnt hat, oder schon klatschen will, folgt die nächste Runde.

Das Klezmer-Revival hat in den USA eine lange Geschichte. Allmählich dringen die Klezmerim auch nach Europa vor. Das Haus der Kulturen der Welt versammelt unter dem Titel »Zwischen Erinnerung und Gegenwart« noch bis zum 30. November Künstler aus Tel Aviv, Berlin und New York. Wer nach all diesen Konzerten immer noch nicht weiß, was Klezmer bedeutet, ist selber schuld. Ayala Goldmann

Heute abend spielt die israelische Gruppe »Sulam« um 20 Uhr im Haus der Kulturen der Welt, zusammen mit Musikern von »Brave Old World« und der »Klezmatics«.

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