: “Die Abhängigen wollen das Angebot nicht annehmen"
■ Gespräch mit dem Bremer Drogenbeauftragten Guus van der Upwich über die Wohnperspektiven obdachloser Drogenabhängiger
Guus van der Upwich, 43 Jahre alt, ist seit dem 1.2.1990 Bremer Landesdrogen-Beauftragter. Van der Upwich ist Sozialwissenschaftler und hat eine individualpsychologische Ausbildung am Alfred-Adler-Institut in Delmenhaorst absolviert.
taz: Herr van der Upwich: Keine Häuser, keine Wohnungen, keine Wohncontainer. Seit drei Wochen wohnen obdachlose Drogenabhängige im Bunker Delmestraße, und auch in Ihrer Behörde weiß man, daß so ein Ort maximal vier Wochen auszuhalten ist. Wo werden die Obdachlosen in der nächsten Woche wohnen?
Guus van der Upwich: Also, erst einmal gibt es da ein Mißverständnis. Es gibt eine interne Anweisung: Wenn Leute zugewiesen werden in Notunterkünfte, dann wird das immer von Woche zu Woche gemacht. Damit wollen wir erreichen, daß derjenige wieder beim Amt für Soziale Dienste erscheint. Dann können wir sehen, ob wir etwas Neues haben. Wir haben gesagt, wir setzen uns eine Frist von vier Wochen. Wir haben aber auch deutlich entschieden: Wenn wir nach diesen vier Wochen keine Wohnung haben, dann bleibt er in der Unterkunft, wo er im Moment eine Zuweisung hat. Wir schmeißen niemanden –raus.
Aber die Junkies im Bunker haben doch gar keine Zuweisung.
Wir haben den Bunker in dem Moment aufgemacht, als ein sit-in gewesen ist. Da ist politischer Druck entstanden, und darum haben wir die Bunker geöffnet. Wir haben seitdem, bis zum heutigen Tag, 33 Ersatzunterkünfte: Auf dem Schiff, in Hotels und in Pensionen. Die sind frei gehalten worden für diese Leute, bis sie das Angebot wahrnehmen. Wir haben weiterhin noch vier Hotelbetten, wo wir in Verhandlung stehen. Und wir haben Häuser in Verhandlung, die wir aber in der Öffentlichkeit nicht mehr bekannt geben.
Bisher sind die Verhandlungen über Häuserkäufe ausnahmslos gescheitert. Wenn diese Geheimniskrämerei nicht zum Erfolg führt, warum ändern Sie nicht ihre Strategie?
Das erste Haus, das wir kaufen wollten, war in der Neustadt. Da sind wir ganz öffentlich mit umgegangen: Erst haben wir den Beirat informiert. Der sollte prüfen, ob er dieses Projekt unterstützen. Da haben wir ein großes –Nein' bekommen, aus den bekannten Gründen, die in jedem Beirat angeführt werden. Das hat mir zu denken gegeben. Wir haben dann noch zweimal Häuser im Beirat öffentlich angeboten. Ich habe gesagt: Wir diskutieren das mit der Bevölkerung. Das war unter anderem Rickmers-Park, und das Resultat war, daß am nächsten Tag dieses Haus mit Foto in der „Bild-Zeitung“ abgebildet war und wir eine Bürgerinitiative hatten. Das hat dazu geführt, daß wir gesagt haben: Wenn wir dieses Toleranzkonzept weiterverfolgen, dann kann es Juni 1991 werden, bis wir ein Haus haben. Wir haben aber ein ganz akutes Obdachlosigkeitsproblem.
Und die Konsequenz ist dann, aus dem Stadtteil, in dem sich eine Bürgerinitiative gebildet hat, wieder abzuziehen und an den nächsten Ort zu gehen, wo Ablauf und Ergebnis die gleichen sind? In der Roonstraße haben doch letztlich die vollendeten Tatsachen dazu geführt, daß die AnwohnerInnen ein betreutes Wohnprojekt mit zwölf Abhängigen tolerieren.
