: Rätselraten um Pinochets Geheimkasse
■ Militärische Geheimorganisation in Chile bringt Generäle in Verlegenheit/ Auch Ex-Geheimdienst CNI im Zwielicht/ Morde, Schiebereien und rechtsextreme Umtriebe/ Regierung Aylwin schweigt
Santiago (ips/afp) — Eine geheime militärische Finanzorganisation namens „Cutufa“, geleitet von hohen Generälen und vom Ex-Diktator Pinochet gedeckt, soll in Chile seit Jahren für Korruption und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein. Diese schweren Vorwürfe erhebt ein anonymer, angeblich von entlassenen Offizieren verfaßter Brief, der am Mittwoch dem stellvertretenden Parlamentspräsidenten Carlos Dupre zugeleitet wurde. Finanzspekulationen, Veruntreuung öffentlicher Gelder, Waffen- und Drogenhandel sollen die schwarze Kasse des chilenischen Heeres speisen.
Über die Existenz der Cutufa und ihre Ausdehnung wird schon seit einem Monat heftig gestritten. Der jetzt publik gemachte Brief stammt Spekulationen zufolge von mittleren Offizieren, die wegen der Verwicklung in den Skandal bereits aus der Armee entlassen wurden und empört sind, daß die verantwortlichen höheren Chargen noch im Amt sind. Führungsfiguren der Cutufa sollen nämlich zwei Generäle a.D. sein: Hector Orozco und Humberto Gordon, früher enge Mitarbeiter des Militärdiktators. Pinochet, heute Oberkommandant der Streitkräfte, habe davon gewußt.
Ein Sohn des Ex-Diktators, Augusto Pinochet Hiriart, soll den Anschuldigungen zufolge für seine Waffenfabrik eine große Summe aus der Cutufa erhalten haben. Ferner wird die Ermordung zweier ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter und der mysteriöse „Selbstmord“ einer Untersuchungsrichterin mit der Cutufa in Verbindung gebracht. Diese Tatbestände sind bereits Gegenstand von Ermittlungen der Justiz und eines Parlamentsausschusses.
Auch der im März aufgelöste Geheimdienst CNI kommt aufgrund dieser und anderer Beschuldigungen ins Zwielicht. Im Offiziersbrief wird Pinochet beschuldigt, er habe dem ehemaligen CNI-Major Alvaro Corbolan „Mittel und Begünstigungen“ zukommen lassen, um die rechtsextreme Partei „Avanzada Nacional“ zu gründen. Ein ehemaliger CNI- Mitarbeiter, Patricio Castro, steht seit drei Wochen zusammen mit einem Armeehauptmann vor Gericht, um sich wegen Beteiligung an der Cutufa und der Ermordung des Geschäftsmannes Aurelio Sichel zu verantworten. Der letzte Leiter des CNI vor seiner Auflösung, General Gustavo Abarzua, hat am Mittwoch zwei Anwälte verklagt, die behauptet hatten, er sei der Kopf der Cutufa gewesen. Abarzua war Ende Oktober in den Ruhestand gegangen — nach eigener Darstellung allerdings freiwillig und nicht etwa wegen einer Verwicklung in den Skandal.
Die chilenische Regierung enthielt sich bisher jeden Kommentars zu der Affäre, obwohl das Rätselraten schon seit einem Monat anhält. Nun hat Carlos Dupre das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Echtheit des neuen Briefes zu überprüfen. Denn in dem Brief wird auch angedeutet, die Verfasser besäßen Dokumente „über tote Verschwundene und sehr, sehr heikle Konfrontationen“ ab 1974 und einen Repressionsplan der Armee, der den Namen „Als der Kondor Hunger hatte“ trage. Sollte Pinochet heeresintern zu „Repressionen greifen“, drohen die Verfasser, das belastende Material zu veröffentlichen.
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