: „Was mit den Leuten gemacht wird, ist eine Schweinerei“
Regine Hildebrandt (SPD), Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in Brandenburg/ Die gelernte Biologin ist vier Tage nach Gründung der Ost-SPD in die Partei eingetreten/ Soziales Engagement steht für sie im Vordergrund/ „Sie sind die einzige, die für uns redet“ ■ Von Brigitte Fehrle
„Los Uwe, rauf auf die Autobahn, zeig Risiko!“ Der junge Mann am Steuer des hellbeigen Lada gibt Gas und reiht sich auf die rechte Spur der dichtbefahrenen Autobahn ein. Die kleine drahtige Frau mit der energischen Stimme auf dem Rücksitz ist mit ihrem Fahrer zufrieden. Regine Hildebrandt, die frischgebackene Landesministerin in Brandenburg, ist auf Wahlkampfreise. Ziel ist diesmal ein kleiner Ort südlich von Dresden, Feindesland für die Sozialdemokratin. Eine knappe Stunde zuvor erst hat Ministerpräsident Manfred Stolpe vor dem Landtag in Potsdam den Fotografen sein neues Kabinett präsentiert. Regine Hildebrandt, die ehemalige Sozialministerin der DDR in der Regierung de Maizière, stand dicht neben Stolpe. „Die wichtigste Frau im Kabinett“, hat er sie genannt. Allerdings ist sie neben Marianne Birthler, die vom Bündnis 90 nominiert worden ist, auch die einzige.
Das findet Regine Hildebrandt gar nicht gut. Und wie immer, wenn sie mit einem Problem konfrontiert wird, sinnt sie sofort auf Abhilfe. Die Betonung liegt auf sofort. Gleich in der ersten, noch provisorischen Kabinettssitzung hat sie deshalb angeregt, einen Frauenförderplan für die Ministerien mit einer Art Quote auszuarbeiten, obwohl sie von Quoten eigentlich nichts hält. Aber, meint sie, wir müssen die Frauen ermutigen, „damit die auch aus dem Knick kommen“. Sie sagt das mit Verständnis für die Frauen in der ehemaligen DDR, aber auch mit Ungeduld.
Das Verständnis kommt bei ihr aus dem Kopf. Die Ungeduld aus dem Herzen. Denn im Grunde begreift sie nicht, warum die Menschen nicht alle so sind wie sie. Warum sie nicht anpacken, zupacken, ihr Leben in die Hand nehmen.
Sie selbst ist eine so ganz und gar untypische Ostbürgerin. Obwohl auch sie ihr ganzen Leben in der DDR, im sozialistischen Alltag verbracht hat, sind ihr weder Mut noch Chuzpe, nicht die Energie und nicht der Humor verlorengegangen. Äußerlich verlief ihr Leben ganz unspektakulär. Und doch war so vieles anders als bei den meisten anderen. Die vielen kleinen Konflikte mit Partei und Gesellschaft haben sie nie resignieren, sie nie klein beigeben lassen. Sicheren Fußes ging die Christin auf dem dünnen Grat zwischen einem aktiven Leben mitten in der realsozialistischen Gesellschaft und ihren humanistischen Überzeugungen.
Nicht aus Überzeugung ist sie im Osten geblieben
Nach dem Krieg kehrten ihre Eltern in die Heimatstadt Berlin zurück. Die Familie bezog mit den beiden Kindern ein Zimmer in einer Wohnung in der Bernauer Straße. „Mit dem ersten Geld kauften wir Fensterglas, um die Pappdeckel zu ersetzen“, plaudert sie aus der Familiengeschichte. Im August 1961 wurde die Mauer gebaut. Ihre Straße war die neue Grenze. Etwa zwei Wochen lang hätte die Familie noch die Möglichkeit gehabt, in den Westen zu gehen, dann wurden die Hauseingänge zugemauert.
Warum sind sie geblieben? Jedenfalls nicht aus Überzeugung. Weder ihre Eltern waren überzeugte Sozialisten noch die damals 20jährige Regine. „Vielleicht, weil wir glaubten, daß jeder Mensch dort seine Aufgabe zu erfüllen hat, wo er hingestellt wird.“ So erklärt sie es rückblickend. Hat sie es je bereut? Ihr Bruder hat sich anders entschieden und sich in den Westen „abgeseilt“. Im wahrsten Sinne des Wortes, aus dem Fenster der Wohnung im ersten Stock.
