Mazowiecki aus dem Rennen

Präsidentschaftswahlen in Polen: Überraschend erhielt der bis vor kurzem völlig unbekannte Tyminski 23 Prozent der Stimmen/ Walesa enttäuscht über 40 Prozent/ Stichwahl am 9.Dezember  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Mit einem Paukenschlag ist die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Polen vom Sonntag zu Ende gegangen: Anders als angenommen tritt in der zweiten Runde nicht Polens Premier Mazowiecki gegen Arbeiterführer Lech Walesa an, sondern der bis dato weithin unbekannte Kanadier Stanislaw Tyminski. Mit rund 23 Prozent der abgegebenen Stimmen liegt er laut vorläufigem Endergebnis rund sieben Prozent vor Premier Mazowiecki. Walesa verfehlte sein Ziel, bereits in der ersten Runde ins Belvedere einzuziehen, entschied jedoch die erste Runde mit mehr als 40 Prozent klar für sich. Die anderen Kandidaten blieben unter 10 Prozent: der Chef der Bauernpartei, Bartoszcze, mit 7,6 Prozent, der Kandidat der Linken, Cimoszewicz, mit 9,3 Prozent und der Chef der nationalistischen „Konföderation Unabhängiges Polen“, Moczulski, mit 2,5 Prozent. Rund 40 Prozent der Polen verzichteten darauf, ihre Stimme abzugeben.

Die größte Irritation herrschte in Warschau in der Nacht angesichts des Wahlerfolgs des Außenseiters Tyminski, über den man nach wie vor fast nichts weiß. Er selbst pries sich im wahlkampf als Erfolgsmensch, der mit fünf Dollar in der Tasche seine Heimat 1969 im Alter von 21 Jahren verließ und zuerst in Kanada und dann in Peru zu Millionen kam. Der kanadische Unternehmer war in den letzten Tagen Gegenstand heftiger Kritik seitens der Presse. Er hatte Premier Mazowiecki als Volksverräter bezeichnet, ohne allerdings den Beweis für seine Behauptung anzutreten, die Regierung verteile Staatsbetriebe zu Niedrigstpreisen an Ausländer. Die Kritik scheint das Lager seiner Anhänger jedoch eher noch vergrößert und konsolidiert zu haben. Tyminski hatte seine besten Ergebnisse in Kleinstädten und auf dem Land, ersten Analysen zufolge folgte er in der Gunst der Arbeiterschaft Walesa mit nur wenigen Prozentpunkten Abstand.

Premier Mazowiecki hat bisher nur knapp zu seiner Niederlage Stellung genommen. Bleich und gefaßt erklärte er dem polnischen Fernsehen, er wolle das amtliche Endergebnis am Dienstag abwarten. „Ich werde nicht über das Volk beleidigt sein“, meinte er. In einem Radiointerview interpretierte er das Wahlergebnis als Folge eines vor Monaten begonnenen „zerstörerischen Unterfangens gegen die enorme Arbeit der Regierung“ und als Zeichen für eine Krise in der polnischen Gesellschaft und prophezeite chaotische Zustände. Ob der Rücktritt seiner Regierung schon vor dem zweiten Wahlgang am 9. Dezember zu erwarten ist, ist bisher noch unklar.

Walesa hat am Wahlabend keine Stellung zum Wahlausgang genommen. Sein Wahlkampfstratege und Stellvertreter im Gewerkschaftsvorsitz, Lech Kaczynski, äußerte sich jedoch enttäuscht über das Ergebnis. „Wir hatten auf mindestens 50 Prozent der Stimmen gehofft“, sagte Kaczynski. „Nun müssen wir mit zwei Erscheinungen fertig werden, einer absoluten Niederlage des Regierungslagers und diesem gefährlichen Phänomen, das sich Tyminski nennt.“

Tyminski dagegen erklärte: „Ich habe ein solches Resultat erwartet. Ich bin glücklich!“ Er sei nach Polen gekommen, „um zu siegen“. Ein politisches Programm habe er nicht, sagte er vor Journalisten in Warschau, dafür aber ein wirtschaftliches: „Damit die Menschen Geld verdienen können.“ Wenn er Präsident werde, wolle er eine Regierung von Fachleuten bilden, „die sich aus Polen aus dem In- und Ausland zusammensetzt“. Auf Fragen, ob er je mit dem kommunistischen polnischen Geheimdienst zusammengearbeitet habe, sagte er, er habe solche Vorschläge sowohl von polnischer wie auch von ausländischer Seite bekommen, sie jedoch immer abgelehnt.

Die Wahl war vor allem ein Protest der Bevölkerung in den kleinen Städten und ländlichen Gebieten gegen die Politik des knappen Geldes und gegen die neuen Machtkonstellationen der Solidarität in der Provinz. Von Stanislaw Tyminski versprechen sich viele Polen, daß er dem Land das Wunderrezept vom schnellen Reichtum ohne die von der Weltbank verordnete bittere Pille der rigorosen Sparpolitik verschreibt. Für die Bauern waren die Regeln der Marktwirtschaft mit dem Wegfall der Subventionen und der unter kommunistischer Herrschaft bestehenden Absatzgarantie für ihre Produkte durch den Staat besonders bemerkbar. Mazowieckis Verluste hängen indessen nicht nur mit Tyminskis Erfolg auf dem Lande zusammen, sondern vor allem auch damit, daß es Walesa gelang, in Mazowieckis potentielle Hochburgen einzubrechen: In Krakow etwa erreichte er sogar über 50 Prozent.