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„Wir haben alle Angst vor dem Unbekannten“

An Südafrikas Weißen-Schulen herrscht Reformeuphorie/ Eltern stimmen überwiegend für die Aufnahme farbiger Schüler, aber die weiße Mehrheit muß gewahrt bleiben, sonst zahlt der Staat nicht mehr/ „Richtig schwierig wird das nur für die, die total gegen Schwarze sind“, meint Emma  ■ Aus Johannesburg Tim Murphy

„Wir freuen uns über unsere Entscheidung“, sagt Mister McGeoch, Oberhaupt der Northview High- School in Johannesburg. Am Morgen um acht Uhr steht er im Talar am Pult, um den 20 neuen „Prefects“, den Aufsichtsschülern aus der 11. Klasse, ihren Schwur abzunehmen. Es geht gestreng britisch zu. Alle Kinder tragen propere Uniformen. Der Schulleiter spricht von Disziplin und Führerschaft, aber auch von „Mitleid“: „Ihr müßt anderen Rassen, die vielleicht Schwierigkeiten haben, helfen“.

„Finis Coronat Opus“ steht im Wappen von Northview im Norden Johannesburgs — die Vollendung krönt das Werk. Kinder weißer Familien aus den umliegenden Wohnbezirken der oberen Mittelschicht bekommen hier ihren Schliff. Der Rasen ist sauber geschnitten, die Wege gut gefegt. Doch nun kommen neue Herausforderungen auf die staatliche Bildungsanstalt zu: Am letzten Montag haben 87,8 Prozent der Eltern dafür gestimmt, die Apartheid in der Schule zu beenden.

Vom nächsten Jahr an sollen schwarze Kinder zugelassen werden. Und die meisten Schüler finden das richtig aufregend. Das sei „nur fair“, sagt Howard aus der neunten Klasse. „Es ist nett, daß wir uns mischen können. Wenn wir uns kennenlernen, stellen wir vielleicht fest, daß wir sehr ähnlich sind.“ Viele der Schüler reden von Gerechtigkeit, vom Teilen. „Und außerdem können wir uns so auf das neue Südafrika vorbereiten“, meint Fran.

Die Eltern hatten sich sogar mit Leuten aus Alexandra getroffen, dem nur ein paar Blocks entfernten Schwarzen-Township. Einst lag es weitab von der Stadt, aber die Vororte der weißen Reichen sind allmählich immer näher herangewachsen. „Es gibt da draußen richtig gute Schüler“, meint Natie Wassermann, Vorsitzender des Management-Komitees der Eltern, ein wenig selbstbeschwörend. Die ersten Kinder aus Alexandra und von den schwarzen Hausangestellten, die in den Hinterhöfen der schönen Villen ringsum leben, sollen zum nächsten Schuljahr aufgenommen werden. „Aber wir wollen keine Schwarzen-Mehrheitsverhältnisse“, versichert Mister Wassermann. Nur maximal 50 der über 400 Schüler werden 1991 keine weiße Haut haben. Das Abenteuer ist auf fünf schwarze Kinder pro Klasse beschränkt. „Wir haben alle Angst vor dem Unbekannten“, ergänzt der Schulleiter, „wir müssen lernen“.

In ganz Südafrika stimmen weiße Eltern in diesen Tagen über die Zukunft ihrer Schulen ab. Und wo überhaupt abgestimmt wird, ist das Votum überwältigend positiv. Mitte letzter Woche hatten bereits 91 Schulen beim Erziehungsminister die Genehmigung zur Öffnung nach dem „Modell B“ beantragt. Modell B gibt den Schulen das Recht auf freie Auswahl ihrer Schüler unter Beibehaltung der staatlichen Finanzierung. Für die anderen Modelle, wie Teil- oder Vollprivatisierung, stimmte bislang niemand.

Nur für einige Mitschüler, meint Emma, Schülerin der Athlone Mädchenschule, die am gleichen Tag für Öffnung stimmte, werde es „richtig schwierig sein — für die, die total gegen Schwarze sind.“ Auch viele Eltern seien „eher ängstlich“ und hätten eher aus Einsicht in die Unvermeidbarkeit dafür gestimmt, meint die Schulleiterin; doch nur ein Vater habe gedroht, sein Kind von der Schule zu nehmen. Die meisten Mädchen seien total aufgekratzt, erzählt Schülerin Karen — sie lebt in einem der noch wenigen „grauen Gebiete“ der Stadt, wo die Rassentrennung aufgehoben ist. „Für mich war es eher merkwürdig, hier in eine rein- weiße Schule zu gehen.“