Damals studierte Regine Hildebrandt schon an der Humboldt-Universität Biologie. Nach dem Abschluß 1964 ging sie zu VEB Berlin Chemie, einem ehemaligen Zweigbetrieb von Schering.
Frischweg wurde sie stellvertretende Abteilungsleiterin und blieb das auch bis zum Ende der Republik. Wenn sie erzählt, wie damals und wahrscheinlich noch bis heute die Chemikalien ungesichert durch den Betrieb flossen und Kohlestaub und Ruß sich schwarz auf die Gebäude legte, möchte man am liebsten weghören.
Für Regine Hildebrand sind schlechte Bedingungen aber immer Herausforderungen. Sie promovierte in dem maroden Betrieb, entwickelte neue Testreihen für die Tierversuche mit Tranquilizern. Ungerührt berichtet sie von dem sogenannten „Kampffischtest“, wie ungenügend der war, und wie sie ein neues Verfahren mit Ratten entwickelt hat. Dann — die klinische Erprobung für eine neues Beruhigungsmittel war schon perfekt — zeigte sich im Selbstversuch, daß es bei Menschen verheerende Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt hatte. „Eine Woche lang lagen ich und meine Freundinnen flach“, erinnert sie sich, lacht, und findet es aus der Distanz gar zu komisch. Und während der Lada von Uwe mit sicherer Hand und dem Fuß fest auf dem Gaspedal in Richtung Dresden donnert, erzählt die Ministerin Geschichten von früher. Sie liebte ihre Arbeit bei VEB- Berlin Chemie. „Ich bin ein bodenständiger Typ“, sagt sie. Und sie liebte ihre Kollegen. Ihnen zuliebe, damit die Abteilung endlich den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ bekam, trat sie nach langem Sträuben in den FDGB ein.
„Ich war immer das Hindernis“, erklärt sie. „Jedesmal wenn wir den Antrag gestellt hatten, fragten die: Ist die Kollegin Hildebrandt eingetreten? Nein? Also, tut uns leid.“ Irgendwann wollte sie ihren Kollegen die Vorteile dieser Auszeichnung nicht länger vorenthalten. „Der Trick war bloß der, daß wir alles, was wir sowieso gemacht haben, in die Formel: sozialistisch leben, sozialistisch arbeiten und sozialistisch lernen packen mußten.“
Draußen ist es inzwischen dunkel, der Lada hoppelt über die Landstraßen hinter Dresden. Um fünf war der erste Termin in Freital, jetzt ist es kurz vor sieben. „Fahren wir doch gleich zum nächsten“, meint Uwe, der Fahrer, doch da widerspricht Regine Hildebrandt vehement. „Das können wir nicht machen. Das ist irgendwas Soziales. Die Leute waren so nett am Telefon. Wir müssen uns wenigstens sehen lassen.“
Sie macht das nicht aus Kalkül. Sie hat das, was sich eine Politikerin eigentlich kaum leisten kann: Herz für den einzelnen Menschen. Und dafür nimmt sie sich auch Zeit. „Mein Ministerpräsident war gar nicht begeistert, daß ich die Kabinettssitzung geschwänzt habe“, kichert sie wie ein Backfisch, der den Erwachsenen ein Schnippchen schlägt. Termine vor Ort läßt sie nicht wegen einer Sitzung ausfallen. Für Regine Hildebrandt sind die Menschen das Wichtigste. Die Leute spüren das und sind ihr dankbar.
