: Zwischen Einheitsknall und Zukunftsangst
Betrübte Gesichter beim Bundesjournalistentag der IG-Medien in Mainz: Was wird aus der deutschen Medienlandschaft/ Alfred Grosser: Neue Chance zur Pressefreiheit ■ Von Joachim Weidemann
Ein seltsamer Journalistentag war das: Die Krise der Linken, so scheint's, ist nunmehr auch den Mitgliedern der gesamtdeutschen IG Medien, die am Samstag in Mainz tagte, tief in die Knochen gekrochen. Schallt in den Ohren der WestkollegInnen noch der vergangene Einheitsknall nach, so spiegeln die Augen der anwesenden OstkollegInnen bereits Zukunftsangst. Trauern die WestlerInnen zum Teil um die Einführung der Marktwirtschaft im Osten, so recken die OstlerInnen indessen ihre Hälse nach einem neuen Weg durch die verworrene Markt- und Medienlandschaft. Die IG Medien sieht schweren Zeiten entgegen.
„Ein altes Monopol ist durch ein neues ersetzt worden.“ Läßt sich der Wandel der Medienlandschaft in der früheren DDR heute so kennzeichnen? „Ja“, urteilt Lothar Bisky, medienpolitischer Sprecher der PDS und Professor der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam. Für ihn sind „die Illusionen der erhofften Pressefreiheit“ schon geschwunden, der Verflechtung der SED folge nun die Verfilzung durch Großkonzerne, dem Kommunismus sei nun der „Kolonialismus“ auf den Fersen.
„Nein“, entgegnete auf dieselbe Monopolfrage der Pariser Publizist Alfred Grosser. Grosser, Hauptreferent dieses Journalistentages, erklärte im Hinblick auf Vergangenheit und Gegenwart der fünf neuen Bundesländer: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Begrenztheit der Ausübung einer Pressefreiheit und der Abwesenheit der Pressefreiheit.“
Grosser nannte den 3.Oktober 1990 und die jüngst unterzeichnete KSZE-Schlußakte von Paris einen „Sieg unserer Werte“ — was GewerkschafterInnen wie Jutta Dittfurth indes heftigst bestritten. Geht es nach Grosser, so kann in der „neue Lage viel getan werden zugunsten der Pressefreiheit“. „Nach dem Sieg unserer Werte“ im Osten, sagte der Pariser Publizist, „ist es nicht mehr möglich die Vergewaltigung dieser Prinzipien bei uns selbst zu dulden, weil es nur kleine Dinge seien.“
Bezüglich „Säuberungen“ der Medien von früheren SED-Hofschranzen sprach Grosser sich fürs Maßhalten aus: „Soll gesäubert werden? Oder wie die Sprachregelung heißt: Soll ,aufgearbeitet' werden? Ja und Nein. Wer in starker Position war und andere hat unterdrücken können, soll weg aus seiner starken Position.“ Allerdings: „Niemand ist berechtigt, hart zu urteilen.“
Grossers Beispiele für heutige Richter, die selbst im Glashaus sitzen und nicht mit Steinen werfen sollten: SPD, CDU und die evangelische Kirche. Die SPD habe sich früher mit dem Begriff „Bruder Honnecker“ bei der SED angebiedert. Die Ost- CDU jedoch sei „nicht nur zu freundlich zur SED“ gewesen — sie habe zu SED-Zeiten „sogar dafür Geld bekommen, alles mitzumachen, alles zu unterschreiben, alles gutzuheißen“. Die Kirche habe eine „sehr doppeldeutige Rolle gespielt“. Grosser: „Sie war eine Freiheitsnische; sie war aber auch die größte Legitimationsinstanz des Regimes.“ Wer also ist in der Ex-DDR ohne Sünde, daß er den ersten Stein nehme? Und wer in der Ex-BRD?
Auch wenn die Pressefreiheit im Westen zu wünschen übrig läßt, lobte Grosser doch den bundesdeutschen Journalismus (West): „Bitte vergessen Sie nicht, wie gut Sie sind — vor allem im Vergleich mit Frankreich.“ Es gebe genügend Großstadtzeitungen in der Bundesrepublik, die hundertmal mehr und besser informieren als die entsprechenden französischen Zeitungen. Gerade bezüglich des Umweltbewußtseins der Deutschen komme den Medien ein großes Verdienst zu, meinte Grosser — und stieß damit auf den Protest der JournalistInnen, die daran erinnerten, daß die meisten Medien das Thema Umweltschutz erst aufgriffen, als sie darin einen Markt erblickten.
Nahezu Einigkeit bestand darüber, daß das Thema DDR den Rest der Wirklichkeit in der letzten Zeit immer mehr überdeckt hat. Alle schreiben über Deutschland — und wer schreibt über das Wetter und die „Dritte Welt“? Kurz vor dem Fall der Mauer, erinnert sich Angelika Zahrnt, Vizevorsitzende des BUND, war man fast soweit: „Selbst Wachstumspolitiker nahmen Umweltprobleme wahr.“ Damit ist's einstweilen vorbei. Wenn noch berichtet werde, dann im Rang von Katastrophen — nachsorgend, nicht vorbeugend. Annähernd verschwunden, so der Münchner Journalist Hans-Otto Wiebus, seien auch die Themen der Entwicklungsländer. Berichte über ihre Verschuldung fänden sich nur noch auf den hinteren Wirtschaftsseiten, Berichte über Bürgerkriege seinen allenfalls noch Zweispalter wert. Selbst im Golfkonflikt reiche es allenfalls zur „simplen Geschichte vom großen Bösen“.
Lediglich Uli Röhm vom ZDF- Magazin „WISO“ schwamm gegen den Strom: „Wir sollten uns fragen, ob wir die frühere DDR nicht als Entschuldigung nehmen für Themen, um die wir uns drücken.“ Mittlerweile sei das Thema DDR abgeschlossen: „Es gibt nichts Erfreuliches mehr zu berichten. Auf meinen Schreibtisch liegt bereits das nächste Ticket — für die Sowjetunion. Künftig zeigen wir, daß die Marktwirtschaft es auch dort schafft.“
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