KOMMENTAR
: Umwelt- oder Atomsenator?

■ HMI-Reaktor: Die Berliner SPD räumt grüne Hinterlassenschaften aus dem Weg

In atemberaubenden Tempo räumt die Berliner SPD mit den Hinterlassenschaften des ausgestiegenen grünen Koalitionspartners auf — so, als hätten sich die Sozialdemokraten monatelang auf diesen Augenblick vorbereitet. Ganze vier Tage ließ der sozialdemokratische Amtsverweser in der Berliner Umweltbehörde verstreichen, um die Politik der zurückgetretenen grünen Senatorin Michaele Schreyer für nichtig zu erklären und den Negativbescheid für den Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts aufzuheben.

Nötig gewesen wäre diese Eile nicht. Zwar sind Schreyer in der Tat Verfahrensfehler unterlaufen, doch die lassen sich in praktisch jedem Behördenakt aufspüren. Meisners Argument, man habe Prozeßkosten sparen wollen, ist wenig triftig, solange noch gar kein Prozeß eröffnet wurde. In Wahrheit will die wahlkämpfende SPD eine Front gegenüber der CDU begradigen — und gegenüber dem Bonner Forschungsminister Riesenhuber, der den Berlinern lieber heute als morgen die Forschungsmittel kürzen würde.

Der Verdacht liegt nahe, daß die um Bonner Zuschüsse bettelnde Berliner SPD den Konflikt scheuen und voreilig den Erpressungsversuchen nachgeben wird. Den Titel „Atom-Meisner“ hat sich der kommissarische Berliner Umweltsenator trotzdem (noch) nicht verdient. Meisner war klug genug, seine Rollback-Politik ausschließlich mit formalen Fehlern zu begründen. Deshalb ist vorerst nur das Verfahren wieder in Gang gekommen, der Reaktor steht immer noch still. Meisner ist — seiner politischen Biographie nach — ein gestandener Ökologe, kein purer Machtpolitiker wie Walter Momper. Noch kann der Schreyer-Nachfolger sich entscheiden, ob er nach Töpfers Vorbild vom Umweltsenator zum Atomsenator mutieren möchte, oder ob er den Mut findet, den Spielraum einer Landesbehörde ähnlich konsequent zu nutzen, wie seine grüne Amtsvorgängerin dies beharrlich versuchte.

Diese politische Frage läßt sich auch mit juristischen Fingerhakeleien nicht aus der Welt schaffen. Ist die Berliner SPD willfährig gegenüber Bonner Wünschen, kann Töpfer sie jederzeit gegen andere SPD-Bundesländer ausspielen. Der Berliner Senat hat sich erst einmal Luft verschafft. Nach den Wahlen hat die SPD Gelegenheit zu langem Atem. Die Alternative: Die Sozis entsorgen ihre vorübergehend atomkritischen Ansprüche als regierungsuntauglichen Sperrmüll aus Oppositionszeiten. Hans-Martin Tillack