„Sie sind doch die aus dem Fernsehen“
Der Lada fährt jetzt auf der dunklen Hauptstraße durch Freital. „Uwe, wo müssen wir hin, halt an, ich frag mal.“ Ein älteres Ehepaar erklärt den Weg zur Mensa der Fachhochschule. Der Mann stutzt, erkennt die Ministerin: „Sie sind doch die aus dem Fernsehen, die von der Partei.“ Ehrliche Freude zeigt sich auf seinem Gesicht. „Sie sind die einzige, die für uns redet, da freuen wir uns aber, daß Sie auch mal kommen.“
Die Veranstaltung ist schon vorbei, nur noch ein halbes Dutzend Aktivisten sind da und räumen auf. Regine Hildebrandt schüttelt alle Hände, und auf geht's weiter Richtung Süden zur SPD-Wahlveranstaltung nach Dippoldiswalde. Die Sozialdemokraten sind in diesen Orten hier eine verschwindend kleine Minderheit.
Die Ministerin wird schon erwartet. Ein junger Mann stürzt schon vor dem Haus auf sie zu, fällt ihr fast um den Hals, erleichtert, daß mal eine Repräsentatin einer Partei, die auch Macht hat, zu ihnen kommt. Regine Hildebrandt geht ans Podium, begrüßt die Menschen, und dann beginnt das, was derzeit auf jeder Veranstaltung in der DDR ansteht: Sozialberatung.
Warum bekomme ich nur so wenig Rente? Was ist mit dem Müttergeld? Wie können wir eine Beschäftigungsgesellschaft gründen? Was passiert mit der Volkssolidarität? Muß ich ab 1.Januar die Kosten fürs Altersheim selbst tragen? Die wenigen Angaben, mit denen die Fragenden ihr Bedürfnis nach Informationen erläutern, geben Einblick in trostlose Schicksale, zeigen völlig verunsicherte Menschen, die mit dem neuen System einfach nicht klarkommen. Und immer wieder die Frage: Wo kann ich mich informieren?
Die Ministerin informiert, bügelt die Lücken aus, die entstanden sind, als die Bundesregierung das westliche System der sozialen Sicherung auf die ehemalige DDR gestülpt hat. „Das paßt nicht zusammen“, gibt Regine Hildebrand den Fragenden Recht. Dann erklärt sie mit schier unerschöpflicher Geduld. Sie hat alle Bestimmungen im Kopf, weiß auf fast alle Fragen Antwort. Und sie macht noch etwas, was eigentlich der Job von Norbert Blüm wäre: Sie erklärt die Grundsätze der CDU-Sozialpolitik, damit die Leute wenigstens nicht ganz und gar hilflos im Gestrüpp der Westpolitik herumirren. Wenn sie den teils haarsträubenden Geschichten der Menschen zuhört, wird ihr herbes Gesicht ganz weich, dann steht nicht die Politikerin am Podium, dann ist da nur noch die Frau, die versucht, zu raten und zu helfen.
Nur wenn die Ratsuchenden allzusehr jammern, sich in die Opferrolle begeben, alles schwarz und düster malen, wird sie ungehalten. Dann wird Regine Hildebrandt zur Agitatorin für die kleinen Chancen. Sie läßt kein „ja, aber“ gelten. Und ihre Geduld schlägt um in Ärger. Nichts bringt sie mehr auf die Palme, als tatenlose Menschen, die ihr Schicksal beklagen, statt es in die Hand zu nehmen. Dann hört sie auch nicht mehr zu, unterbricht die Leute, fällt ihnen ins Wort: „Man muß um Himmels willen was tun und nicht nur rumsitzen und warten!“ Daß sie sich dabei auch unbeliebt macht, stört sie nicht. Denn davon ist sie überzeugt: Wenn nicht jetzt schnell und überall was passiert, Ideen entwickelt und gehandelt wird, liegt das Land in Kürze in Scherben. Zwei Millionen Arbeitslose: Diese düstere Prophezeihung hat sie nie aus wahltaktiktischem Kalkül heraus geäußert, sondern aus der genauen Kenntnis der Lage vor Ort. „Brandenburg kenn' ich wie meine Westentasche“, sagt sie und meint das nicht nur geographisch.
Während ihrer kurzen, aber steilen politischen Karriere ist sie zur sozialen Gallionsfigur für die Ost-SPD geworden. Daß sie im Ostberliner Kabinett unter de Maizière Ministerin wurde, war ursprünglich nicht ihr strammer Wille. Sie habe das eigentlich nicht gewollt, meint sie, mit dem Nachsatz: „Ich bin wie die meisten Frauen, ich muß nicht unbedingt an vorderster Stelle stehen.“ Sie meint das durchaus auch selbstkritisch.
