„Vermeintlichen Geiseln“ die Pässe entziehen

■ Interview mit Alexander Sternberg-Spohr von der Gesellschaft für bedrohte Völker über „echte und vermeintliche Geiseln“ im Irak/ Techniker von MBB, Gildemeister und Züblin sind noch im Lande Saddam Husseins in ihren Geschäften tätig

taz: Ihre Gesellschaft hat eine Erklärung veröffentlicht, wonach die aus dem Irak und Kuwait zurückgekehrten deutschen Geiseln dahingehend überprüft werden sollten, ob sie dort in Giftgasfabriken oder anderen militärischen Einrichtungen gearbeitet haben. Liegen ihnen konkrete Hinweise darüber vor?

Sternberg-Spohr: Mindestens vier, wenn nicht fünf Techniker von MBB waren bis in die jüngste Zeit hinein damit beschäftigt, eine Hubschrauber-Reparaturwerkstatt in der Nähe von Bagdad aufzubauen. Wir wissen nach wie vor nicht, wo der Chef des ganzen MBB-Projektes, Herr Laufer, abgeblieben ist — zurückgekehrt ist der Mann jedenfalls nicht. Ich erinnere daran, daß MBB-Techniker nach unserer letzten Aktion gegen den Rüstungsexport in den Irak behauptet haben, daß ihre Hubschrauber für den Krieg untauglich sind. Da ist mittlerweile das Gegenteil bewiesen worden.

Wir wissen, daß gerade in dieser Helikopterwerkstatt BK-117-Hubschrauber gewartet werden, die als Kommandozentralen auf Divisionsebene genutzt werden. Es gibt darüber hinaus eine ganze Reihe von Firmen — etwa auch die bundeseigene Baufirma Strabag —, die täglich noch Manager und anderes Personal von Bagdad nach Amman fliegen lassen, damit die dann dort Post erledigen und andere Geschäfte tätigen können. Und diese Leute kehren postwendend wieder nach Bagdad zurück.

Wir sind der Auffassung, daß es nach der Rückkehr der Geiseln, der sogenannten und der tatsächlichen Geiseln, keine Entschuldigung mehr dafür geben kann, im Irak noch irgendwelche Geschäfte zu tätigen oder Vorgänge abzuwickeln. Bis zur angeboteten Freilassung aller deutschen Geiseln konnten sich die Techniker von MBB, von Gildemeister oder von der Züblin AG, die an Rüstungsprojekten arbeiteten, noch auf die Unmöglichkeit der Ausreise aus dem Irak berufen. Das ist jetzt vorbei. Dennoch wird auf den Baustellen von Züblin weiter gearbeitet. Und eine ganze Reihe von deutschen Technikern, die wir nicht immer namentlich kennen, sind weiter im Forschungskomplex in Mossul tätig — offensichtlich freiwillig.

Gehören diese Leute zu den fünfzehn Personen, die bislang von offizieller Seite als diejenigen benannt wurden, die aus familiären Gründen „freiwillig“ im Irak geblieben sein sollen?

Nein, es handelt sich um weitaus mehr Personen. Von der Firma Consens sind noch zwölf oder vierzehn ehemalige MBB-Angestellte, die von MBB aus den Verträgen entlassen wurden und die dann dort die Firma Consens mit aufgebaut haben, noch im Irak. Wir haben Nachrichten, daß fünf, vielleicht auch sechs Leute der Stuttgarter Firma Züblin noch im Land sind.

Wie sollen nach Ihren Vorstellungen die zurückgekehrten Geiseln überprüft werden? Sollen die Staatsanwaltschaften tätig werden?

Ich meine, ja. Es müßte ein juristisches Verfahren eingeleitet werden, in dem die Leute danach befragt werden, ob sie — auch nach der Verhängung des Embargos — dort gearbeitet haben, unter welchen Umständen sie sich dort aufgehalten haben. Dann können diese Leute sich rechtfertigen. Und da ja gegen eine ganze Reihe von Firmen ohnehin Ermittlungsverfahren laufen, könnten diese Befragungen in die Verfahren integriert werden.

Nun sagt Kanzleramtsminister Seiters, daß die offiziell genannten fünfzehn im Irak verblieben Deutschen „als freie Bürger eine freie Entscheidung getroffen“ hätten...

Das kann keine freie Entscheidung sein, denn die Bundesrepublik ist an die internationalen Konventionen gebunden. Der Irak begeht ja nicht nur einen Aggressionsakt, indem er sich in Kuwait aufhält, sondern der Irak hat auch Völkermord begangen und bereitet weiterhin Völkermord an den Kurden vor. Und deshalb hat die Bundesregierung eine völkerrechtliche Handhabe, den Deutschen zu untersagen, im Irak geschäftlich tätig zu sein. Herr Seiters hat völlig unrecht, und ich glaube, daß das mit der sogenannten freien Entscheidung freier Bürger ein vorgeschobenes Argument war. Und das läßt vermuten, daß er weiß, daß im Irak noch eine ganze Reihe von Technikern tätig sind. Seiters baut jetzt schon ohne Not eine Verteidigungsposition auf, und das ist ein skandalöser Vorgang. Diese Leute brechen ein UNO-Embargo — und deshalb muß man ihnen die Pässe entziehen. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt