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„Nun wird es schwieriger werden“

■ Ein taz-Gespräch mit Tsuneo Wakai, dem Präsidenten der Mitsubishi-Bank, über die weltweite Finanzkrise, die Zukunft der japanischen Auslandsinvestitionen und die Macht der großen Banken/ Von Chikako Yamamoto und Georg Blume

taz: Herr Präsident, obgleich schon vier Monate im Amt, haben Sie sich bisher nicht in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet. Empfinden Sie es als unpassend oder gar fehlerhaft, Ihre persönlichen Einschätzungen zu äußern?

Tsuneo Wakai: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber es ist ja nicht so, daß wir Japaner keine Persönlichkeit entwickeln. Nur haben wir eben oft die gleiche Meinung. Da liegt wohl ein Unterscheid zwischen Europa und Japan.

Liegt es am Nationalcharakter, daß der Chef der Mitsubishi-Bank seiner Regierung nicht öffentlich die Leviten ließt?

Nimmt man Deutschland als Vergleich, dann sind dort die drei großen Banken in der Tat industriepolitisch sehr stark engagiert. Sie haben wahrscheinlich auch ein dementsprechendes Selbstbewußtsein.

Der Name Mitsubishi steht nicht gerade für ein kränkelndes Selbstbewußtsein.

In Deutschland macht die Deutsche Bank mehr oder weniger die Industriepolitik. Auch im Vergleich zur Dresdner Bank oder Commerzbank ist sie übermächtig. In Japan hat keine Bank eine solche Position erreicht. Natürlich lassen sich die elf oder zwölf großen City-Banken nicht ignorieren. Doch unter ihnen sind auch wir nicht vorherrschend.

Als Teil der weltgrößten Firmengruppe Mitsubishi nehmen Sie dennoch eine Sonderstellung ein.

Zugegeben, der Name macht mir die Arbeit leichter. Denn wir spüren, daß Mitsubishi im Ausland wie im Inland einen guten Ruf hat.

Der droht abhanden zu kommen, wenn die Mitsubishi-Bank nicht drastisch ihre Eigenkapitalquote erhöht, die in den letzten Monaten — ähnlich wie bei den anderen japanischen Großbanken — unter die Acht-Prozent-Marke gerutscht ist. Sie liegen damit bereits heute unter dem für 1993 von der „Bank for International Settlements“ (BIS) in Basel weltweit festgelegten Eigenkapitalminimum.

Nach der BIS-Regel müssen wir die acht Prozent Eigenkapital erreichen. Wir werden dem planmäßig entsprechen, indem wir mit unseren Profiten das Eigenkapital stärken und das Vermögenswachstum in einem bestimmten Rahmen halten.

Die Zeit ist abgelaufen, in der die japanischen Banken die Welt mit Krediten überschütteten. Muß die Mitsubishi-Bank schrumpfen?

Schrumpfen werden wir nicht. Nur wachsen werden wir nicht mehr wie bisher. Die Nahost-Krise, die neue Situation in Europa nach der deutschen Vereinigung, die Lage der Sowjetunion, die verschlechterten Wirtschaftsaussichten in den USA, all das zeigt deutlich, daß die hohen Wachstumszeiten vorbei sind — was aber nicht gleichbedeutend mit einer Rezession ist. Das japanische Wirtschaftswachstum bleibt in diesem Jahr voraussichtlich bei 5 Prozent. Für nächste Jahr können wir noch mit 3,5 Prozent rechnen. Entsprechend sollten auch die Banken wachsen. Das wäre doch das Mindeste.

Der Tokioter Börsensturz und die sich anschließende Bankenkrise sind nicht vom Himmel gefallen. Seit 1985 hatte man in Tokio mit Unterstützung des Westens das Zinsniveau künstlich niedrig gehalten. Ist diese Politik aus heutiger Sicht noch vertretbar?

Diese Politik hat bewirkt, daß ausländische Firmen keine Chance auf dem japanischen Finanzmarkt hatten. Für noch schwerwiegender halte ich es, daß diese Politik dem normalen japanischen Verbraucher, also dem Sparbuchhalter, zum Nachteil geriet. Er hätte Anspruch auf höhere Zinsen gehabt. Statt dessen haben die Unternehmen aufgrund des niedrigen Zinssatzes das Geld der Sparer aus den Banken geschöpft und es dann im Ausland angelegt, zum Beispiel für den Immobilienaufkauf.

Lag darin nicht gerade der Sinn dieser Politik? So vergrößerte man den weltweiten Einfluß japanischer Unternehmen auf Kosten ihrer Angestellten.

Die Menschen in Japan sind zu geduldig gewesen.

Auch die Mitsubishi-Bank hat die scheinbar unersättliche Sparlust der japanischen Bürger zum Zwecke der Wachstumsmaximierung ausgenutzt. Fühlen Sie sich mitverantwortlich?

Im Gegensatz zu anderen Industriebereichen ist der Bank nach meiner Auffassung eine öffentliche Rolle angetragen. Die erlaubt uns eigentlich nicht, zuviel zu profitieren. Grundsätzlich lief etwas falsch, als in Japan in den letzten Jahren 20 bis 30 Prozent der Profite an die Banken flossen. Die Banken hatten sich tatsächlich sehr stark am Wachstum orientiert. Diese Zeit ist jetzt vorbei. Wer trotzdem weiter auf Wachstum wirtschaftet oder sogar das Tempo noch forcieren will, dem wird es ergehen wie der Sumitomo-Bank.

Der Spekulationsskandal in der Sumitomo-Bank, bei dem die illegalen Machenschaften eines Filialleiters im Oktober den Kopf des Vorsitzenden forderten, hat im Bankwesen weltweit für Aufregung gesorgt. Leutete der Skandal gleichzeitig eine Wende im japanischen Bankgeschäft ein?

„Bis jetzt hatten wir ein leichtes Leben“

Unbedingt. Bis jetzt hatten wir ein leichtes Leben. Nun wird es schwierig werden. Die sogenannte Liberalisierung hat in anderen Bereichen der Industrie schon stattgefunden, und es wurde mehr oder weniger klar, wer gewonnen und wer verloren hat. Nur die Banken sind bisher verschont geblieben. Deswegen sind jetzt wir dran. Natürlich hat es auch seinen Reiz, in einer Zeit zu arbeiten, in der es darauf ankommt, wer hier sitzt.

Normalsparer in Japan leiden immer noch unter staatlich festgelegten Zinsen. Bis 1993 sollen jedoch alle Zinssätze liberalisiert werden. Wird Ihnen das weh tun?

Weil die Zinsen so niedrig gehalten wurden, war es unsere schwierigste Aufgabe, Spargelder als Kapital zu sammeln. Mit den höheren Zinsen werden wir die Gelder in Zukunft leicht sammeln können. Nur was man mit diesen Geldern macht, ist die Frage. In den letzten Jahren wurden die Gelder oft auf dem Aktienmarkt oder im Ausland angelegt. Das Ergebnis war der Börsensturz. Die japanischen Banken lernen erst langsam, wie schwierig es ist, zwischen Beschaffung und Anwendung des Kapitals zu balancieren. Doch der Prozeß ist notwendig. Das Datum 1993, zu dem alle Zinssätze liberalisiert sein sollen, muß in jedem Fall eingehalten werden.

Herr Präsident, höhere japanische Zinsen, der Bedarf an Eigenkapital in Japan, die relativ stabilen wirtschaftlichen Aussichten hier und die drohende Rezession in der übrigen Welt — läuft das alles darauf hinaus, daß japanische Banken in Zukunft ihre Auslandsinvestitionen drosseln und damit eine weltweite Geldknappheit auslösen?

Bisher steigerten die Banken gleichzeitig Kapital und Schulden. Damit ist Schluß. Zusätzlich wird die BIS-Regelung Veränderungen bewirken. Unter japanischen Bankiers gibt es durchaus auch die Auffassung, daß man von ihnen nicht zur gleichen Zeit erwarten kann, in den USA oder in Osteuropa zu investieren und zugleich das Eigenkapital zu erhöhen. Sie meinen sogar, die BIS- Regelung müsse noch einmal diskutiert werden. Ich teile nicht unbedingt diese Meinung, denn die Investitionstendenzen werden unabhängig davon rückläufig sein, im Inland, aber besonders im Ausland.

In Europa und natürlich ganz besonders in Osteuropa hatten viele bereits das große Geld aus Japan kommen sehen.

