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Hundert Jahre Seife, Suppe, Seelenheil

■ Die Berliner Heilsarmee ist hundert Jahre alt geworden/ Mit Gott auf ihrer Seite führt sie einen Krieg gegen das Elend

Berlin. Seit hundert Jahren führt sie in Berlin Krieg mit Gitarren und frommen Liedern: die Heilsarmee, die sich auch ungeniert martialisch „Armee Gottes“ nennt. Seit hundert Jahren marschiert die Division auf dem Feldzug der Nächstenliebe, kämpft für Jesus und das Gute. Die Heilsarmee führt Krieg gegen Alkohol und Drogen, gegen moralische Verwahrlosung und Gottlosigkeit, gegen soziales Elend und eitlen Hochmut. Und »weil man einem hungrigen Magen und schmutzigen Füßen nicht predigen kann«, wie es der Gründer William Booth vor 124 Jahren aufschrieb, praktiziert sie heute noch und weltweit handfeste Nächstenliebe. Ohne Sakrament und Weihrauch, aber immer nach der Devise: Seife, Suppe, Seelenheil. Angie Meyer ist eine dieser Soldatinnen wider die Sünde und die Not. 270 Soldaten gibt es in ganz Berlin, über zwei Drittel von ihnen sind Soldatinnen. Angie gehört zum Korps Schöneberg, einem der fünf Korps in der Stadt. An vielen Abenden und an jedem Wochenende schlüpft sie in ihre blaue Uniform und macht sich mit Klapperbüchse und Gebetbuch auf den Weg. Ihr Einsatzgebiet ist die Kurfürstenstraße. Die Seelen, die sie erretten will, stecken in Huren, Drogensüchtigen und Obdachlosen. Begleitet wird Angie an jedem Wochenende von Sigi Fischer.

Die beiden sind seit einer Woche verlobt, sind ineinander, aber auch, wie sie strahlend sagen, »in Jesus verliebt«. Sigi ist kein Soldat, sondern ein »Freund der Heilsarmee«, und als Freund trägt er bei den »Einsätzen« nicht die »bekennende und erkennbare« Uniform, sondern Zivil. Aber missionarisch erfüllt ist auch er. Niemals, sagt Sigi, »könnte ich mit einer Frau leben, die ihren Glauben nicht zeigt«. Und so ziehen die beiden an ihren kostbaren Wochenenden aus — nicht wie ihre Altersgenossen in die Diskothek, sondern auf die Straße, »um Seelen zu retten, die schwärzesten zuerst«.

Das Berliner Divisionshauptquartier in Friedenau hat jetzt Angie gebeten, sich doch hauptamtlich für die Heilsarmee zu engagieren. Angie soll mit Sigis Hilfe eine Wärmehalle in Prenzlauer Berg einrichten und führen. Es wäre die erste Einrichtung der Heilsarmee in Ost-Berlin. Über vierzig Jahre lang war die Missionsarbeit verboten. Aber dieser Schritt will gut überlegt sein, denn beide müßten ihre Berufe aufgeben. Sie verkauft Hamster und Goldfische in der elterlichen Zoohandlung, er ist gutverdienender und beamteter Sozialarbeiter. Als Hauptamtliche müßten sie von dem spärlichen Gehalt der Heilsarmee leben. 1.200 Mark netto plus Wohnung ist der Einheitslohn eines Ehepaars. Aber erst mal müssen sie es werden — geheiratet wird Anfang Januar. Und bis dahin »bewahren sie sich füreinander auf«. Getraut werden Angie und Sigi von »Halleluja-Joe«, und gefeiert wird im Wohnheim für Obdachlose.

