: Hausbacken und altmodisch
Norwegens Fernsehen steckt noch in den Kinderschuhen/ Nur sechs Stunden Programm ■ Aus Oslo Reinhard Wolff
Wenn Frankreichs Fernsehen die professionellste Darstellung des Wetterberichtes zu bieten hat — den europaweit letzten Platz macht dem norwegischen Fernsehen vermutlich kein Sender streiti. Nach welchen Kriterien die Vertreter der meteorologischen Zunft ausgewählt werden, die allabendlich das Wetter von morgen präsentieren, ist unerfindlich: danach, daß sie in irgendeiner Weise den Ansprüchen des Mediums Fernsehen entsprechen, ganz sicherlich nicht. Im Vergleich dazu können ihre bundesdeutschen Kollegen schon als glänzende Showgrößen bezeichnet werden.
Ähnlich hausbacken — aber eben auch ganz liebenswürdig altmodisch — kommen weite Teile des Fernsehprogramms daher. So die halbstündige allabendliche Hauptnachrichtensendung, die sich vor allem dadurch auszeichnt, daß hier regierungsamtlicher Stellungnahmen verlesen werden. Obligatorisch ist zudem, was in keiner Sendung fehlen darf, ein Bericht vom Öl. Irgendeine Nachricht über eine Ölplattform gibt es eigentlich immer, vor allem natürlich gerade jetzt, wo die Nordsee rauher wird und das Thema Öl durch die Golfkrise auf der Tagesordnung steht. „Paß auf, gleich kommt die Ölplattform“, sagt mein Bekannter in weiser voraussicht und hat recht. Übersichtlich und vertraut ist sie, die News-Show in Norwegen. Nicht nur in den Nachrichten, sondern im ganzen Programm kennt man sich schnell aus, fühlt sich schnell zu Hause. Ein „normaler“ Werktag: Programmstart 17 Uhr mit Nachrichten, anschließend verschiedene Kinder- und Jugendprogramme. Um 19.30 Uhr die Hauptnachrichten, anschließend ein Film oder Fernsehspiel, ein politisches oder kulturelles Programm. Nach Abschluß der Spätnachrichten werden die Norweger dannauch schon ins Bett geschickt — meistens vor 23 Uhr.
Wohnt man nicht gerade in einem grenznahen Gebiet, wo das schwedische Fernsehen zu empfangen ist und hat man keine Satellitenschüssel auf dem Dach, dann ist Fernbedienung ein unnützer Luxus, denn eine Wahl zwischen mehreren Programmen gibt es nicht. Die — staatliche — norwegische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft NRK hat ein absolutes Monopol, was man auch deutlich spürt. Nicht nur an der altmodischen Aufmachung, dem spärlichen Programmangebot, sondern auch an der Aufmerksamkeit, das jedes Fernsehereignis begleitet. Jeder Sturm im TV-Wasserglas setzt sich tagelang in den Zeitungsspalten und der öffentlichen Debatte fort. Was auf der Mattscheibe flimmert, ist von vorneherein Ereignis.
Doch es wäre ungerecht: Nicht nur Stürme im Wasserglas kommen da ins Wohnzimmer. Es dürfte kaum ein europäisches Fernsehen geben, in dem soziale, gesellschaftspolitische und kulturelle Fragen einen so großen Raum im Programm einnehmen wie im hohen Norden. Von der Hausbesetzerszene in Oslo bis zur Schließung einer kleinen Fabrik in einem nordnorwegischen Nest: Jeder Winkel des Landes wird abgeleuchtet. Nach diesem Dokumentaraufwand ist es mit Eigenproduktionen dann allerdings bis auf wenige Unterhaltungssendungen aber auch gleich getan. Was sonst noch das Programm füllt, ist angekauft, aus Westeuropa und den USA.
Die Parteien und Politiker haben einen starken Einfluß auf den NRK. Chefposten werden traditionell an verdiente Vertreter der gerade in Oslo residierenden Regierung vergeben. Da sie da auch sitzen bleiben, wenn diese wechselt, darf sich der jetzige Ministerpräsident Syse über den „Linksfunk“ aufregen und ganz offen und gezielt einzelne Journalisten kritisieren, deren politische Linie ihm nicht paßt — ohne daß sich ein Sturm der Entrüstung ob solch offener Einmischungs- und Zensurversuche erheben würde. Dabei passieren die wenigen wirklichen „Enthüllungen“ in der norwegischen Politik eigentlich nie zuerst im Fernsehen, sondern in den Zeitungsspalten. Der Parteienproporz wirkt.
Mit dem alleinigen Sendemonopol soll es ab 1992 dann aber doch Schluß sein. Nach jahrelanger Diskussion konnten sich alle im Parlament vertretenene Parteien im Oktober endlich darauf einigen, im Land eine zweite Senderkette zu errichten. Das zweite Programm soll weniger eng am Gängelband der Parteien geführt werden, vor allem soll es — so etwas gibt es bislang in Norwegen noch nicht — Werbung enthalten. Mehr noch: Das Programm soll sich ausschließlich durch Werbung finanzieren. Ob das gut geht, wird schon jetzt bezweifelt. Ein Werbeprogramm, noch dazu eines mit hohen journalistischen Ansprüchen in einem Land mit gerade vier Millionen Einwohnern? Im Nachbarland Schweden mit einem doppelt so hohen Seherpotential ist ein ähnlicher Versuch gerade dabei, baden zu gehen. So ist es noch nicht ausgemacht, ob dem Wetterbericht im Ersten wirklich bald eine alternative Konkurrenz oder nur ein kaum unterscheidbarer Ableger erwächst.
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