Auch anderswo herrscht echte Reformeuphorie. In der Rhodes High- School zu Kapstadt etwa floß am letzten Donnerstag Sekt, nachdem 89,7 Prozent der Eltern für die Öffnung gestimmt hatten. „Es ist wunderbar, ich bin absolut begeistert“, rief der Schulleiter, „jetzt sind wir Teil des Wandlungsprozesses.“ Erziehungsexperten sind jedoch keineswegs mit den ausgeklügelten Modellen einverstanden. Die gigantische Apartheid-Bürokratie im Schulwesen bleibt intakt: Noch immer ist die Administration von Schulen für Weiße, Schwarze, Inder und sogenannte Coloureds (Farbige) völlig getrennt. Dazu kommen noch die abgekoppelten Verwaltungen der vier für unabhängig erklärten Schwarzen-Homelands. Vier Schulen in der Kap-Provinz haben bereits alle zur Auswahl stehenden Modelle als „unvernünftig, hinderlich und rassistisch“ verworfen, denn auch Modell B diktiert, daß die Mehrzahl der Schüler weiß und der „kulturelle Ethos“ der Schule erhalten bleiben muß — sonst zahlt der Staat nicht mehr. Aufmüpfige Schulleiter wurden sofort mit Disziplinarmaßnahmen bedroht.

Schon ist die Regierung dazu übergegangen, Personal zu entlassen und schwach genutzte Weißen-Schulen zu verkaufen. „Die Lehrer sind alle für die Öffnung“, sagt der junge Afrikaans-Lehrer der Northview High-School, „schon weil unsere Jobs dann sicher sind.“

Schüler aus dem weißen Schulsystem haben mit erfolgreichem Abschluß der siebten Klasse automatisch das Recht auf Zugang zur High- School erworben. Die Kinder anderer Hautfarbe aber werden sich in den neu geöffneten Schulen im Test zu beweisen haben. „Da picken wir uns natürlich die Besten heraus“, erklärt Herr Wassermann, im Hauptberuf Buchhalter, „Kinder von schwarzen Geschäftsleuten.“ Andere Schulen wollen sogar die Eltern schwarzer Kinder durchleuchten, bevor sie deren Kinder einlassen.

Zudem ist eine Öffnung ganz vom guten Willen der Eltern abhängig. Im Orange Free State, dem Kernland konservativen Burentums, hat sich bislang nur eine von 200 Schulen entschlossen, überhaupt eine Abstimmung durchzuführen. In Pietermaritzburg, Hauptstadt der Provinz Natal, warnten rechtsradikale Flugblätter Eltern sogar davor, die „christliche Natur“ und „weiße Sichtweise“ ihrer Schule preiszugeben. Doch auch eine afrikaanse Eliteschule, die Kapstädter „Groote Schuur Laerskool“, Bildungsstätte für Kinder von Ministern, Professoren und Abgeordneten, hat mit überwältigender Mehrheit für Öffnung votiert.

Umfragen haben ergeben, daß etwa die Hälfte der Weißen für integrierte Erziehung ist — drei Viertel aller Englischsprachigen, aber nur ein Viertel der Buren. Zugleich wollen 87 Prozent aller schwarzen Eltern gemeinsame Erziehung. Für die knapp eine Million weißen Schüler wurde im letzten Jahr pro Kopf noch immer viermal soviel ausgegeben wie für sieben Millionen schwarze (3082 gegen 765 Rand pro Kopf — die noch ärmeren „Homelands“ nicht eingerechnet).

Etwa anderthalb Millionen schwarze Kinder gehen überhaupt nicht zur Schule, mehr als 600 000 verließen sie vorzeitig, meist wegen Armut. Das Niveau ist erbärmlich: In schwarzen Schulen fielen beim Abitur im letzten Jahr 58 Prozent durch — von jenen zweieinhalb Prozent, die überhaupt soweit kommen. Streiks und Boykotte lähmen den Unterrichtsbetrieb. Es herrscht dramatischer Lehrermangel. Während für 16 weiße Kinder eine Lehrkraft bereitsteht, müssen sich in schwarzen Schulen 41 Kinder mit einer Lehrkraft begnügen (im Homeland Transkei: 61), die dazu meist noch unterqualifiziert ist: Ein Drittel des Lehrkörpers für „Bantu Education“ (schwarze Erziehung) hat nicht einmal Abitur.

Da kommt der zaghaften Öffnung der ersten weißen Schulen eher symbolische Bedeutung zu. Nichtrassische Erziehung blieb ein Privileg der Reichen aller Rassen — weil keiner sonst die stattlichen Schulgelder der wenigen privaten nichtrassischen Schulen bezahlen konnte.

„Mit kleinen Schritten“, sagt ein Vater von Northview, der schon immer gegen den „Apartheid-Mist“ war, „machen wir eine sanfte Landung im 20. Jahrhundert.“

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