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Fücks Paradigmenwechsel

■ betr.: "What is left?" (Thesen zur Identitätsdebatte der Linken) von Ralf Fücks, taz vom 10.11.90

[...] Fücks Paradigmenwechsel in der Debatte um Identität der Linken scheint nach dem Schema der Neuen Frankfurter Schule abzulaufen: „Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche...“

Linkssein ist angeblich diffuses Weltgefühl geworden. Weg mit den „Heilserwartungen“. Wer so als grüner Vordenker redet, wischt Geschichte, Vergesellschaftungsprozesse und entstandene menschliche Utopie so vom Tisch, als ob er nur noch mitherrschen und -reden (dürfen) möchte.

Wenn Sozialismus nur noch „fromme Absicht“ wäre, dann bliebe der Unterschied zwischen Arm und Reich, Herrschaft und Unterdrückung, Macht und Beleidigung für ewig zementiert. Dann ist die Einverleibung menschlicher Arbeitskraft ins Kapitalverhältnis und die staatliche Regulierung dessen, wohl die Unendlichkeit, das Paradies geworden. Das Wetter, das Klima — sprich die Größe des Ozonloches — bestimmt ab jetzt die Stufen der Gesellschaftsformationen. Verantwortung für ein irgendwie geartetes Gattungsinteresse statt Selbstbestimmung rebellischer Subjektivität sollen die Linken nun übernehmen?

Mit allen Klassen, mit Ausbeutern sollen „wir“ in Dialog kommen, aber nicht über Löhne, Wohnungen, Renten, Warenproduktion, Konsum streiten, sondern tolerant und plural den Gegebenheiten unterworfen sein. „Wahnsinnig werden“, nennt es Fücks, wenn Linke weiterhin die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Überwindung von Religion, Abschaffung von Staatsherrschaft und Familienabhängigkeit als Meßlatte von Emanzipation und Sozialismus ansetzen.

Doch werden ohne Festhalten an diesen Zielen aus den staatlichen Autobahnen keine privaten Autobahnen, sondern wieder grüne Wiesen? Werden aus den Kapitalisten mit Profitinteresse freie Assoziationen von Produzenten naturverträglicher Gebrauchsgüter und entstehen so wirklich selbstverwaltete Kommunen mit dezentraler Energieversorgung? Soll dies ohne (Basis-)Politiker möglich sein, die sich gegen die Bourgeoisie als Vertreter von Klasseninteressen stellen? Oder genügt es, wenn auf diese Auseinandersetzung verzichtet wird und dafür — statt linke Politik zu machen — sozial, freiwillig und mit reinem Gewissen in Kinderläden, soziokulturellen Einrichtungen, ökologischem Landbau und Fischmehlfabriken mitgearbeitet wird? Rotierend selbstverständlich... Peter Hess, Nürnberg

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