piwik no script img

Die Software im Kopf

■ Oswald Wiener über Probleme der Künstliche Intelligenz

Für die Gemeinde der Computer-Avantgarde hatte der Merve-Verlag (Berlin) auf der Buchmesse in Frankfurt eine besondere Überraschung parat: Das neue Buch von Oswald Wiener Probleme der Künstlichen Intelligenz zählt zu den ausgefallenen Traktaten der Gattung. Denn nichts an diesem Text paßt in die traditionellen Schemata verbriefter Computertheorie, wie sie von Hofstadter bis Minsky vertreten wird: Wiener versucht, das Denken über die Maschinen im strengen Sinne des Wortes von den Füßen auf den Kopf zu stellen.

Gegenstand seiner Untersuchungen ist nicht der rechnende Wunderkasten in der Außenwelt, sondern die Maschine in unserem Kopf — and the software inside. In minutiöser Kleinarbeit unternimmt es Wiener, die Funktionen unserer Vorstellungskraft mit all ihren reproduktiven und kreativen Aspekten zu erhellen. Wer CAD-Systeme kennt, der weiß, wie mächtig diese Softwarepakete ausgestattet sind: Ihre komplexen Programme zählen zu den Sternstunden am Bildschirmhimmel der Personalcomputer. Und genau da setzt Wiener an. Er zeigt uns die Arbeiter der bildproduzierenden Verstandeskräfte im Prozeß. Will sagen, alle Schritte unserer inneren Bildaufarbeitung, alle Etappen einer auf den inneren Schirm projizierten Bildverknüpfung werden analysiert als Phasen eines kompliziert ablaufenden Programms. Mit dieser Art „Introspektion“, der plausiblen Darstellung unserer internen Software und ihren Leistungen legt Wiener ein sicheres Fundament: Künstliche Intelligenz in natürlicher Hardware.

Wenn William Gibson in seinen „Cyberspace“-Romanen die natürliche Intelligenz in den Maschinenräumen der Computerwelt agieren läßt, dann verfolgt Wiener das Gegenteil: Er entdeckt die für die KI-Diskussion brisante „virtual reality“ in unseren Köpfen. In der Modularisierung unserer Denkarbeit markiert er die Schnittstellen natürlicher Kreativität. Aber er beschreibt sie in der Sprache der KI, in der „Bedeutung“ oder „Wahrheit“ eines Denkproduktes zur „Eigenschaft der Laufumgebung“ unseres Verstandesvermögens wird. Software und Bertriebssysteme sind keine starren Begriffe in diesem Zusammenhang, unsere „Kreativität“ ist kein Phänomen, das durch Aufzählbarkeit oder begrenzte Zeichenmodifikation zu charakterisieren wäre. Und dennoch sind wir laut Wiener „Maschinen im Sinne der Turningmaschine, die man als Komponenten eines umfassenden Systems aus solchen Maschinen (eines ,Orakels‘: des Universums) aufzufassen hat“ (S. 106).

Keine Maschinen also, die wie begrenzte Automaten nur abgeschlossene mechanische Leistungen vollbringen können, sondern kreative Turingmaschinen. Kreativ deshalb, weil unsere Sofware in der Lage ist, die eigene Arbeit des Denkens nach Bedarf neu zu programmieren. Wir produzieren neue Struturen unseres Denkens, neue Vorstellungsverknüpfungen oder neue Modelle simulierende Objektverbindungen. „Introspektion“ ist für Wiener das Zauberwort, wenn es darum geht, die kretaiven Merkmale unserer Denkprozesse vor dem Horizont der KI-Diskussion zu charakterisieren. Programme, die sich in bestimmten Erfahrungssituationen modifizieren, evolutionäre mobile Programmzusammenhänge, das ist es, was in unserer Vorstellungsproduktion den für die KI-Forschung brisantesten Aspekt darstellt. Bloßes Sammeln und Verwalten von Wissensmaterialien gehört in diesem Sinne zur grauen Vorzeit der Computertechnologie, vergleichbar dem archaischen Expertensystemn zur Urlaubsberatung vom Typus: „Sommer — Sonne: Kreta“.

Aber gerade in der Kritik solcher flachen Realisationen von künstlicher Intelligenz zeigt Wiener sein Urteilsvermögen: Bereits in seinem Roman Die Verbesserung von Mitteleuropa und den in der Folge erarbeiteten Ausblicken auf den „Bio-adapter“ markierte er die Frontstellungen der KI-Diskssuion in den sechziger Jahren. Früh schon für den deutschsprachigen Raum weiß er um die Tragweite von Simulationsmöglichkeiten der Gehirnleistungen durch Computerarchitekturen. So kennt er die jeweiligen Kampfbegriffe der einschlägigen Debatten, und entsprechend differenziert bewertet er. Beispielsweise, wenn die kreative Rolle des Unterbewußten auf der Tagesordnung steht: „Ich glaube und habe verschiedene Gründe dafür angegeben, daß Neukonstruktionen von Modellen im Unbewußten nicht möglich ist. Das heißt natürlich nicht, daß vorhandene Modelle nur unbewußt laufen können, aber es heißt, daß die berühmten, plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Einsichten nicht einer unbewußten Konstruktion, sondern einer unbewußt erreichten Konstellation vorhandener Modelle entstammen: Die Strukturen waren schon da.“

Konsequent beginnt das Buch mit einer längeren Textpassage von Daniel Paul Schreber: Niemand hat meines Wissens bisher plausibler hervorgehoben, daß im Kopf des Präsidenten Schreber so etwas wie eine komplexe CAD-Software am Werke gewesen ist. Schreber wußte aus „Introspektion“ lange vor der Erfindung der Personalcomputer, was graphische Simulationen in Echtzeit leisten könnten; der erste legitime Nomane im Cyberspace, mit DataGlove und Darasuit...

Doch zurück zur KI-Diskussion. Wer mit Wiener durch die Eiswüste ihrer Abstraktionen gegangen ist, der entdeckt mit ihm den Silberstreif am Horizont: Die weißen Flecken auf der topographischen Karte unserer Verstandeskräfte. „Was uns in unserem Denken als Zufall erscheint, wirkt sich immer nur als Stoß auf einen vorhandenen Mechanismus aus, und da... scheint es ziemlich egal, welcher physikalischen Quelle der Zufall entstammt — das derzeit ganz vernachlässigte Studium des Irrtums und der intellektuellen Unzulänglichkeit wäre für die Intelligenzforschung vielleicht fruchtbarer als die Konzentration auf oberflächliche Regelhaftigkeiten des Gelingens.“ Offene Systeme also, unlimited systems, zwischen Ich und Bildschirm — innen. Werner Künzel

Obwald Wiener: Probleme der Künstlichen Intelligen , hrsg. von Peter Weiber. Merve Verlag, 159 Seiten, 16 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen