: Vom Frauen-Image genug
■ Rita Süssmuth (CDU) und Inge Wettig-Danielmeier, Vorsitzende der SPD-Frauen, treten im gleichen Wahlkreis gegeneinander an
Draußen weht ein eiskalter Schneewind. Im Dorfgemeinschaftshaus von Landwehrhagen, südlich von Göttingen, sind nur sechs Frauen und ebensowenige Männer erschienen, um die SPD-Direktkandidatin zum Thema „Frauenpolitik“ sprechen zu hören. Inge Wettig-Danielmeier, die Bundesvorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen“ tritt im Wahlkreis Göttingen für den Bundestag an. „Es liegt wohl am Wetter, daß sowenige gekommen sind“, tröstet sie sich selbst.
Dann hält sie der kleinen Gemeinde (alles GenossInnen) einen Vortrag über die Situation in Ostdeutschland. „Die Gefahr besteht, daß dort die Frauen unter den Schlitten geraten. Alleinerziehende in der ehemaligen DDR bekommen heute weniger Unterstützung als vor der Einheit.“ Doch die LandwehrhagenerInnen interessieren sich trotz der nahen Grenze zu Thüringen mehr für ihre parteiinternen Probleme: „Für die Kommunalwahlliste können wir die geforderte Frauenquote nicht einhalten“, klagt ein Genossen. Schließlich sei die Wahl nur mit bekannten Spitzenkandidaten zu gewinnen, „und die sind bei uns nun mal alle männlich“. Inge Wettig-Danielmeier hört gelassen zu. Erst als eine Genossin in das Klagelied einstimmt, wird sie zornig: „Wer sagt euch denn, daß ihr die Wahl mit einer Frau als Spitzenkandidatin verlieren müßt?“
Hier geht es nicht nur um die Quote bei der Kommunalwahl. Hier geht es um Inge Wettig-Danielmeiers eigenes Standing in der Partei. Denn kaum eine der GenossenInnen traut ihr zu, den Wahlkreis 49 der bekannten Gewinnerin des CDU-Direktmandates abzujagen. Die heißt Rita Süssmuth, ist der Star in der Region und spricht an diesem Abend vor 150 Leuten in Göttingen. Thema: „Schwangerschaftskonflikt — alte und neue Wege“. Ein Priester berichtet der Bundestagspräsidentin stolz, sein ganzes Dekanat unterstütze ihren Vorschlag eines „dritten Weges zwischen der Indikations- und der Fristenlösung im Abtreibungsrecht“. Für Rita Süssmuth ist das ein Heimspiel. Und wie immer, wenn sie sich sicher fühlt, legt sie richtig los: Der Papst solle sich mal nicht um die Verhütung kümmern, „das machen wir schon selber“, verkündet die Katholikin.
Zum Thema Abtreibungsrecht verrät sie, der neueste FDP-Gesetzentwurf zur Fristenlösung sei „sehr gut“. Ob ihre Partei das auch so sehe, wird sie gefragt. „Es gibt immer mehr Zustimmung“, antwortet sie ausweichend.
Zwei profilierte Frauenpolitikerinnen kämpfen in Göttingen um das Bundestags-Direktmandat. Beide sind auf der Liste abgesichert, beide kommen also ins Parlament, egal welche von ihnen das Direktmandat ergattert. Frauenpolitik steht in diesem Wahlkampf — endlich mal — ganz oben auf der Themenliste. „Es war ein Fehler, daß das Land Niedersachsen das Recht auf einen Kindergartenplatz für nicht finanzierbar gehalten hat“, greift CDU-Kandidatin Rita Süssmuth vor dem Rathaus in Hannoversch Münden den CDU-Ex- Ministerpräsidenten Ernst Albrecht an. „Bei der Diskussion um das Recht auf Kindergartenplätze hat unsere Partei keine rühmliche Rolle gespielt“, kritisiert etwas weiter südlich in Landwehrhagen auch SPD- Frau Wettig-Danielmeier die eigenen Leute. Beide Politikerinnen sind unzufrieden mit dem immer noch viel zu geringen Frauenanteil in ihren Parteien. Beide befürchten, durch die Vereinigung mit den Schwesterparteien aus dem Osten werde die Frauenpolitik in ihren Reihen an den Rand gedrängt. Rita Süssmuth sagt: „Es gibt quer durch die Parteien die Auffassung: Halten wir den Männern den Rücken frei.“ Inge Wettig-Danielmeier sieht das genauso.
Doch allzuviel Gemeinsamkeiten darf es zu Wahlkampfzeiten nicht geben. Sich profilieren und die Gegnerin niedermachen ist angesagt. Inge Wettig-Danielmeier bemerkt bei Interviews süffisant, Frau Süssmuth sei gar nicht aus Göttingen und kenne den Wahlkreis nicht so gut wie sie. Rita Süssmuth schlägt per Wahlkampfanzeige zurück: Die SPD- Kandidatin habe „erst einmal Antrittsbesuche in den einzelnen Gemeinden machen“ müssen. Sie läßt sich mit dem Satz zitieren: „Ich halte nichts von Politikern, die erst im Wahlkampf zeigen, daß es sie gibt.“ In derselben Anzeige folgt der nächste Schlag unter die Gürtellinie der Gegnerin: „Auch ihr Versuch, sich zur Nummer eins unter den SPD- Frauen und damit als Gegenspielerin von Rita Süssmuth aufzuspielen, hat ihr in Bonn und Hannover nicht nur Freunde eingetragen. So hat sie nach Differenzen mit Gerhard Schröder ihren Sessel in Hannover geräumt.“
Es stimmt, daß Inge Wettig-Danielmeier in ihrer Partei umstritten ist. Vor allem den Männern geht sie mit ihrer hartnäckigen Forderung nach mehr Ämtern und Mandaten für Frauen auf die Nerven. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder hatte ihr den Posten als Bildungsministerin versprochen und wollte sie dann doch nicht haben. Auch das Verhältnis zum Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, der mit Frauen sowieso seine Schwierigkeiten hat, ist recht gespannt. Aber wie war das noch mit Rita Süssmuth und ihrem großen Vorsitzenden? Hatte der nicht jedem, der es hören wollte erzählt, die Süssmuth „mit ihren Stöckelschuhen“ gehe ihm auf die Nerven? Hat er sie nicht als Familienministerin abgesägt und gegen ihren Willen auf das einflußlosere Amt der Bundestagspräsidentin geschoben? Für die kommende Legislaturperiode will er sich nicht festlegen, was aus ihr werden soll.
Beide Kandidatinnen haben mehr gemeinsam, als sie vielleicht wahrhaben wollen: Nicht nur das Alter — Rita Süssmuth ist wenige Monate jünger als die 54jährige Inge Wettig- Danielmeier. Beider Ehemänner kümmern sich um den Wahlkampf ihrer Frauen. Der Historiker Hans Süssmuth managt das sogenannte Süssmuth-Team. Klaus Wettig, Politologe und SPD-Europaabgeordneter, arrangiert die Termine seiner Frau im Wahlkreis. Parteiintern haben sie es beide nicht leicht. Obwohl beide bei ernsten Auseinandersetzungen eher kompromißbereit sind, müssen sie sich jede Menge Gehässiges von ihren männlichen, vor allem den konservativen, „Parteifreunden“ anhören.
Eines jedoch unterscheidet Inge Wettig-Danielmeier sehr von Rita Süssmuth. Sie ist eine altgediente, zähe Parteisoldatin, die ihre kleinen Erfolge dreißig Jahre lang mühsam erkämpfen mußte. Bereits 1968 revoltierte die damalige Uni-Assistenin, gegen die „alten Zöpfe“ in der SPD. Rita Süssmuth unterrichtete zwar 1968 auch an der Uni, engagierte sich jedoch nicht bei den StudentInnen. In der CDU machte sie ab 1985 eine Blitzkarriere, wurde als Quereinsteigerin von Kanzler Kohl zur Familienministerin gekürt. Beide haben damit typische Frauenkarrieren hinter sich: die eine mühsam und langwierig, die andere kometenhaft, aber verbunden mit der Unsicherheit, daß es genauso schnell wieder nach unten gehen kann. Noch etwas verbindet die beiden Politikerinnen. Beide haben sie genug von ihrem Image als Frauen-Frauen. Sie wollen sich nicht länger auf Frauen- und Sozialthemen festlegen lassen, obwohl sie beide auf diesem Gebiet ihre größten Erfolge hatten. Tina Stadlmayer
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