Letztlich war es ihr widerspenstiger Geist und ihre aufmüpfige Art, die sie um den Ministersessel hat kämpfen lassen. Die Koalitionsverhandlungen im Frühling waren schon abgeschlossen, Regine Hildebrandt hatte daran intensiv mitgearbeitet. „Plötzlich taucht da immer so ein Typ auf, und ich wundere mich schon, was der will“, erzählt sie. „Und plötzlich wird der als Minister für Soziales vorgeschlagen.“ Da war für sie klar: Bevor der Mann Minister wird, der an der ganzen Vorarbeit nicht teilgenommen hat, macht sie es selbst.
Doch eine „richtige“ Politikerin ist sie nicht geworden. Parteitaktik ist ihr fremd, und auch hier in Sachsen, wo sie Wahlkampf machen soll, vergißt sie völlig die penetrante Rhetorik des „Wir Sozialdemokraten“. Sie wurde nie abgeschliffen, mußte sich nicht durch Parteihierarchien quälen. Die obligatorische Schelte an die Adresse der anderen Parteien ist ihr zuwider. Regine Hildebrandt ist eine erfrischende Ausnahme im uniformen sozialdemokratischen Spektrum. Sie provoziert — nicht nur als Parteimitglied: Vier Tage nach der Gründung der SPD im Oktober 1989 wurde sie Mitglied. Weil man, wie sie sagt, „wenn's los geht, eine Partei braucht“. Aktiv war sie aber weiter bei Demokratie Jetzt.
Sie provoziert auch als Frau. Sie paßt in keines der derzeit akzeptierten Bilder. Weder ist sie eine unangreifbare, nie die Fassung verlierende Rita Süßmuth, noch eine kühl- sachlich-kompetente Ingrid Matthäus-Maier. Sie ist keine berechenbare Parteisoldatin und keine, die sich in die hinteren Reihen verdrängen läßt. Sie ist eine widerborstige Person, eine Frau, die Männer gemeinhin nicht mögen. Ihr fehlt, was Männer unter dem sogenannten „Weiblichen“ verstehen. Ihr blond- graues kurzes Haar kennt keinen Friseur. Wenn sie etwas will, wird sie penetrant und unnachgiebig.
Noch tragen das die Männer mit Fassung. Manfred Stolpe, ihr Ministerpräsident, weiß, daß er sie fürs soziale Image seiner Regierung braucht. In den Augen der ehemaligen DDR-Bürger ist sie „die einzige, die was für uns getan hat“, wie ihr ein Mann im Kulturhaus in Dippoldiswalde bescheinigt.
Die Wahlveranstaltung ist zu Ende. Mit einem dünnen Strauß Blumen in der Hand bricht Regine Hildebrandt nach drei Stunden geduldigen Zuhörens und Ratgebens wieder auf nach Berlin. Aufgekratzt sitzt sie auf dem Rücksitz des Wagens. „Na Uwe, jetzt aber los. Willst Du ein Stück Apfel?“ Mütterlich teilt sie das Obst und gibt es Uwe in kleinen Stücken nach vorn.
„Eine DDR-Frau weiß, was arbeiten heißt“
Woher nur hat diese kleine, schmale Frau so viel Energie und Kraft? Woher nimmt sie die Geduld, Abend für Abend den Menschen zuzuhören? „Vielleicht“, überlegt sie, ist es eine Art Barmherzigkeit. Regine Hildebrandt leidet mit ihren Landsleuten. „Was mit den Leuten gemacht wird, ist eine Schweinerei.“ Der Satz kommt aus ihrem tiefsten Inneren.
Doch da ist noch etwas anderes. Ihre Familie. „Es ist schön zu sehen, wie da eine Saat aufgeht.“ Sie meint ihre drei Kinder. Sie hat sie — ganz typisch als doppelbelastete Frau — aufgezogen und war dabei immer berufstätig. „Eine Frau in der DDR weiß, was arbeiten heißt.“ Sie lacht, als sie das sagt. In einer Krippe aber waren die inzwischen fast erwachsenen Kinder nie. Als sie klein waren, war die Großmutter da, später brachte Regine Hildebrandt sie tagsüber in einem privaten, kirchlichen Kindergarten unter.
