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Jesus, „die geistige Atombombe“?

■ Franz Alt hat sich mithilfe von Bibelzitaten einen Jesus gebastelt, der bestens in sein Weltbild paßt

Die Jesusliteratur füllt Bibliotheken und umfaßt nahezu alle Literaturgattungen. Von dem engagierten Katholiken Franz Alt mag Politisches und Zeitkritisches erwartet werden, ethisch fundiert und mit Nachdruck vorgebracht. Der Autor selbst gibt an, mit seinen politischen Erfahrungen ins Journalistische übersetzen zu wollen, was Eugen Drewermann, Hanna Wolff, Christa Mulack und Karl Herbst wissenschaftlich dargelegt hätten. Er wolle zudem „mithelfen, Jesus ,heutig‘ zu machen“.

Obschon die reichliche Verwendung von Superlativen bereits im ersten Kapitel, wie etwa der Untertitel Jesus — die geistige Atombombe, Zweifel wecken, verspricht die Kapiteleinteilung dennoch eine Auseinandersetzung in den Themen Theologie, Psychoanalyse und Sozialverhalten. Das Versprechen wird nicht eingelöst: Die auf Jesus bezogenen Superlative werden bis an die Grenze des sprachlich Möglichen gesteigert, eine Annäherung an die Person oder Gestalt des Jesus von Nazareth geht damit aber nicht einher.

Statt dessen bietet Alt Programmatisches, Stichworte für eine bessere Welt. Sein Programm, bereits aus früheren Veröffentlichungen bekannt, ist liberal und gewaltfrei. Es gründet auf Reife und Selbstverantwortung des Individuums und folgert Abrüstung, gewaltlosen Widerstand und Ökologie. Aber das Programm bleibt vage, es werden Gemeinplätze angeboten, denen jeder zustimmen kann. Es gipfelt in der These, es ergebe „sich für einen Menschen, der auf Jesus vertraut, als konsequente Entwicklungsstrategie: im richtigen Augenblick mit den richtigen Leuten am richtigen Ort das Richtige tun“.

Die Anbindung der Vorstellungen Alts an die Person oder Gestalt Jesus ist nicht nachvollziehbar. Ohne Beachtung der Ergebnisse der historisch-kritischen Jesusforschung sucht er sich vermeintlich passende Stellen aus der Bibel heraus und interpretiert und assoziiert nach Belieben. Dabei meint er, näher am historischen Geschehen dran zu sein, als die Evangelisten Matthäus und Lukas. Warum nur Markus und auch der nur teilweise gelten soll, wird nicht erklärt. Paulus wird schlicht als Verdreher der wahren Lehre abgelehnt.

Bei der Selbstverständlichkeit der Erkenntnisschöpfung nimmt es dann auch nicht wunder, wenn Jesus zeitweilige mentale Defizite bescheinigt werden: „Jesus, der Lernende, ging in die Schule von Frauen. Er hatte es nötig.“ Oder: „Jesus hatte noch nicht begriffen, was Nächstenliebe ist.“ Und wenn festgestellt wird, „daß Gott eine Leiche aufrichtet, ist gottwidrig“, will es scheinen, daß auch dieser noch etwas von Franz Alt lernen könnte.

Nach Alt ist Jesus nicht am Kreuz gestorben. Er sei bewußtlos gewesen, gesund gepflegt worden und habe später seine Jünger in Galiläa wiedergetroffen. In einem späteren Kapitel wird dann aber doch vorgetragen, daß Jesus getötet worden sei.

Wo derlei beliebig verfahren wird und selbst Widersprüche in Kauf genommen werden, drängt sich die Vermutung auf, daß Alt nicht so sehr den ersten Mann Jesus im Blick hat, sondern seine eigene Lehre mit dessen Ettikett versehen will.

Immerhin ist Alt zugute zu halten, daß er offen von sich berichtet und midlife-crisis, Ehe- und Erziehungsprobleme, psychoanalytische Behandlung ebenso erwähnt wie Fehler, die er in einem früheren Buch noch gemacht habe. Ein Gefühl von Peinlichkeit bleibt aber nicht aus, wenn er von seiner Verantwortlichkeit „für zwei Fehlgeburten, die wir während einer Ehekrise hatten“ spricht, oder von einem Traum erzählt, den er gehabt habe, „als wir mit unserer jüngsten Tochter schwanger gingen“.

„Ob wir Mist ausfahren oder Bücher schreiben, ob wir schweißen oder kochen, ist zweitrangig. Wichtiger als das, was wir tun, ist, wie wir etwas tun“, meint der Autor Alt. Zur Frage des Wie muß es für Journalisten aber gehören, daß überkommene Vorurteile nicht ungeprüft nachgebetet werden. Offenbar ohne Kenntnis der biblischen Grundlagen und pauschal ordnet Alt dem jüdischen Glauben einen gnadenlosen, lieblosen, richtenden und statischen Gott zu, dem er einen mütterlichen, liebevollen und dynamischen Gott des „jesuanischen“ Chrisentum gegenüberstellt.

„Im Gespräch mit der Samaritanerin am Brunnen überprüft Jesus sein Gottesbild und überwindet seinen jüdischen Gott“, formuliert Alt und macht sich Hanna Wollfs Zitat zu eigen: „Das Christentum ist bisher nie wirklich aus dem Schatten des Judentums herausgetreten.“ Mit solchen Klischees stellt sich Alt bedenklich nahe zu denen, die mit vermeintlichen theologischen Argumenten Sentiments gegen jüdischen Glauben und Juden schüren. Wenn etwa Jesus das Gebot der Nächstenliebe formuliert, übernimmt er mit voller Absicht eine Stelle aus der Thora, dem jüdischen Gesetz. Selbst eine oberflächliche Recherche hätte die Bibelstelle im 3. Buch Mose, 19, 18, finden müssen. Und sie hätte finden müssen, daß Jesus sich immer als Vollender und Erfüller des Gesetzes begriff, nicht als dessen Überwinder. Schließlich bleibt das Buch auch beim Thema Psychanalyse flach. Durchgehend wird Jesus als „anima- integriert“ bezeichnet. Die Animus- Anima-Konzeption, die auf C.G. Jung zurückgeht, wird von Alt wie folgt dargestellt. „Aufgabe des Mannes ist es, seine weiblichen Seelenanteile, die Anima, zu verwirklichen, und Aufgabe der Frau, ihre männlichen, den Animus.“

Wie Alt Männliches und Weibliches in psychologischer Typisierung sieht, liest sich so: „Kennzeichen einer typisch weiblichen Lebensweise: gewaltlos, pflegend, haushaltend, organisch, ehrfürchtig, qualitätsorientiert. (...) Kennzeichen einer typisch männlichen Lebensweise: gewalttätig, brutal, ausbeutend, verschwenderisch, mechanisch, ehrgeizig, auf Quantität aus.“ Warum das so sein soll, wird nicht angesprochen. Gunter Schmitt-Horn

Franz Alt, Jesus, der erste Mann , München 1990, Piper Verlag, 185 Seiten, 19,80 D-Mark.

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