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Humboldt- Universität

■ betr.: "Deutschstunde: Opfer so weit das Auge reicht", taz vom 17.10.90, "Ihre Entschuldigung nehme ich nicht an, Herr Pätzold ", taz vom 7.11.90, "Als Mensch bleibst du einfach draußen", taz vom 14.11.90

betr.: „Deutschstunde: Opfer so weit das Auge reicht“, taz vom 17.10.90, „Ihre Entschuldigung nehme ich nicht an, Herr Pätzold“, taz vom 7.11.90, „Als Mensch bleibst du einfach draußen“,

taz vom 14.11.90

Der Aufsatz von Götz Aly [„Als Mensch bleibst du einfach draußen“d.Red.] über die Veranstaltung zur „Vergangenheitsbewältigung“ der ehemaligen Sektion Geschichte der Humboldt-Universität spiegelt das Geschehen im Senatssaal dieser Universität nur unvollkommen wider. Es ging hier nicht vordergründig um einzelne Professoren wie Siegfried Prokop oder Kurt Pätzold, sondern darum, wie heute grundlegend mit der Verstrickung von Hochschullehrern in die politische Verfolgung von Studenten unter der Herrschaft der SED umgegangen werden sollte. Zu klären sind die Wirkungsmechanismen der Verflechtung von Staatssicherheit, SED und Professorenschaft beziehungsweise Mitarbeitern der ostdeutschen Hochschulen und Universitäten und wie sich diese auf die Studenten sowie auf das Niveau von Forschung und Lehre auswirkten. Darüber hinaus ist zu fragen, was mit Hochschullehrern, Assistenten und Studenten geschehen soll, die sich an politischen Verfolgungen aktiv beteiligten. Kann dieser Personenkreis weiterhin in der Lehre tätig sein? Welches Gremium kann über ihr weiteres berufliches Schicksal entscheiden (Rehabilitierungskommissionen, Ehrenausschüsse — oder wer sonst)? Außerdem erwarten die ehemals Verfolgten mit Recht, daß sie juristisch verbindlich rehabilitiert werden, da nur so spätere Benachteiligungen (unter anderem bei der Rentenberechnung) verhindert werden können. [...]

Zum Schluß sei noch angemerkt, daß dem Institutsleiter Prof.Rüger wohl zugebilligt werden muß, daß er versuchte, sich der Wahrheit zu nähern. Da seine Ausführungen aber mit dem Sommer 1972 abbrachen, konnte der Eindruck entstehen, daß zu diesem Zeitpunkt das Ende der politischen Verfolgungen an der Ostberliner Universität erreicht gewesen sei. Das dies nicht der Fall war, beweisen allein schon die mit Biermann im Zusammenhang stehenden Repressalien, die auch Rüger nicht hätten entgehen dürfen. Dr.Rainer Eckert, Berlin

„Es ist unmenschlich, jemandem zu verzeihen, der einem ins Gesicht geschlagen hat.“ Nietzsche. In seinem Sinne wurde der Senatssaal der Humboldt-Universität am Sonnabend zur Schaubühne der Humanität. „Seid doch froh, daß hier endlich einmal Menschen miteinander reden!“ Irene Runge. Das als „Hearing“ ausgemünzte Tribunal zur professoralen Vergangenheitsbewältigung an genanntem Institut führte die Feinde von einst zusammen: als Feinde von heute. Wer seine Hand bot, wurde ausgelacht, wer sein Mitgefühl bekundete, abgewiesen: „Herr Fink möge doch bitte nicht verbittert sein wegen uns.“ Hier Gelächter, da Erschrecken: Rektor Fink wird lernen müssen, daß eine „angstfreie“ Situation dort utopisch bleibt, wo die Angst nur die Seite wechseln kann, er wird aber auch die Notwendigkeit dieses Echoeffekts erkennen und sich der Frage nach dem Preis zu stellen haben.

Was wird nun aus den Leichen im Keller? Wo keine moralische Schuld vorliegt, bedarf es keiner moralischen Rehabilitierung, allenfalls einer juristischen und finanziellen Sicherstellung. Damit den Getroffenen Recht geschehe: Die Kommission, versprach Prof.Kocka, werde ihre Arbeit modifizieren.

Das richtet die Brücken nicht wieder auf. Zuviel Versagen kam ans Licht, auch mit Versagen verwechselte Tragik, zu viele Kränkungen über den beruflichen Tod hinaus, Jahrzehnte zurückliegend, unvergessene, niemals verwundene Sätze. Die Ankläger schildern ihr Martyrium präzis und unsentimental: Sechs Monate Psychoterror, Erpressungen, erzwungener Studienabbruch, Universitätsverbot, Stadtverbot, totales Reiseverbot für das Ausland, 40 ergebnislose Bewerbungen, Bewährung im Wasserstraßenbau, Zulassung zum Fernstudium, erneute Repressalien...