Wo es nur ging, hat sie ihre Kinder dem sozialistischen Erziehungswesen entzogen. Trotzdem waren sie keine Außenseiter. Regine Hildebrandt erzählt nicht ohne Stolz, daß ihre große Tocher in der Klasse sehr angesehen gewesen sei. „Die Lehrerin wollte sie immer dazu überreden, endlich in die FDJ einzutreten, aber sie hat es nicht gemacht.“ Und wenn, hätte sie es akzeptieren können? Einen Moment lang überlegt sie. „Ja, aber es wäre mir schwergefallen.“
Auch ihre beiden anderen Kinder waren nie in der FDJ, und alle haben sie in der Schule nicht am Wehrkundeunterricht teilgenommen. „Ich bin ja keine geborene Widerstandskämpferin“, sagt sie, doch in der Familie Hildebrandt gab es klare Werte und Grenzen. Ihr Mann hat den Wehrdienst verweigert, war Bausoldat und saß im Knast, weil er es ablehnte, auf einer Militärbaustelle zu arbeiten.
Schon bevor die Kinder überhaupt in die Schule kamen, schrieben die Eltern Hildebrandt an Honecker, daß sie den Wehrkundeunterricht ablehnen. Und irgendwie haben sie es geschafft, das durchzusetzen. „Das heißt aber nicht, daß das jeder konnte“, verteidigt Regine Hildebrandt all diejenigen, die nicht so konsequent waren.
„Früher hab ich alles fotografiert, jetzt hab' ich kaum noch Zeit dafür.“ Seit sie Ministerin ist, hat die Familienchronik Lücken bekommen. Und das seit Jahrzehnten übliche gemeinsame Abendessen im Hause Hildebrandt findet jetzt meistens ohne sie statt. Die Gewohnheiten bröckeln. Auch ihr Mann hat viel zu tun. Außerdem kümmert er sich um den Haushalt. Jetzt im Winter müssen jeden Morgen die Kachelöfen in der großen Altbauwohnung angeheizt werden. Außerdem sind da noch die Eltern und die Schwiegereltern zu versorgen, die ebenfalls in dem alten Mietshaus in der Rosa-Luxemburg- Straße wohnen.
Regine Hildebrandt vermißt vieles aus ihrem „alten“ Leben. Doch sie ist keine Person, die rückwärts schaut. Sie sieht ihr Land und die Probleme und packt an.
Es ist weit nach Mitternacht, und der Lada braust vom Süden her durch Berlin, Richtung Mitte. „Fünf Stunden Schlaf brauch' ich mindestens“, meint sie. Heute wird sie es wohl nicht ganz schaffen. Noch reichen für die Ministerin Kraft und gute Ideen aus, um von den Menschen akzeptiert zu werden. Noch geben sich die Leute zufrieden mit dem Rat, die drohende Arbeitslosigkeit mit Kurzarbeit, Umschulung und ABM-Stellen zu bekämpfen. Doch als Landesarbeitsministerin in Brandenburg wird bald mehr von ihr verlangt werden als diese kurzfristigen Hilfskrücken.
Schon jetzt kommt bei ihren Veranstaltungen die zwar freundliche, aber doch bestimmte Frage nach längerfristigen Konzepten, Lösungen und Auswegen aus dem Kreislauf von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg angesichts der von ihr selbst prophezeiten zwei Millionen Arbeitslosen in den neuen Ländern. Regine Hildebrandt wird mehr sein müssen als der gute Engel.
Doch heute denkt sie erst einmal an morgen. Da wird sie wieder mal mit Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in einer Fernseh-Talkshow sitzen und über Sozialhilfe diskutieren. Sie seufzt: „Der Blüm, der kommt dann wieder mit dem Problem vom Mißbrauch. Wie kann ich dem bloß klarmachen, daß bei uns keiner freiwillig in die Sozialhilfe geht, daß wir alle arbeiten wollen?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen