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BAISSE BEI PICASSO & CO VONMATHIASBRÖCKERS

Es konnte nicht ewig dauern, und so geschah es. Letzte Woche platzte die schillerndste Blase der Finanzspekulation der 80er Jahre: der Boom der Kunst.“ So eröffnete die Titelseite des 'Wall Street Journal‘ am vergangenen Wochenende den Abgesang auf das, was Renditejägern und Spekulationshaien in den vergangenen Jahren Tränen in die Augen trieb: die beispiellosen Zuwachsraten von mehreren hundert Prozent per annum, die vor allem Maler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bei Kunstauktionen erzielten. Kaum sechs Monate ist es her, daß der japanische Geschäftsmann Ryoei Saito mit 82,5 Millionen Dollar für van Goghs „Dr. Gachet“ einen neuen Auktionsweltrekord aufstellte.

Die großen Herbstversteigerungen der führenden Kunsthäuser — Sotheby's und Christie's — aber zeigen, daß der Boom der schönen Künste offenbar an sein Ende gekommen ist: Bei Christie's Topauktion Anfang November blieb ein Drittel der angebotenen Impressionisten und modernen Meister liegen, darunter ein für 12Millionen ausgerufener van Gogh. Noch härter traf es die zeitgenössische Kunst: Für die Hälfte aller angebotenen Werke fand sich kein Käufer, bei Sotheby's waren es sogar 58 Prozent, darunter Werke von Jasper Johns, Dubuffet und Liechtenstein. Für Andy Warhols „12 Jackies“ etwa, auf mindestens 600.000 Dollar geschätzt, wurden nur 380.000 Dollar geboten — die Porträts der Reeder-Witwe blieben unverkauft. Auch ein von der Chefin von Christie's New York, Diane Upright, auf 3 bis 4 Millionen beziffertes Selbstproträt Warhols, das als Favorit des Hauses das Cover des Auktionskataloges zierte, erwies sich als Ladenhüter: 1,6 Millionen wurden, erfolglos, dafür geboten. Robert Rauschenbergs „Third Time Painting“ kam (für stattliche 2,8 Mio) nur deshalb an einen neuen Besitzer, weil man die Preiswerwartung am Tag vor der Auktion von 4 auf 3 Millionen reduziert hatte.

Vor einem Jahr sah es noch anders aus, ein großformatiges Werk des Popmeisters Liechtenstein, für das eine halbe Million verlangt wurde, kam erst bei 687.000 Dollar unter den Hammer, drei weitere wurden ebenfalls gut verkauft. Dieses Jahr kamen die Gebote für ein vergleichbares Bild, ausgezeichnet mit 1,5 bis 2 Millionen, über 600.000 nicht hinaus — es blieb, wie vier weitere Liechtensteins, unverkauft. Im Vorjahr setzten Sotheby's und Christie's mit zeitgenössischer Kunst knapp 500 Millionen Dollar um, dieses Jahr ist es nach Angaben des 'Wall Street Journals‘ gerade noch die Hälfte.

„Die Orgie des Fiebers ist zu Ende“, wird ein Sammler zitierte, für den der Einbruch nicht überraschend kommt: „Die Preise stiegen manchmal um das Vier- bis Fünffache in einem Jahr, das konnte nicht ewig gutgehen.“ Mittlerweile fallen nicht nur die überschätzten Jungstars, selbst der Marktwert von Picasso geht nach unten.

Zwar beeilten sich die Sprecher der Auktionshäuser mit dem Hinweis, daß einige fehlgeschlagene Versteigerungen nicht das Ende des Markts bedeuten — die Börse unterdessen hat schon darauf reagiert. Die Aktien von Sotheby's, auf dem Höhepunkt des Bilder-Booms vor zwei Jahren mit 37 Dollar notiert, werden in der Wall Street derzeit für 10 Dollar gehandelt; Christie's Aktien, die Anfang des Jahres noch 9 Dollar kosteten, sind mittlerweile für 3,95 das Stück zu haben und die Firma hat ihren Business Manager nach Japan geschickt, um Investoren zu finden. Das Brot-und-Butter-Geschäft der Auktionshäuser — Juwelen, Bücher, Silber — läuft nach Angaben von Christie's weiterhin gut, und man hat auch schon einen neuen Boom-Markt ausgemacht: antikes Spielzeug und lateinamerikanische Malerei. Was die Baisse der Schönen Künste betrifft, erklärt Christie's Mr. Burge sie mit einem Überangebot: „Die Leute müssen verkaufen, weil sie irgendwelche Bankforderungen erfüllen müssen, aber wir können Kunst deswegen nicht zu Rabatt-Keller-Preisen handeln. Dies wird den Markt wieder auf die Füsse bringen.“ Händler und Sammler schätzen, daß die Konsolidierungsphase vielleicht zwei Jahre anhalten wird, Spekulanten erwägen, im nächsten Herbst, zu noch tieferen Preisen, langsam wieder einzusteigen. Richtig freuen kann sich über den Einbruch am Kunstmarkt nur einer, Tony Shafrazi, Kunsthändler und Freund des Anfang des Jahres gestorbenen Top-Graffiteurs Keith Haring. Als die Aids-Erkrankung des Künstlers bekannt wurde, kam der „Leichenschänder-Faktor“ (Shafrazi) der Kunstwelt zum Vorschein. Sammler horteten Harings Bilder in Erwartung seines baldigen Todes. Der Spitzenpreis für einen Haring stieg von Mai 1987 bis Oktober 1989 um das 18fache, von 13.200 auf 231.000 Dollar. In diesem Herbst wurden 19 Haring-Bilder angeboten, etliche blieben unverkauft. „Das war gut so“, meint Tony Shafrazi, „die Spekulanten zahlen für ihre extreme, lächerliche Gier. Sie kriegen weniger Geld heraus als sie reingesteckt haben.“

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