: Die Chauffeurin sitzt auf dem Rücksitz
Der neue britische Premierminister John Major war Thatchers Wunschkandidat/ Er will jedoch kein „Schoßhündchen“ sein/ Tories liegen bei Meinungsumfragen vorn/ Rücktritt des Verkehrsministers ■ Aus London Ralf Sotscheck
Die eigenwillige Tory-Arithmetik hat einen neuen britischen Premierminister hervorgebracht. Finanzminister John Major wurde am Dienstag abend zum Nachfolger Margaret Thatchers gewählt, obwohl er mit 185 Stimmen die vorgeschriebene Mehrheit um zwei Stimmen verfehlte. Thatcher mußte in der vergangenen Woche ihren Hut nehmen, nachdem sie immerhin 204 Stimmen gewonnen hatte.
Die Spannung vor dem Konferenzraum 12, wo die Wahl stattfand, war am Dienstag kaum noch zu steigern. Den Tories blieb ob des Wahlergebnisses der Jubel zunächst im Halse stecken: Major hatte die absolute Mehrheit knapp verfehlt, was laut Parteiregeln einen dritten Wahlgang erforderlich gemacht hätte. Doch Michael Heseltine, der auf 131 Stimmen kam, und Außenminister Douglas Hurd, den nur 56 Abgeordnete gewählt hatten, zogen angesichts des deutlichen Ergebnisses ihre Kandidatur zurück. Beide beschworen die Einheit der Partei und werden für ihren „freundschaftlichen Wahlkampf“ mit Kabinettsposten belohnt. Majors Wahl zum Premierminister ist ein Trostpreis für Thatcher. Er galt bereits seit zwei Jahren als ihr Wunschkandidat. Am Dienstag abend sagte sie: „Ich bin von der Wahl begeistert. Major wird ein hervorragender Führer unseres Landes sein.“ Sie glaubt, daß die Tories noch „mindestens 20 Jahre regieren“ können. Bei ihrer Abschiedsparty einen Tag zuvor hatte Thatcher angedroht, sie werde die „Chauffeurin auf dem Rücksitz“ sein. Major und seine Wahlhelfer beeilten sich jedoch, diese Bemerkung zurückzuweisen. Staatssekretär Tony Newton sagte: „Wer glaubt, daß Major das Schoßhündchen von irgendjemand ist, wird sich noch wundern.“ Thatcher zog unterdessen ein Resümee ihrer elfjährigen Amtszeit. Sie sprach von ihrem „Platz in der Geschichte“ als Teil des „Reagan-Thatcher-Gorbatschow- Dreiecks“ und sagte, ihre Kollegen in der EG seien über ihren erzwungenen Rücktritt „todtraurig“: Ohne sie würde die Politik nicht mehr soviel Spaß machen. Bei den Tories herrschte gestern vor allem Erleichterung darüber, daß der schädliche Machtkampf um die Thatcher-Nachfolge beendet ist. Es gab allerdings auch kritische Stimmen. Die Tory- Abgeordnete Carolyn Jackson erklärte: „Major ist äußerst blaß. Er besuchte unseren Wahlkreis während der fünf Minuten, in denen er Außenminister war, und wir waren nicht sehr beeindruckt.“ Die Labour Party trat gestern Behauptungen entgegen, daß ihr der sicher geglaubte Wahlsieg durch Majors Ernennung entgleiten werde. Umfragen am Wochenende hatten ergeben, daß die Tories unter Major einen Vorsprung von zehn Prozent in der Gunst der WählerInnen haben. Oppositionsführer Neil Kinnock nannte Major einen „Premierminister ohne Veränderungen und ohne Mehrheit“. Er wiederholte seine Forderung nach sofortigen Neuwahlen.
Der langjährige Vertraute Margaret Thatchers, Verkehrsminister Cecil Parkinson, trat am Mittwoch morgen ohne Angaben von Gründen zurück. Zwar hatte Parkinson auch die Wahl von John Major zum neuen Premier unterstützt, Beobachtern zufolge ist sein Rücktritt jedoch keine Überraschung.
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