Der Halleluja-Joe ist ein ganz erfahrener Bursche. Ein Vorzeigeoffizier der Heilsarmee. Früher hieß er »Holländer-Joe«, und über seine »Erweckung« hat er ein Buch geschrieben. Vom Zuhälter zum Heilsarmee- Offizier heißt es. Der Halleluja-Joe hat nämlich Karriere im Frankfurter Bahnhofsviertel gemacht. Vier »Pferdchen« hat er laufen gehabt, und zugeschlagen hat er auch. Wegen versuchten Polizistenmordes saß er über neun Jahre im Knast, wurde dort »errettet« und einige Jahre später Offizier. Jetzt kümmert er sich um drogenabhängige Jugendliche und Haft-entlassene. Der ehemalige Zuhälter ist mit einer Offizierin verheiratet, die drei Kinder sind jetzt schon auf dem richtigen Weg.

Angie hat Glück, nicht nur, weil sie Jesus und den Sigi gefunden hat, sondern auch, weil sie keine Offizierin ist. Denn wäre sie eine, dann dürfte sie keinen Zivilisten heiraten. Die Sitten sind streng bei der Armee. Im Offiziershandbuch der Heilsarmee, Band II, Teil fünf, steht es ganz genau. Offiziere dürfen nur Offiziere heiraten oder solche, die es ganz bestimmt werden.

Ineinander, aber auch in Jesus verliebt

Und selbst wenn der Sigi aus Liebe Offizier geworden wäre, dann könnte Angie keine Wärmehalle leiten. Denn die Arbeitsteilung ist bei den »Salutisten«, wie sie sich selbst nennen, ganz genau geregelt. »Die Offizierin führt den Haushalt, versorgt die Familie und steht ihrem Mann im Dienst zur Seite. Bei Scheidung erfolgt die Enthebung aus dem Offiziersrang.«

Hans Werner Kuchta ist Offizier, 36 Jahre alt und immer noch unverheiratet. Er ist einer der 22 ordinierten Offiziere in Berlin, also Seelsorger und Sozialarbeiter in einer Uniform. Sein Korps in Charlottenburg ist das kleinste in Berlin. Nur 13 Soldaten führt er zu Gott und auf die Straße. Sein Schlachtfeld sind die Bars zwischen Kaiser- und Kurfürstendamm. Er gibt zu, daß es die Offizierinnen schwer haben, einen Lebenspartner zu finden. Denn auf zehn Kanditatinnen kommt ein Kandidat. Und Offiziere wie Kuchta verderben noch diese unausgewogene Statistik. Aber er will sich zur irdischen Liebe nicht zwingen lassen. »Ledige«, sagt er, »haben der Heilsarmee sehr viel gegeben.«

Kuchta bedenkt mit diesem Lob vor allem die geistige Führerin der Salutisten. Zum zweitenmal in der Geschichte der Heilsarmee hat eine Frau den Generalsrang erobert: die unverheiratete Australierin Eva Burrows. Zum hundertsten Geburtstag des christlichen Feldzugs in Berlin war sie zum Buß- und Bettag in die Stadt gekommen. Mit ihr im Troß die gesamte deutsche Führungsspitze. Zwei Tage lang erfuhren die Berliner Heilssoldaten und die interessierte Öffentlichkeit geistige Fürsprache und moralische Aufrüstung. Im Haus der Sowjetischen Kultur und Wissenschaft zelebriert sie den Erweckungsgottesdienst. Die Zuhörer werden zur öffentlichen Entscheidung für die Armee Gottes, zur Bekehrung oder neuen Hingabe für Jesus aufgerufen. Ihre Stimme ist sanft und suggestiv, das Werben wird mit Klaviermusik unterlegt. »Bleib nicht auf deinem Platz sitzen, wenn der Heilige Geist dich drängt«, beschwört sie, »komm nach vorne und bekenne.« Und immer wieder stimmt sie es an, das alte Erweckungslied Komm, heiliger Geist.

Eva Burrows ist eine gute Seelenfängerin. Mehr als zehn Zuhörer drängt es, auf der »Bußbank«, einem besonderen Charakteristikum der Heilsarmee, Platz zu nehmen. Unter den Bekennenden sind auch Angie und Sigi. »Wenn Jesus uns will«, und dies meinen sie mit ihrem Bekenntnis, »dann werden wir seinen Kriegsruf annehmen und mit der Wärmehalle für Gott und die Menschen streiten.« Anita Kugler

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