: „Narrenfreiheit“
Bad Dürrheimer Fasnachtsverein montiert grüne Stadträtin in Sexfoto ■ Von Klaus Peter Karger
Georgia Geiger, grün-alternative Stadträtin im badischen Bad Dürrheim, traute ihren Augen kaum: Nahezu hüllenlos hatte die örtliche Fasnachtsvereinigung „Urviecherzunft“ sie in ihrer diesjährigen Fasnachtszeitung abgebildet. Den Kopf hatten die Narren dem Prospekt der letzten Gemeinderatswahl entnommen, der Rest war offenbar das Werbefoto zu einem Sexfilm. Neben der Fotomontage stand in großen Lettern: „Was Frauen mögen“ und „Wild aufs erste Mal“.
Daß die Stadträtin den Männerhumor überhaupt nicht lustig fand, sondern von den Urviechern eine öffentliche Entschuldigung verlangte, fanden die Narren unbegreiflich. „Wild aufs erste Mal“, so der Urviecher-Vorsitzende Volker Nobs, beziehe sich einzig und allein darauf, daß Frau Geiger zum ersten Mal in den Gemeinderat gewählt worden sei. „Das Sexuelle kann sich jeder denken, wie er möchte. Die Gedanken sind frei, und schlecht ist nur, wer schlecht denkt.“ Im übrigen, riet der Obernarr der Betroffenen, hätte sie sich halt ruhig verhalten sollen, dann hätte die Fotomontage in dem kleinen Städtchen nicht annähernd solchen Wirbel verursacht.
Den Mund halten — genau das wollte Georgia Geiger allerdings nicht. Sie reichte Klage gegen die Urviecherzunft ein. Im kleinen Bad Dürrheim, wo jeder jeden kenne und weitgehend konservative Moralvorstellungen herrschten, sei sie nach der Veröffentlichung mehrfach in abfälliger Weise angesprochen und von anonymen Anrufern am Telefon belästigt worden. Ihre beiden Kinder würden in der Schule gehänselt.
Die Urviecherzunft hielt dem entgegen, daß die Fotomontage durch die Narrenfreiheit gedeckt sei. Diese gebe ihnen im Rahmen der Fasnacht das Recht, ungehemmt und deutlich ihre Meinung zu äußern, die normalen Verhältnisse umzukehren und eine Gegenwelt darzustellen.
Das Gericht aber hat Georgia Geiger Recht gegeben. Vor allem, daß durch die Fotomontage lediglich satirisch dargestellt werden sollte, daß Frau Geiger wild darauf gewesen sei, in den Gemeinderat zu kommen, sei „in keiner Weise nachvollziehbar“, heißt es im Urteil. Die Abbildung sei eindeutig sexistisch; sie unterstelle, daß die Stadträtin immer wieder neue sexuelle Beziehungen wünsche und stelle somit einen schweren Eingriff in den Intimbereich der Klägerin dar. Das Gericht sprach Georgia Geiger ein Schmerzensgeld von etwa 2.500 DM zu.
Die Urviecher haben die Berufung gegen das Urteil inzwischen zurückgezogen, weil sie ihre Erfolgsaussichten für gering erachten. Obernarr Volker Nobs kündigte für den Fasnachtsball 1991 aber bereits eine „Generalabrechnung“ mit dem „Fall Geiger“ an.
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