Der „Fall Eckart“, konstruiert nach der geläufigen Chimäre „Konterrevolutionäre Plattform“, 1972, auf Wunsch der SED, verdeutlicht hinreichend, was es bedeutet, einmal unter das Rad der (Sektion) Geschichte geraten zu sein. Verglichen mit anderen, wirkt er eher unerheblich. Schuld sei immer individuell und habe einen Namen: Wer den Fortgang des Rades befeuern half, heißt es einhellig, solle nunmehr die Konsequenzen ziehen. „Ich will endlich Köpfe rollen sehen!“ formuliert man im Hintergrund. Professor Vogler, seinerzeit Sektionsdirektor, verweist auf Zusammenhänge und Motive, auf seine Gegenwarts- und Zukunftsgläubigkeit, kurzum, auf die vom Berufsstand des Historikers geforderten Persönlichkeitsmerkmale. Waren dies wirklich die seinen? Man bezweifelt es. Und außerdem: „Niemand wurde hier gezwungen, Professor zu werden.“

Die Formel von der bloßen Fremdbestimmtheit ginge in seinem Fall nicht auf, meint Prof.Pätzold. Er jedenfalls habe mit den von ihm ausgesprochenen Relegierungen ungarische Exzesse verhindern wollen. Auch mit dem zynischen Einsatz eines Liebermann-Zitats? „Herr Professor, können sie sich vorstellen, daß der Lehrbetrieb hier auch ohne sie funktioniert?“ Er kann. Ich kann es nicht.

Prof.Prokop, Wendehals der zweiten Stunde, wirft man vor, daß er sich seiner Meinung nach nichts vorzuwerfen hat. Wer über der begonnenen zweiten seine erste Biographie derart demonstrativ vergißt, darf sich nicht wundern, wenn man von ihm den Rücktritt verlangt.

Und wie nun steht es im Fall des Prof.Töpfer, der dadurch, daß er gutgläubig einen Witz weitererzählte, eine Kettenreaktion auslöste, die zur Verhaftung mehrerer Studenten führte, damals, 1957? Ich glaube, Prof.Töpfer zu kennen. „Man hat eine zweite Heimat, in der alles, was man tut, unschuldig ist.“ Wie weit reicht dieser Satz Robert Musils? Kann er nicht gleichermaßen ein einmaliges, wenngleich verhängnisvolles Versagen entschuldigen und die grausame Weise, auf die es heute zum Verbrechen erklärt wird?

Denn auch Dr.Sielaff ist nichts vorzuwerfen, am allerwenigsten der mühelose Stil, in dem er den moralischen Wert des sozialistischen Lehrkörpers niedriger veranschlagt als den des nationalsozialistischen. Man sollte sich besser fragen, welche Messertänze jemand, der beide Systeme erlebt hat, durchlaufen haben muß, um am Ende seines Lebens solch kolossale Fehleinschätzung zu treffen.

Wer am 10.November dabei war, kann es sich immerhin denken. Die wenigen Studenten reagierten eher konsterniert. Denn wer erst seit kurzem an der gewesenen Sektion tätig ist, erlebte eine andere als die, von der die Rede war. Ich studiere seit zwei Jahren Geschichte; meine Lehrer erwiesen sich in der Regel als fachlich kompetent und politisch tolerant — während dieser Zeit... Verglichen mit dem Leerbetrieb an gleichgearteten ex-bundesdeutschen Fakultäten, wie ich ihn mittlerweile kenne, ist die Solidität unserer Ausbildung nicht in Zweifel zu ziehen — ich weiß, wovon ich rede. Und: Ich rechne es dieser Institutsleitung trotz allem hoch an, zuerst einen so rigorosen Schritt vollzogen zu haben, wie er überall zu tun wäre. Man sprach auch von „wohlkalkulierter Flucht nach vorn“; ich hatte nicht den Eindruck, zu spät ist es ohnehin — zumindest um ein Jahr: Denn damals haben wir diesen Schritt zum ersten Mal verlangt.

Wie nun weiter? Mir liegt an der Zukunft dieses Instituts, nicht aus Sorge um die eigene, das mögen mir alle glauben, die sich jetzt zwangsläufig ihrer opportunistischen KommilitonInnen erinnern. Herr Klein empfahl ein Projekt zur Aufarbeitung gesellschaftlicher Disziplinierungsmechanismen, Kontinuitätenforschung also, nicht nur in eigener Sache; das wäre vielleicht eine Möglichkeit? Denn noch ist nicht alles verloren. Die Ehre schon. Wir werden versuchen müssen, sie wieder herzustellen, soweit das möglich ist. Das „Hearing“ war ein bescheidener Anfang: einer von der illusionslosesten, der nützlichsten Sorte. Und hoffentlich nicht der Anfang vom Ende des Instituts. Jörg Judersleben (Institutsstudentenrat)

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