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Die fünf Koffer des Herrn Schalck

■ Modrow weist Anschuldigungen wegen KoKo-Akten zurück/ Material in Panzerschränken gefunden/ Berliner Justizsenatorin bleibt bei ihrer Darstellung/ Aktenkoffer „gefleddert“?

Berlin (taz) — Hans Modrow, ehemaliger Ministerpräsident der DDR, sprach von einer „glatten Lüge“, aber die Berliner Justizsenatorin bleibt dabei: Modrow soll in seiner Zeit als Ministerpräsident dazu beigetragen haben, daß Akten zum Fall des früheren DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski beiseite geschafft wurden. Am Donnerstag abend hatte die PDS ein Schreiben des Modrow-Anwalts Friedrich Wolf aus Ost-Berlin veröffentlicht, das Licht in den Verbleib von fünf Koffern mit Akten aus Schalck-Golodkowskis „Kommerzieller Koordination“ (KoKo) bringen sollte. Wolf beruft sich dabei auf Angaben des ehemaligen Leiters der DDR-Regierungskommission zur Untersuchung der KoKo-Aktivitäten, Willi Lindemann. Danach waren die brisanten Akten der Kommission für die Untersuchung der KoKo-Aktivitäten übergeben worden. Die Ermittlungen des ehemaligen Generalstaatsanwalts der DDR seien dadurch, entgegen der Behauptung Limbachs, keineswegs behindert worden. Denn von allen Akten, die die Kripo verlangte, seien Kopien angefertigt worden. Die Untersuchungen der Regierungskommission und Kripo der DDR seien parallel verlaufen. Nach Abschluß der Arbeiten der Regierungskommission, die im März der Regierung und dem Runden Tisch berichtete, seien sämtliche Akten aus dem KoKo-Bereich archiviert worden. Der Vorgang sei in einem Übergabeprotokoll festgehalten, das inzwischen der Westberliner Kripo übermittelt worden sei. Wolf bemerkt in seinem Schreiben an Modrow, es sei bei den Anschuldigungen der Berliner Justizsenatorin unberücksichtigt geblieben, daß „in der ehemaligen DDR ein Haftbefehl gegen Schalck-Golodkowski erlassen worden ist, während jetzt ein Haftbefehl gegen Schalck-Golodkowski aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen nicht besteht“.

Jutta Limbach hat dieser Darstellung gestern widersprochen. Inzwischen wurden im früheren Ministerium für Außenhandel, der jetzigen Außenstelle des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin, zwei Panzerschränke mit Aktenmaterial der Regierungskommission gefunden. Ob es sich dabei um den Inhalt der berühmten fünf Koffer handelt, ist noch nicht geklärt. Lindemann sei in dieser Woche vernommen worden und habe nicht angeben können, in welchem Archiv die Akten lagerten. Auch habe Lindemann das angebliche Übergabeprotokoll über die Akten nicht vorlegen können. Die Justizsenatorin betonte, auch wenn die verschwundenen Akten wieder auftauchten, könnten die Staatsanwälte kaum rekonstruieren, ob sie vollständig seien. Die Staatsanwaltschaft befürchte, daß die Koffer „gefleddert“ und die Unterlagen auf „nicht mehr nachvollziehbare Weise“ verteilt worden seien. Im übrigen zog sie die Glaubwürdigkeit Lindemanns in Zweifel, der inzwischen leitender Mitarbeiter der Berliner Handels- und Finanzierungs- GmbH sei. Diese Gesellschaft ist nach Auflösung der KoKo gegründet worden, um ehemaligen KoKo-Firmen einen neuen Rechtsträger zu geben. Was aber das alles mit Modrow zu tun haben soll, konnte der Sprecher der Berliner Justizsenatorin auf Nachfrage der taz auch nicht erklären. Entscheidend sei der Verdacht, Modrow habe Anfang des Jahres den damaligen DDR-Ermittlungsbehörden belastendes Material vorenthalten wollen. marke

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