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Verwirrter Geist und sexuelle Frustration

■ Morgen beginnt in Lyon die zweite Hälfte der Schach-WM zwischen Garri Kasparow und Anatoli Karpow

Berlin (taz) — Eine der ersten Amtshandlungen des Ayatollah Chomeini nach seiner Machtübernahme im Iran war das Verbot des Schachspiels. Als Begründung führte der mittlerweile verblichene Chef-Schiit nicht etwa die moralwidrige Präsenz unverschleierter Damen auf dem Brett an, sondern enthüllte: „Schach ist ein teuflisches Spiel, das den Geist derjenigen verwirrt, die es praktizieren.“

Besonders nachhaltig scheint der Scheitan in der Schlußphase der ersten Halbzeit der Schachweltmeisterschaft zugeschlagen zu haben. Beim Remis-Festival von New York — zehn der zwölf Partien endeten unentschieden — häuften sich die krassen Fehler der beiden Kontrahenten Garri Kasparow und Anatoli Karpow derart, daß einige Beobachter bereits Unrat witterten.

Die 12. und letzte Partie in dem kleinen Theater am Times Square bezeichnete der spanische Journalist Leontxo Garcia analog der Theorie des amerikanischen Psychologen Reuben Fine, daß Schachspieler auf dem Brett ihre sexuellen Frustrationen ausleben, gar als „coitus interruptus“. Trotz leichter Vorteile Karpows einigten sich die zwei Erzrivalen, die sich inzwischen schon 143 Mal, mehr als 700 Stunden, sinnenderweise gegenübergesessen haben, erneut auf ein Remis. Unverblümt wurde der Verdacht geäußert, daß sie sich abgesprochen hätten, die letzten drei Partien zwecks Kräfteersparnis nach relativ wenigen Zügen unentschieden enden zu lassen.

Kasparow und Karpow verwahrten sich heftig gegen derartige Unterstellungen. „Ich will nicht mehr über diesen Mist sprechen“, wetterte der 27jährige Titelverteidiger Kasparow und wies darauf hin, daß er mit seinem Gegner lediglich nach einigen Partien in aller Öffentlichkeit ein paar Worte gewechselt hatte. Sonst habe er keine Silbe mit ihm geredet, was man dem Liberalisten aus Baku in Anbetracht seines unterkühlten Verhältnisses zum zwölf Jahre älteren Parteifunktionär Karpow gern glauben möchte. Karpow meinte, die Sache entbehre „jeglichen logischen Sinns“, denn schließlich habe in den fraglichen Partien Kasparow zweimal den Vorteil der weißen Steine besessen und hätte sich durch eine Absprache selbst in die Pfanne gehauen.

Erklärungen für den hanebüchenen Blödsinn, den sie gelegentlich zusammengespielt hatten, konnten allerdings beide nicht bieten. Kasparow machte das „Nervensystem“ für seine anfängerhaften Irrtümer verantwortlich. „Meine Ergebnisse beweisen, daß ich Karpow überlegen bin“, sagte der Weltmeister, „aber wenn ich gegen ihn spiele, kann ich das nicht umsetzen.“

Der Herausforderer hingegen klagte einmal mehr über die Organisatoren, die ihn behandelt hätten, „wie es schlechter nicht sein konnte“, wehrte sich aber gegen Kritiker, die diesen WM-Kampf als einen der schlechtesten der Geschichte abqualifiziert hatten. „Alle Weltmeister, auch Bobby Fischer, haben schwere Fehler gemacht. Die erste Hälfte war sehr interessant, sehr kämpferisch und es gab einige Partien von außerordentlich hoher Qualität, die vierte zum Beispiel.“ Unnötig zu sagen, daß sie mit einem Remis endete.

Am Schluß der New Yorker WM- Etappe stand es 6:6, jeder der beiden hatte eine Partie für sich entscheiden können. Ab morgen sitzen sich Kasparow und Karpow im französischen Lyon gegenüber, um die restlichen, maximal zwölf, Partien auszuspielen. 1,7 Millionen Dollar Preisgeld kassiert der Sieger, als Dreingabe gibt es für den Gewinner der Lyoner Serie eine mit 1.018 Diamanten besetzte Trophäe.

Anatoli Karpows Chancen, das edle Schmuckstück einzuheimsen, stehen ziemlich gut. Bislang hatte der Ex-Champion zur Halbzeit stets zurückgelegen, dann eine starke Phase gehabt und zum Schluß doch noch verloren, da Kasparows „Nervensystem“ ausgerechnet in der entscheidenden Phase, wenn es um die „big points“ ging, stets am besten funktionierte. Darauf baut der Weltmeister auch diesmal. „Ich hoffe, daß ich in Frankreich wieder der sein werde, der ich immer bin.“ Wenn ihm nur der Teufel nicht wieder den Geist verwirrt. Matti

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