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Im Schatten des Interesses

Ein kurzer Überblick über die weltweiten Aktivitäten gegen die Gatt-Verhandlungen/ Beklagt wird die undemokratische Verhandlungsführung, befürchtet werden Nachteile in allen Regionen der Erde/ „Schattenkongreß“ zum Abschluß  ■ Von Klaus Seitz

Seit vier Jahren wird am Sitz des Gatt in Genf hinter verschlossenen Türen über die Neugestaltung des Welthandels beraten. Angesichts der Breite der Verhandlungsbereiche wird es kaum eine Wirtschaftsbranche oder einen Berufsstand, wird es kaum eine Region — sei es bei uns oder in der Dritten Welt — geben, deren Zukunft nicht in irgendeiner Weise von dem, was im Gatt festgelegt wurde, beeinflußt ist.

Und doch liegt das Gatt im Schatten des öffentlichen Interesses. Das ist auch kein Wunder: Öffentlichkeit ist nicht erwünscht. Als im Februar eine Reihe von Umwelt- und Bauernorganisationen in Genf das Gespräch mit den Gatt-Unterhändlern suchten, wurden sie vom stellvertretenden Gatt-Generalsekretär entsprechend gerügt: Das Gatt-Verhandlungsmarathon sei viel zu anspruchsvoll, als daß man sich dergleichen „öffentliche Irritationen von außen“ leisten könne. Auf der anderen Seite aber war zu erfahren, daß am Vortag die Lobbyisten der europäischen Zuckerindustrie durch die marmornen Hallen des mondänen Gatt-Palastes gewandelt waren...

Demokratische Öffentlichkeit ist ersetzt durch Geheimdiplomatie und Lobbyismus. Von demokratischer Meinungsbildung und parlamentarischer Kontrolle des Verhandlungsverlaufes kann im Gatt keine Rede sein. Schon innerhalb der EG ist das Zustandekommen der Verhandlungspositionen nur schwer zu durchschauen.

Daß die wesentlichen Entscheidungen der Gatt-Uruguay-Runde letzendlich zwischen den drei mächtigen Welthandelsblöcken USA, EG und Japan außerhalb des eigentlichen Gatt-Prozesses ausgemauschelt werden, stößt auch bei den Entwicklungsländern auf Protest. Denn nicht nur die allgemeine Öffentlichkeit bleibt außen vor, auch die offiziellen Unterhändler der Dritten Welt selbst finden sich oftmals vor verschlossenen Türen wieder. Mit allem Nachdruck forderte so der brasilianische Botschafter Ricupero vor der Sitzung des Gatt-Leitungsgremiums im Juli „mehr Transparenz“.

Mehr Transparenz — das fordern inzwischen aber auch immer mehr Bauern- und Verbraucher-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen überall in der Welt. Eine internationale Kampagne bemüht sich, Licht in das Dunkel dieser Gatt-Verhandlungen zu bringen. In kurzer Zeit ist es gelungen, zumindest Aspekte des sperrigen handelspolitischen Un- Themas „Gatt“ zu einem wichtigen Gegenstand politische Auseinandersetzungen zu machen.

Aufmerksamkeit in den USA

In den USA wird von den Bauernorganisationen der Verlauf der Gatt- Agrarverhandlungen weitaus aufmerksamer verfolgt, als dies bei uns der Fall ist. Denn noch in diesem Jahr soll erneut über eine neue Agrargesetzgebung, die US Farm Bill, beraten werden — und die wird jetzt praktisch beim Gatt gemacht. Über die Agrarverhandlungen versucht die republikanische Regierung gegen die demokratische Mehrheit im Kongreß, die US-Agrarpolitik durch die Hintertür umzupolen. Dagegen setzt sich zum Beispiel auch die US National Farmers' Union zur Wehr, deren Präsident Leland Swenson eine radikale Liberalisierung des Agrarhandels ablehnt. Während US-Agrobusiness und die Bush-Administration beteuern, mit der Liberalisierung des Agrarhandels die Interessen der amerikanischen Farmer zu vertreten, widerspricht die National Farmer Union ihrer Regierung. Nach einer Umfrage der Gewerkschaft lehnen 70 Prozent der US-Farmer den US-Vorschlag ab.

Mittlerweile hat sich in den USA auch eine landesweite Koalition „Arbeitsgemeinschaft über Handel und eine ökologisch nachhaltige Entwicklung“ formiert. Ihr gehören — von Greenpeace über das Community Nutrition Institute bis zum American Agriculture Movement — zahlreiche Organisationen aus den Bereichen Agrarpolitik, Umweltschutz, Dritte-Welt-Bewegung und Verbraucherschutz an. Die Kampagne konzentriert ihren Widerstand auf zwei ökologisch besonders bedeutsame Elemente: die globale Harmonisierung der Umweltschutzstandards sowie das „ökologische Dumping“. Fortschrittliche Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze sollen nicht unterlaufen werden, und Importe sollen verboten sein, die ihren Kostenvorteil einer zerstörerischen Ausbeutung der Umwelt verdanken.

Reis-Koalition in Japan

In Japan setzt sich eine breite Koalition von Bauern und Verbrauchern, die bei uns in dieser Form unvorstellbar wäre, gegen Agrobusiness-, Handels- und Industrieinteressen zur Wehr. Denn auf dem Spiel steht der Japaner wichtigstes Nahrungsmittel: der Reis. Während Japan bei den meisten anderen Agrarprodukten inzwischen zu einem der weltgrößten Importeure geworden ist, strebt es nach wie vor die Selbstversorgung mit Reis an, auch wenn die japanischen Produktionskosten weit über dem Preis des US-amerikanischen oder thailändischen Reises liegen. Die von den USA wie von der japanischen Industrie geforderte Liberalisierung des Reismarktes würde jedenfalls das Ende für die kleinen Reisbauern im japanischen Bergland bedeuten.

Im März 1990 haben sich daher Verbraucherorganisationen, Bauernverbände, Gewerkschaften und Umweltgruppen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das sich den Schutz und die Sicherheit der Ernährung und der Umwelt zum Ziel gesetzt hat. Mittlerweile sind in Japan rund 30 Millionen Unterschriften für die Beibehaltung der gegenwärtigen protektionistischen Reismarkt-Politik gesammelt worden.

EG operiert „GATTastrophal“

Innerhalb der EG haben sich nichtstaatliche Entwicklungs- und Umweltschutzorganisationen zur Beobachtung der Abschlußverhandlungen zusammengeschlossen. Zeitgleich mit der Brüsseler Runde wird eine internationale „Schatten-Konferenz“ der Nichtregierungsorganisationen vom 28. November bis zum 2. Dezember stattfinden, bei der sich im belgischen Leuven rund hundert VertreterInnen aus Entwicklungsorganisationen und sozialen Bewegungen des Nordens und des Südens treffen. Dabei soll auch ein internationales Netzwerk gegründet werden, das über die Gatt-Runde hinaus gemeinsame Perspektiven für eine solidarische Weltwirtschaft entwickeln will. Die kleine belgische Initiative Gresea, die ihre Kampagne unter das Motto „Operation GATTastrophe“ gestellt hat, ruft ergänzend zu fantasievollen Aktionen am Ort des Geschehens auf.

Zahlreiche europäische Initiativen beschäftigen sich auch mit den ökologischen Konsequenzen — schließlich können Umweltschutzauflagen als „nichttarifäre Handelshemmnisse“ abgeschafft werden. Die Vereinigung Milieudefensie, der niederländische Zweig der Friends of the Earth, hat die Koordination für eine Europäische Gatt- Kampagne zu Umweltfragen übernommen. Leider haben sich die bundesdeutschen Umweltverbände nicht zu mehr als einem gemeinsamen Brief an das Gatt durchringen können.

„Südkommission“ fordert gemeinsamen Widerstand

Die schärfste Kritik am Gatt indes wird derzeit aus den Ländern des Südens vorgebracht. Die Dritte Welt hatte sich insbesondere gegen die Einbeziehung der Verhandlungsbereiche Dienstleistungen, Schutz geistigen Eigentums und Investitionsauflagen zur Wehr gesetzt, in denen die Öffnung der Märkte des Südens gefordert werden. Trotz deutlicher Gegenpositionen von Brasilien und Indien zeichnet sich ab, daß die diesmal gemeinsam agierenden Industriestaaten ihre Interessen durchsetzen werden.

Während sich die Regierungen der Dritten Welt innerhalb des Gatt wegen verschiedener Einzelinteressen bislang nicht zu einer themenübergreifenden einheitlichen Gegenposition durchringen konnten, gemahnen die überstaatlichen Organisationen der „Süd-Kommission“ (eine Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern und Politikern aus zahlreichen Entwicklungsländern) und des „Third World Network“ mit Sitz in Malaysia an den gemeinsamen Widerstand der Entwicklungsländer. Ohnehin mehren sich die Stimmen aus der Dritten Welt, die ein Scheitern der Uruguay-Runde einem diktierten Kompromiß vorziehen würden. Tatsächlich ist es wohl — für dieses Mal — zu spät, um die aktuelle Gatt-Verhandlungsrunde in ein Forum für eine neue, gerechte und ökologische Welthandelsordnung zu verwandeln.

Und wenn Gatt tatsächlich scheitert?

Ein durchaus mögliches Scheitern der Uruguay-Runde birgt sicherlich auch die Gefahr einer neuen Protektionsspirale im Welthandel in sich, in der zunächst einmal die mächtigen Handelsblöcke des Nordens ihre ökonomischen Eigeninteressen in einem rechtsfreien Raum durchzusetzen versucht. Immerhin war und ist es ein positives Anliegen des Gatt, die Handelspolitik der Mitgliedsstaaten internationalen Abstimmungen und Verpflichtungen zu unterwerfen.

Die ausschließlich ökonomistische Behandlung der welthandelspolitischen Fragen und seine liberalistische Doktrin haben Gatt jedoch in ein völkerrechtlich abgesichertes Instrument der Herrschaft des Nordens über den Süden verkehrt. Ein Scheitern der Gatt-Runde würde damit den Druck verschärfen, nach neuen institutionellen Rahmenbedingungen für den Welthandel zu suchen. Darin könnten die Anliegen der strukturschwachen Regionen und der Ökologie einen günstigeren Stellenwert erhalten.

Vor allem aber zeigt der weltweite Widerstand gegen die Gatt-Pläne, daß die Ordnungsprinzipien des Welthandels nicht länger über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen werden können und eine Demokratisierung weltwirtschaftlicher Institutionen längst überfällig ist. In dem Maße, in dem immer mehr Menschen der Entmündigung durch die Welthandels-Verwalter widerstehen, sich kundig machen und sich einmischen, wächst die Kraft, die den solidarischen und ökologischen Umbau der Weltwirtschaft bewerkstelligen kann.

Der Autor ist Mitarbeiter der BUKO- Agrarkoordination und Mitinitiator der europäischen Öffentlichkeitskampagne der Nichtregierungsorganisationen zur Uruguay-Runde.

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