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Toten stellt man keine Fragen

■ „Die geheimen Gärten des Herrn Lopez“ — Film von Alberto Fischerman

Herr Lopez steht vor Gott. Endlich hört ihm jemand zu, und Lopez schüttet sein Herz aus: die demütigende Kindheit, die Ehehölle, die hinterhältigen Kollegen. Da hebt Gott sein imposantes weißes Haupt und sagt: „Nie hast du dich deiner Haut gewehrt. Und jetzt kommst du und heulst mir die Ohren voll. Du warst spießig, langweilig und feige. Ich brauche frische Luft, verschwinde!“

Die Schüsse in der dunklen Garage treffen Lopez aus dem Hinterhalt in den Rücken. Er prallt gegen einen Mercedes, dreht sich um die halbe Achse, fällt, kommt wieder auf die Füße und schafft es in letzter Sekunde, der tödlichen Falle zu entkommen. Beide Arme vor den Bauch gepreßt taumelt er stöhnend ins Büro: „Geht's dir nicht gut, Lopez?“ Die Sekretärin staunt. Peinlich berührt verzieht sich Herr Lopez hinter seinen Schreibtisch.

Sein Vorgesetzter Julio hat ihm die kompromittierende Frage gestellt: „Auf welcher Seite stehst du, Lopez?“ Was soll ein kleiner ängstlicher Buchhalter auf eine solche Frage antworten? Er stirbt den Heldentod. Toten stellt man keine Fragen.

Von seinen Kollegen unterdrückt und belächelt, von seiner Ehefrau (Mirtha Busnelli) — einer Mischung aus Bette Midler und sadistischem Feldwebel — gnadenlos unter dem Pantoffel gehalten, entzieht sich Herr Lopez (Lorenzo Quinteros) der peinigenden Gegenwart mühelos: In seinen Tagträumen ist er der leidenschaftliche Liebhaber schöner Frauen und Retter kleiner Hunde. Die Taktik bewährt sich — bis er eines Tages zum neuen Chef beordert wird. Herr Lopez soll herausfinden, wer die Bilanzen der Firma fälscht, doch bekommt er zunächst nur die Hälfte mit. Der neue Chef hat eine Assistentin. Die schöne Leticia lächelt Lopez an und verändert sein Leben. Leticias Freundschaft und die rüde Vertreibung aus dem Himmel lassen Lopez schließlich handeln.

Die geheimen Gärten des Herrn Lopez des argentinischen Regisseurs Alberto Fischerman basiert auf einer Comic-strip-Geschichte: Las Puertitas des Sr. Lopez von Carlos Trillo und Horacio Altuna. Es hätte also ein Comicfilm werden können. Es hätte auch eine Art argentinisches Verflixtes siebtes Jahr werden können. Fischerman versucht, beides zu verbinden, indem er die Schauspieler wie Comicfiguren spielen läßt. Das Ergebnis ist eine etwas saftlose Mischung.

Die Komödie vom gepiesakten Kleinbürger und seinen Träumen ist eigentlich der Stoff für einen Schauspielerfilm. Quinteros, mit seinen ängstlichen runden Augen und einem spitzen Rühr-mich-nicht-an-Mund ist eine sympathisch zickige Buchhalterausgabe. Aber er rührt einen nicht. Im Büro signalisiert sein gebückter Gang ständige Unterwürfigkeit, und wenn er sich fürchtet, reißt er die Augen auf. Er ist so eindeutig wie eine Schablone, was für einen Comic in Ordnung wäre, aber langweilt, wenn es um eine lebendige Leinwandfigur geht.

Fischerman hat jegliche Atmosphäre aus seinem Film verbannt. Spielt er in Argentinien, in einer Groß- oder Kleinstadt? Wenn die Kamera nach draußen geht, auf die Straße oder in ein Café, klebt sie in Großaufnahme an den Gesichtern. Nur das Büro und Lopez' Wohnung sind manchmal zu sehen. Wie in einem Comicfilm gibt es keine definierbare Umgebung.

Herr Lopez ist ein Held des Alltags. Sein Gegner, der aalglatte Julio (Hugo Arana), ist ein bißchen erfolgreicher, sieht ein bißchen besser aus, und er versucht, Lopez seine eigenen Betrügereien in die Schuhe zu schieben. Im normalen Leben reicht das aus, jemandem das Leben zur Hölle zu machen. Im Comic schaffen das nur blutrünstige Killerkommandos und eine Wagenladung voll Arsen. Dagegen sind die Träume des Herrn Lopez harmlose Übertreibungen.

Zuletzt entlarvt er den fiesen Julio und bringt seine Frau mit einer Sahnetortenschlacht zur Räson. Es wäre ein wundervolles Ende — für einen Schauspielerfilm. Anja Seeliger

Alberto Fischerman: Die geheimen Gärten des Herrn Lopez, mit Lorenzo Quinteros, Mirtha Busnelli, Argentinien 1988, 81 Min.

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