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Die Opfer der Vereinigung

■ Rennrodler Hackl und Ex-Biathlet Angerer erwarten eine widersprüchliche Wintersaison 1990/91 PRESS-SCHLAG

Es rutscht noch nicht“, beschreibt Weltmeister Georg Hackl seine Rutschpartien dieser Rodelsaison. Nach zwei Weltcup-Rennen liegt der Berchtesgardener Unteroffizier auf Platz vier. An diesem Wochenende wurde er im thüringischen Oberhof Fünfter. „Irgendwie muß mich im zweiten Lauf eine Windböe erwischt haben“, begründet der Urbayer seine Probleme im windigen Eiskanal.

Die Niederlage ärgert Hackl kaum, aber deren Art und Weise wurmt ihn sehr. Die Männer begannen am Damenstart. „Exoten machen uns den ganzen Sport kaputt.“ Für die Kamikazes unter den Rennrodlern droht jede Fahrt ins Tal eine Fahrt in den Abgrund zu werden. Böse Stürze zwangen die Veranstalter zur Verlegung des Starts. „Von dort rodeln an der Oberhofer Sportschule die zehnjährigen Buben“, schimpft Hackl, „so wird unsere Sportart nie richtig spektakulär.“

Das liegt nicht nur an gesundheitsgefährdeten Neulingen der Rodelszene, sondern auch an der drohenden Übermacht deutscher Schlittenfahrer. In Oberhof gelang es nur zwei Ausländern, in die ersten drei Ränge hineinzuschlittern. Die Rodel-DDR hat ihre wenigen Schwachstellen mit Weststars aufgefüllt. Auch für Hackls langjährigen Doppelpartner Stefan Ilsanker war kein Schlitten mehr frei. „Er ist das jüngste Opfer der Vereinigung, und das finde ich nicht zum Lachen“, trauert der Weltmeister.

Mit seinen neuen Kollegen aus Oberhof und Zinnwald kann Georg Hackl zwar gut Schlitten fahren, aber geschenkt will er von ihnen nichts haben. „Unsere Trainingskonzepte waren zuletzt auch sehr gut“, bekräftigt er, „und von meinem Material würde ich mich sowieso nie trennen. Unaustauschbar bleibt sowieso die psychische Stabilität (Hackl: „Das sind 90 Prozent der Leistung“). Und weil Klarheit im Kopf so wichtig ist, spielt beim Rodeln die Klarheit der Dopingproben eine untergeordnete Rolle. „Ich wüßte nicht einmal, wo mir die Dopingmittel helfen sollten“, rätselt der Schorsch.

„Beispielsweise beim Krafttraining für den Start“, verrät ihm der Biathlet Peter Angerer. Der Olympiasieger von 1984 hat einst selbst auf Dopingproben positiv reagiert und war dadurch negativ aufgefallen. Ein Schnupfenmittel wurde zum Verhängnis. „Davon weiß ich heute gar nichts mehr“, kramt der Vertreter einer Skifirma in seinem Gedächtnis. „Meine Leistung hat's sowieso nicht beeinflußt.“

Anders bei seinen Ex-DDR- Konkurrenten. Angerer sieht in den jüngsten Dopingenthüllungen nur bestätigt, was er längst wußte. „Wenn sich der Olympiasieger Frank-Peter Roetsch innerhalb von zwei Tagen um vier Minuten verbessert, kommt man schon ins Grübeln.“ Aber das sei kein spezifisches DDR-Problem und für ihn sind die Funktionäre die eigentlichen Verbrecher. „Erst treiben sie den Athleten mit allen Dopingmitteln zum Erfolg, dann stellen sie sich nichtwissend hin und beschimpfen die Beschmutzer des sauberen Sports.“

Die Dopingquerelen sorgen nach Peter Angerers Meinung für neue atmosphärische Störungen in der vereinten Biathlonmannschaft. „Die DDR-Trainer wollte keiner haben, weil deren strenges Regime nicht mehr gefragt ist.“ Hinzu kommen dubiose Vermutungen über die Stasi-Vergangenheit einzelner Trainer und Sportler. „Das Dynamo zum Stasi gehörte, wußte doch jeder.“ Ein Staffel-Weltmeister ging geständig zum neuen Bundestrainer und bat um die Erlaubnis zur Fortsetzung seiner Laufbahn.

Im Lager der DDR-Biathleten gab es schon immer Berührungsängste. „Die reden nicht miteinander“, wundert sich Peter Angerer schon lange nicht mehr, „im neuen Nationalteam gibt es drei Lager: das Zinnwalder, das Oberhofer und den Rest.“ Dieses Problem wird zum Teil gelöst, weil der Zinnwalder Dynamo-Club aufgelöst wird. Ob die erfolgreichen Biathleten bei bundesdeutschen Vereinen unterkommen, bezweifelt Angerer. „Sie müßten versuchen, Beamte zu werden.“ Wahrscheinlicher ist, daß sie nun zu den allerjüngsten Opfern der Vereinigung? bossi

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