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Kohl zitiert Kant bei der KSZE: „Europa des ewigen Friedens“

■ Euphorie über das Ende des Kalten Krieges in Europa wird überschattet von Gesprächen zum drohenden Golfkrieg/ Gorbatschow warnt vor Nationalismus

Paris (taz) — Europa feiert sich selbst, und Bundeskanzler Helmut Kohl als Sitzungspräsident auf dem KSZE-Gipfel schwärmt mit Kant von der Vision eines „Europas des ewigen Friedens“. So stellte sich der erste Tag des Pariser Gipfels dar, auf dem die Staatschefs der Mitgliedsländer von Warschauer Pakt und Nato den Vertrag über eine konventionelle Abrüstung in Europa und eine Erklärung zum Gewaltverzicht unterzeichneten. Die Euphorie über das „Ende des Kalten Krieges“ in Europa war allerdings durch intensive Gespräche zum drohenden heißen Krieg am Golf überschattet.

Zwar noch „bescheiden“, aber dennoch „relevant“ nannte US-Präsident George Bush in Paris den bislang geschaffenen Rahmen zur Institutionalisierung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Die zum Abschluß des Gipfels am Mittwoch zu unterzeichnende „Charta von Paris“ soll für Bush der Lichtblick in die Zukunft werden, für deren Zustandekommen er ausdrücklich dem jetzigen Präsidenten der CSFR, Václav Havel, und anderen Aktivisten dankte, die sich in der Vergangenheit auf die Schlußakte von Helsinki bezogen haben und deshalb große persönliche Opfer auf sich genommen hätten. Bush warb noch einmal öffentlich für seine Golf-Politik. Im inoffiziellen Teil des Pariser Gipfels nimmt die Krise am Golf ohnehin den Hauptteil der Zeit ein. Gestern abend wollten Bush und Gorbatschow diese Frage beraten.

Präsident Gorbatschow knüpfte an Bushs Aufruf zur Standhaftigkeit gegenüber Saddam Hussein an und bekräftigte noch einmal die Absicht der Sowjetunion, den Resolutionen der Vereinten Nationen in jedem Fall zur Durchsetzung zu verhelfen. Den KSZE-Gipfel bezeichnete Gorbatschow als wichtigstes Ereignis in „dieser Phase des Umbruchs“. Ohne die Veränderung der Beziehungen zwischen den Supermächten, so Gorbatschow im Rückblick, wäre es bei den Ereignissen in Osteuropa zum Krieg gekommen.

Trotz der als so positiv gefeierten KSZE-Erklärung beschwor Gorbatschow vor allem die Gefahren, die Europa durch militanten Nationalismus und Separatismus drohen. Ohne die UdSSR beim Namen zu nennen, warnte er vor einer Libanisierung Osteuropas. Er forderte, aus dem jetzt beschlossenen „Konfliktverhütungszentrum“ in Wien perspektivisch einen echten europäischen Sicherheitsrat zu bilden, der Konflikte im Keim ersticken könnte.

Der französische Staatspräsident Mitterrand als Gastgeber hatte zur Eröffnung der Tagung hervorgehoben, daß hier zum ersten Mal Veränderungen in Europa verhandelt würden, die nicht von blutigen Kriegen oder Revolutionen verursacht seien. UN-Generalsekretär Perez de Cuellar meinte: „Europa kann hier das Instrument zu bleibendem Frieden gefunden haben.“ Der Gipfel soll am Mittwoch mit einer „Charta von Paris“ abgeschlossen werden, die die Grundzüge für eine politische Neuordnung Europas formuliert. SEITE 2

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