Was Osteuropa und die Sowjetunion betrifft, die den Wechsel von der Plan- zu einer Marktwirtschaft versuchen, sollten japanische Banken und Unternehmen nicht an kurzfristige Profite denken. Sie sollten langfristig, also in einem Zeitraum von mindestens fünf oder zehn Jahren überlegen, und danach ihr Verhalten richten. Natürlich braucht Osteuropa, braucht die Sowjetunion Kapital. Noch dringender aber ist es für sie, das neue System zu verstehen und seine Denkweise zu erlernen. Denn ohne die Menschen, die den Umgang damit verstehen, bleibt alles Kapital und jede Investition wirkungslos. Wir sind deshalb bereit, den Ländern bei der Schaffung solcher Voraussetzungen zu helfen. Wir haben ein Büro in Berlin eröffnet. Wir tun, was wir können.

Nur an konkreten Projekten mangelt es bislang. Können Sie uns heute sagen, wo Sie morgen — wenn überhaupt — investieren wollen?

Es ist doch immer der gleiche Prozeß, in dem japanischen Banken im Ausland tätig werden. Es fängt damit an, daß unsere Unternehmer Handel mit dem Ausland treiben, und die Banken Wechsel ausstellen. Im nächsten Schritt errichten die Unternehmer Fabriken im Ausland, und wir beschaffen ihnen das Geld dafür. Und erst danach helfen die Banken den dortigen Unternehmern, also den ausländischen Firmen, bei der Finanzierung. Unablässig ist weiterhin, daß man zuvor ein vertrauensvolles Verhältnis zur dortigen Regierung hergestellt hat. Genauso muß es auch mit den Ländern Osteuropas laufen. Alles andere birgt zu große Risiken. Ich glaube, es werden mindestens fünf Jahre vergehen, bevor die letzte Phase erreicht ist und die osteuropäischen Unternehmen selbständig in der Marktwirtschaft handlungsfähig sind.

Im Herbst hat der Vorsitzende der Daimler-Benz-Gruppe, Edzard Reuter, während seines Besuches in Tokio auf die wirtschaftpolitische Verantwortung hingewiesen, die den weltweit führenden Unternehmen beim Aufbau in Osteuropa und der Sowjetunion zufällt. Teilen Sie seine Auffassung, daß es hier um die Stabilisierung der gesamten Weltwirtschaft geht?

Es gibt bereits einzelne Projekte japanischer Unternehmen in der Sowjetunion und in Osteuropa. Die Banken müssen sich nun erst einmal genau anschauen, auf welche Regierung sie sich dort verlassen können. Die Regierung bleibt der wichtigste Stützpunkt. Allein mit privaten Kräften gibt es doch kein Weiterkommen. Ich glaube zwar nicht, daß die Entwicklungen in Osteuropa noch einmal rückgängig gemacht werden können. Aber der Weg, der vor ihnen liegt, ist ein Zickzack- Kurs.

Bei welchen Ländern haben Sie bedenken, bei welchen weniger?

Die ehemalige DDR befindet sich in der stabilsten Lage, weil sich die Bundesrepublik voll engagiert. Doch denken die Deutschen offenbar, sie allein können sich um die DDR kümmern und bräuchten deshalb keine Hilfe aus Japan. Für uns bleiben also vor allem die Tschechoslowakei und Ungarn. Das sind die Länder, die für uns demnächst in Frage kommen.

Deutsche Banken sind bereits in Moskau und verteilen dort Kredite. Handeln die voreilig?

Gorbatschow und Kohl haben in Bonn einen umfangreichen bilateralen Vertrag unterzeichnet. Das hat alle Probleme gelöst. Zwischen der Sowjetunion und Japan besteht leider noch dieses ungelöste heikle Problem mit den vier nördlichen Inseln. Bevor das nicht aus dem Weg geräumt ist, können wir den deutschen Banken nicht folgen.

Der japanisch-sowjetische Territorialkonflikt um die vier Kurilen- Inseln im Nordpazifik könnte mit dem Gorbatschow-Besuch im nächsten Frühjahr in Tokio ausgeräumt werden. Wie sähen dann die Perspektiven aus?

Wenn es politisch stabil bliebe, wäre die UdSSR ein zukunftsreiches Land. Besonders der fernöstliche Teil der UdSSR liegt in unmittelbarer geographischer Nähe zu Japan. Eine enge wirtschaftliche Beziehung wäre für beide Länder gut.

Kein Rückzug aus den USA

Bereits heute gilt die Mitsubishi- Bank als Garant einer engen wirtschaftlichen Beziehung zu der zweiten Supermacht, den USA. Dort waren Sie bisher das aktivste japanische Geldinstitut. Nun aber gab Berichte, daß Sie Teile ihrer US-Tochter, der Bank of California, verkaufen wollen?

