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„Kompromiß geht auf Kosten Israels“

■ Israel zieht den Krieg einer friedlichen Lösung am Golf vor/ Regierung fürchtet verstärkten internationalen Druck auf Israel, die Palästinenserfrage zu lösen

Die überraschende Wendung Washingtons hat in Israel am Wochenende für Aufregung gesorgt. Wissenschaftsminister Juval Neeman kritisierte am Samstag Bushs Gesprächsangebot an Irak und erklärte, die Regierung Schamir sehe eine Kompromißlösung im Golfkonflikt mit großem Unbehagen entgegen. „Jeglicher Kompromiß mit Saddam Hussein geht auf Kosten Israels“, erklärte Neeman, der sich durch Bakers beabsichtigte Reise nach Bagdad an Chamberlains Flug nach München, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, erinnert fühlte (die Gespräche zwischen dem britischen Premier und Hitler 1938 bestärkten den Deutschen in seiner gewaltsamen Expansionspolitik).

Israel wittert einen Kuhhandel: Denn trotz der Beteuerungen des US- Vizepräsidenten Dan Quayle, die USA hätten bei ihrem Gesprächsangebot nicht die Palästinenserfrage, sondern lediglich Saddams Invasion in Kuwait im Auge gehabt, besteht in Jerusalem der Verdacht, daß eine Lösung der Palästinenserfrage — Iraks Bedingung für direkte Gespräche mit den USA über eine Beilegung des Golfkonflikts — dennoch irgendwie in die geheimen Verhandlungen aufgenommen wird.

Eine nicht-militärische Lösung wird von einem Großteil der israelischen Öffentlichkeit als große Gefahr für Israel angesehen. Zwar spricht man allseits mit Besorgnis von der militärischen Bedrohung, doch fürchtet man viel mehr noch die politischen Implikationen einer friedlichen Lösung, da jedwede Beilegung des Konflikts Israel international unter Druck setzen werde, an einer Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts aktiv mitzuarbeiten. Ein „intakter“ Irak werde, so die einhellige Meinung, die Forderungen der Palästinenser nach Selbständigkeit intensiver unterstützen als andere arabische Staaten.

Der Dialog der US-Administration mit dem Irak wird den für den 11.Dezember angesetzten Gesprächen zwischen Israels Premier Schamir und George Bush zusätzlichen Stoff liefern. Das Programm, so verlautet aus israelischen Regierungskreisen, müsse nun den veränderten Umständen angepaßt werden.

Nach Meinung des Beraters des Sicherheitsausschusses des israelischen Parlaments, Haim Javetz (früher beim israelischen Geheimdienst), hätte „der Krieg längst in Gang sein müssen“. 400.000 US- Soldaten seien schließlich „nicht an den Golf geschickt worden, um Frieden zu machen“. Der Krieg, so Javetz, sei nur aus verfehlten taktischen Überlegungen heraus immer und immer wieder verschoben worden. „Präsident Bush wird letztendlich Gewalt anwenden müssen: eine halbe Million Soldaten am Golf ohne eine Beseitigung des Diktators — das bedeutet Unglück für die USA und für die Völker im Nahen Osten.“ Je länger Bush zögere, so Javetz weiter, desto mehr gefährde er die schwächeren Partner in der Anti-Irak-Koalition. „Washington wird uns noch alle ins Verderben stürzen.“

Der Chef der israelischen Arbeiterpartei, Schimon Peres, hat indes vorgeschlagen, schon jetzt — noch während der Golfkrise — Gespräche zwischen Vertretern Israels und zehn Palästinensern aus den besetzten Gebieten einzuleiten. Denn, so Peres, nach Beilegung des Konflikts würde die Staatengemeinschaft Israel ohnehin auf eine Lösung drängen. Gleichzeitig aber lehnte Peres alle Verhandlungen mit der Palästinenserorganisation PLO kategorisch ab. Amos Wollin, Tel Aviv

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