: Der langsame Abgang der „Eisernen Lady“
Ein zweiter Wahlgang um die Tory-Führung ist erforderlich, nachdem Margaret Thatcher die notwendige Mehrheit knapp verfehlte/ Heseltine sagt seinen Wahlsieg voraus/ Die Labour Party stellt einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Besser hätte es die britische Labour Party auch nicht arrangieren können: Der Alptraum nimmt für die Torys kein Ende. Zwar gewann Premierministerin Margaret Thatcher am Dienstag abend die Wahl um die Parteiführung mit 55 Prozent der Stimmen recht deutlich gegen Michael Heseltine, der auf 41 Prozent kam, doch sie verfehlte die vorgeschriebenen 15 Prozent Vorsprung um vier Stimmen. So müssen die konservativen Abgeordneten am nächsten Dienstag erneut den Gang zur Wahlurne antreten.
Bereits am späten Nachmittag hatten sich zahlreiche Abgeordnete vor dem Konferenzsaal im Unterhaus versammelt, wo die Stimmen ausgezählt wurden. Gegen Abend drängelten sich Hunderte von Parlamentariern in den Gängen und spekulierten über den Ausgang der Wahl. Umfragen unter den konservativen Abgeordneten hatten auf einen überwältigenden Sieg Thatchers hingedeutet. Das Ergebnis der geheimen Wahl bewies jedoch, daß viele gelogen hatten.
Für Verwirrung sorgte die BBC. In den Abendnachrichten wurde bekanntgegeben, daß Heseltine die Wahl gewonnen habe und auf dem Weg zur Königin sei, um sich zum Premierminister ernennen zu lassen. Wenig später wurde das widerrufen: Man habe Tonbänder für jeden möglichen Wahlausgang vorbereitet und leider das falsche Band aufgelegt.
Die Reaktionen der Tory-Abgeordneten auf das Ergebnis zeigen, wie tief gespalten die Partei ist. Transportminister Cecil Parkinson sagte: „Ich glaube nicht, daß das gut für unser Land ist.“ Thatcher- Anhängerin Teresa Gorman verließ leichenblaß das Unterhaus und sagte: „Mir ist schlecht, physisch schlecht.“ Sie machte die „undemokratische 15-Prozent-Klausel“ für die Vertagung der Entscheidung verantwortlich und forderte Heseltine auf, angesichts des Wahlergebnisses seine Kandidatur zurückzuziehen. Dieser dachte jedoch überhaupt nicht daran und ließ sich gestern erneut nominieren. Heseltine sagte, daß ihm zahlreiche Abgeordnete versichert hätten, beim zweiten Wahlgang nicht mehr für die Premierministerin zu stimmen. Der Abgeordnete Robert Rhodes-James meinte: „Das ist das Ende für sie.“ Sein Kollege Anthony Beaumont-Dark fügte hinzu: „Sie kann der Partei nur noch schaden. Warum glaubt sie nach glorreichen zehn Jahren, daß ihr die Partei gehört?“
Thatcher erfuhr von dem Wahlergebnis in der britischen Botschaft in Paris, wo sie an der KSZE-Konferenz teilnahm. Kaum waren die Zahlen bekannt, da stürmte sie aus dem Gebäude und gab eine kurze Presseerklärung ab: „Ich bin natürlich sehr erfreut, daß ich mehr als die Hälfte der Abgeordnetenstimmen erhalten habe und enttäuscht, daß es nicht ganz gereicht hat, um beim ersten Wahlgang zu gewinnen. Ich bestätige meine Absicht, beim zweiten Wahlgang zu kandidieren.“
Ihre überhastete Reaktion löste selbst bei ihren eigenen Anhängern Verärgerung aus. Verschiedene Kabinettskollegen hatten gehofft, daß Thatcher bei einem Scheitern in der ersten Runde zurücktreten und dadurch den Weg für einen Kandidaten aus dem Kabinett freimachen würde. David Howell, der in den achtziger Jahren von Thatcher aus der Regierung gefeuert worden war, sagte: „Ich bin entsetzt, daß die Premierministerin bereits erklärt hat, sie werde kämpfen.“ Auch sein Parteikollege Patrick Cormack bedauerte Thatchers überrumpelndes Vorgehen: „Ich hätte an ihrer Stelle die Sache erstmal überschlafen.“
Der Tory-Vorsitzende Kenneth Baker versuchte, den Schaden zu begrenzen. Er bedauerte, daß den Torys eine weitere „Woche der Erschütterungen“ bevorstehe, prophezeite jedoch, daß sämtliche Abgeordneten nach der Entscheidung wieder loyal zur alten und neuen Parteichefin stehen würden. Die Realität sieht jedoch anders aus: Selbst wenn Thatcher die Wahl am Dienstag gewinnen sollte,kann sie die Partei nicht mehr hinter sich vereinen. 45 Prozent der eigenen Abgeordneten sind gegen sie. Das macht ihre Lage unhaltbar. Experten gehen davon aus, daß Thatcher — sollte sie den nächsten Dienstag überstehen — spätestens im Frühjahr vom einflußreichen Komitee der Hinterbänkler zum „ehrenvollen Rücktritt“ gezwungen wird. Der erbitterte Wahlkampf der Thatcher-Anhänger hat die Gräben innerhalb der Partei weiter vertieft: Heseltine sei ein „inkompetenter Krypto-Sozialist“, behaupteten die Thatcheristen.
Labour-Führer Neil Kinnock konnte sich das Lachen am Dienstag abend kaum verkneifen. Er sagte, die Torys seien „von Kopf bis Fuß gespalten und unfähig zu regieren“. Sein Stellvertreter Roy Hattersley meinte, Großbritannien sei seit Dienstag abend ohne Führung. Die Labour Party hat einen Mißtrauensantrag gestellt, über den heute im Parlament entschieden wird.
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