Das waren Spekulationen. Aber japanische Banken und Unternehmen geben so schnell nichts von dem auf, was sie einmal gekauft haben. Wir wissen, daß die Wirtschaftslage in den USA sehr schlecht aussieht. Wir denken deswegen aber überhaupt nicht daran, Teile unserer dortigen Banken oder Niederlassungen zu verkaufen.

Sowohl das Mitsubishi-Daimler- Projekt als auch andere Großprojekte wie etwa der Eurotunnel, an dem Ihre Bank beteiligt ist, verweisen auf eine neue Entwicklung, in der die führenden Banken die Koordination bisher unvorstellbarer Industrieprojekte übernehmen. Fast immer sind auch andere Mitsubishi- Unternehmen mit von der Partie. Verfügen Sie hier als Mitglied der Mitsubishi-Gruppe über besondere Wettbewerbsvorteile?

Das läßt sich nicht leugnen. Im Vergleich zu den Banken, die nicht über die gleichen Verbindungen zu anderen Unternehmen verfügen wie wir, werden wir uns wahrscheinlich häufiger an internationalen Großprojekten beteiligen. Soche Projekt sind für uns natürlich leichter durchführbar, wenn sie von Mitsubishi- Unternehmen geleitet werden. Denn mit ihnen unterhalten wir enge Verbindungen, wir schenken ihnen großes Vertrauen, und wir können bei ihnen bessere Informationen bekommen als anderswo.

Die US-Besatzungmacht in Japan löste den Mitsubishi-Konzern nach dem Krieg auf und spaltete ihn in viele Einzelunternehmen, die ihre Tätigkeiten inzwischen wieder innerhalb der Mitsubishi-Gruppe absprechen. Wird die Gruppe in Zukunft, wo die Projekte immer größer werden, noch enger zusammenwachsen?

Sicher ist es für Mitsubishi-Unternehmen immer einfacher, miteinander zu arbeiten, als mit unbekannten Unternehmen Kontake aufzunehmen. Was aber nicht heißt, daß Mitsubishi-Unternehmen untereinander leicht Kompromisse schließen oder ihre Unabhängigkeit vernachlässigen. Jede Firma hat gegenüber ihren Aktionären eine Verantwortung. Doch eines läßt sich freilich sagen: Alle Mitsubishi-Unternehmer haben ähnliche Meinungen. Sie legen Wert auf das öffentliche Ansehen ihres Unternehmens. Für sie heiligt der Profit nicht alle Mittel. Natürlich will auch die Mitsubishi-Bank Gewinne erzielen, aber wenn uns auch daran gelegen ist, für ein Projekt die Zustimmung der Gesellschaft zu erhalten, dann teilen oft nur die anderen Mitsubishi-Unternehmen unsere Haltung. Mit ihnen werden wir uns schnell einig. Mit anderen ist es oft nicht so einfach. Nehmen Sie nur den Sumitomo-Skandal als Beispiel. Als die Affäre bekannt wurde, haben sogar die Sumitomo-Schwesterfirmen ihre eigene Bank angeklagt und behauptet: „Mit der reden wir nicht mehr.“ Bei Mitsubishi ist so etwas unvorstellbar. Die Zusammenarbeit fällt uns leicht.

Mit solchen Vorteilen können natürlich auch europäische Unternehmen nicht rechnen?

Ich kann mir vorstellen, daß es schwierig ist, wenn Deutsche und Franzosen zusammenarbeiten wollen.

Welche gesellschaftliche und betriebliche Autorität übt der Chef von Japans ruhmreichster Bank aus?

(lacht) Die japanische Mentalität erlaubt es nicht, daß der Chef einer Bank in den Vordergrund tritt. In Japan wird der als wichtiger erachtet, der etwas produziert. Ein Bankier darf nicht vergessen, daß das Bankwesen für Industrie und Verbraucher da ist. Wenn hier jemand fragt, wer mehr Respekt verdient, der einfache, gute Produzent oder der vielverdienende Mann, dann lautet die Antwort: der erste von beiden. Ist es in Europa nicht genauso?

In Europa würde eine solche Haltung eher Bewunderung auslösen.

Es ist nicht nur im Bankbereich so. Das ist Japan.

Lao-tse, der in Japan einstmals vielgelesene chinesische Philosoph, hat den Machthabern dieser Welt ans Herz gelegt, daß ein guter Herrscher nur der sei, der dem Volk unsichtbar ist. Fühlen Sie sich angesprochen?

Lao-tse hat recht. Am besten ist, wenn alles gut läuft, auch wenn man nicht viel redet.

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