Die Entscheidung Roonstraße war eine politische Entscheidung. Und das sage ich auch immer wieder: Eine richtige, politische Entscheidung, aber nicht eine fachliche. Diese Entscheidung ist damals ad hoc entstanden, durch die Schließung des Hotels „Alter Senator“, wo wir seit Jahren 30-35 Drogenabhängige untergebracht haben. Und auf einmal hatten wir dieses Riesenproblem von Obdachlosigkeit. Das war eine kurzfristige Entscheidung. Wir waren so optimistisch, zu meinen, daß wir für die 30 Leute in kürzester Zeit Notunterkünfte anbieten könnten. Zeitlich ist das dann aber zusammmengefallen mit den Ereignissen in der DDR. Übersiedler, Aussiedler, Asylbewerber, und auf einmal war der Markt dicht. Besonders der Markt, den ich immer noch für die beste Lösung halte: Kleine Einzelwohnungen. Wenn ich Drogenabhängige über die ganze Stadt in Einzelwohnungen unterbringe, fallen sie als Problem überhaupt nicht auf. Wir haben 1.400 Drogenabhängige in Bremen, die nicht auffallen. Und die Diskussion mit der Bevölkerung ist ein langwieriger Prozeß. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, das Drogenabhängige Kranke sind, die wir wie viele andere in unserer Gesellschaft nicht mehr ausgrenzen dürfen. Das Erscheinungsbild der Drogenabhängigen löst aber soviel Angst aus, daß das ein ganz mühsamer Prozeß ist. Wenn ich jetzt sage, ich führe die Diskussion jetzt und besorge dann die Wohnungen, dann sterben wieder einige in der Kälte.
Aber das Wohnproblem der Drogenabhängigen ist lange bekannt. Bereits im letzten Jahr wurde das Haus Fedelhören 42 über mehrere Wochen besetzt. Sie hatten doch das ganze Jahr über Zeit, Wohnungen zu suchen. Sie wußten, was auf Sie zukommt.
In diesem Sommer war dieses Zimmer, in dem wir sitzen (van der Upwichs Dienstzimmer im Tivoli-Haus, Anm. der R.) ein Maklerbüro. Wir sind kaum noch zu unserer eigentlichen Aufgabe gekommen. Wir haben nur gesucht, wo man in dieser Stadt Häuser kaufen kann. Das nehmen mir viele Leute nicht ab. Aber neben meiner Arbeit, die ich für den Drogenhilfeplan aufzuwenden hatte, war ich hauptsächlich mit Häuserbeschaffung befaßt. Wir sind zwar für die Koordination verantwortlich, aber zuständig ist eigentlich das Amt für Soziale Dienste mit seiner Wohnungshilfe. Die müssen wir jetzt wieder einbinden. Nur, da ballen sich natürlich jetzt alle Randgruppen zusammen.
Ihre Beschaffungsaktionen sind so geheim, daß nicht einmal ihre Senatorin Bescheid weiß, wo welche Häuser zur Disposition stehen. Das letzte Kaufobjekt Kurfürsten-Allee 39 a wurde in der Deputation abgsegnet, nachdem drei Wochen zuvor schon das Verkaufsangebot zurückgenommen worden war. Werden Sie weiter mit verdeckten Karten spielen?
Wir setzen auf mehrere Sachen. Wir haben ein neues Gremium installiert. das klingt für viele sehr bürokratisch, aber es ist sehr wichtig. Was mir in Bremen gefehlt hat, ist, daß die Träger miteinander kooperieren. Es gibt viele Kämpfe zwischen den Trägern, und viele machen nebeneinander etwas. Wir haben als Konsequenz aus dem Drogenhilfeplan gesagt: Wir müssen sie an einem Tisch haben. Um gemeinsam mit denen zu planen. Jetzt sehen wir uns neue Modelle an. Wir wollen zum Beispiel mit dem Verein Wohnungshilfe eine Stiftung machen, in der wir versuchen, Geld von der Industrie und von den Sparkassen zu bekommen. Mit diesen Geldern soll die Stiftung in Eigenbau investieren. Die Vereine werden für die Problemgruen selbst bauen, und wir garantieren, daß wir den Mietzins übernehmen. Ein Mietzins, der auf Hypotheken fußt, und so weiter. Das sind natürlich längerfristige Projekte. Akut, daß sage ich ganz deutlich: Ich muß jetzt Wohnraum schaffen, insbesondere für die Leute, die jetzt substituiert werden. Es kann nicht angehen, daß wir in einem Haus Leute zusammenhaben, die gerade Entgiftung, Therapie oder Substitution machen. Diese beiden letzten Gruppen kollidieren miteinander. Vorrangig suchen wir jetzt für die Leute nach Wohnraum, die den ersten Schritt aus der Abhängigkeit gemacht haben. Die Substituierten. Und das werden wir auch gegen den Willen der Bürger tun. Ich kann nicht anders.
Wenn Sie aber über die Stiftung Grundstücke kaufen wollen, stehen Sie doch vor den gleichen Problemen, nur erheblich später.
Ja, dort wird das gleiche Problem auftauchen. Es müssen nicht unbedingt Grundstücke sein, es können auch Häuser sein in einem ganz schlechten Zustand, die dann mit Stiftungsgeldern renoviert und bezugsfertig gemacht werden können.
Bremen ist im Bereich Drogenpolitik ein Ausnahmeland. Hier ist vieles möglich, was sich bundesweit nicht oder nur sehr langsam durchsetzt. Zum Beispiel das Methadonprogramm der Gesundheitssenatorin. Warum sind Sie eigentlich so vorsichtig?
Ich bin in einer sehr schwierigen Situation nach Bremen gekommen. Die Stelle hier war seit beinahe einem Jahr nicht besetzt. Wir hatten einige Träger, die kaum noch miteinander kommuniziert haben. Ich habe versucht, eine Fähigkeit von mir einzusetzen: Ein Stück Intergrationsprozeß zwischen den Trägern herzustellen. Denn da ist die Basis der Zusammenarbeit. Und sicher bin ich vorsichtig, weil ich nicht aus der Politik komme. Ich komme aus dem Handlungsfeld, und muß mich erst einarbeiten. Aber ich denke, je sicherer ich in meiner Arbeit werde, desto offensiver kann ich werden.
Nochmal zurück zum Anfang: Wird der Bunker Delmestraße aus Ihrer Sicht in diesem Winter für die obdachlosen Abhängigen geöffnet bleiben?
Nein. Wir haben denen am Donnerstag 33 Alternativplätze zugewiesen. Es nächtigen dort meistens nicht mehr als 27 Leute. Insgesamt haben wir 18 Hotel- und Pensionsbetten, und 15 Plätze auf dem Schiff. Im Moment haben wir Schwierigkeiten, weil die Abhängigen dieses Angebot nicht annehmen wollen. Die Leute dort im Bunker Delmestraße tun sich selbst nichts Gutes, wenn sie dort bleiben. Die Plätze, die wir jetzt zur Verfügung stellen können, sind übrigens nicht befristet. Und das gleiche gilt auch für die Roonstraße. Wir haben dort 17 Leute, zehn sollen es werden. Aber die, die jetzt noch dort wohnen, müssen nicht aufs Schiff. Das wäre unmenschlich, weil die schon seit Monaten dort wohnen, die haben ein Recht auf andere Wohnungen.
Haben Sie für Wohnalternativen genug Geld zur Verfügung?
Es ist genug Geld da. Wir haben Vorgaben vom Finanzsenator, was Häuser kosten dürfen und die Quadratmetermiete. Dort, wo wir Häuser angeboten bekommen haben, haben wir auch immer Ausnahmen genehmigt bekommen, wenn wir darüber lagen. Bei Anmietungen gibt es keine Probleme. Und wir haben auch eine Marge bekommen, etwas höhere Mietpreise bei Hotelunterkünften durchsetzen zu können. Am Geld hapert es nicht.
Interview: Markus Daschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen