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Zug gegen die Einheit vor dem Reichstag gestoppt

■ »Anachronistischer Zug« hätte den Wahlleiter stören können

Berlin. Die Aufführung am Ziel der 14tägigen Deutschlandreise des politischen Straßentheaters »Der Anachronistische Zug 1990« vor dem Berliner Reichstag am Wahlabend fiel aus. Der Zug, zu dem sich rund 150 Darsteller und mehr als 30 Fahrzeuge zusammengeschlossen hatten, wurde von der Polizei an den Absperrungen vor dem Reichstag gestoppt. Nach mehreren Stunden des Wartens gaben die Veranstalter bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht die Vorstellung auf der Rampe vor dem Reichstagsgebäude nicht gestattet habe. Nach der Rezitation des gleichnamigen Gedichts von Bertolt Brecht durch seine Tochter Hanne Hiob löste sich der Zug, der am Ende nur noch etwa 50 Anhänger hatte, am späten Sonntagabend schließlich auf.

Als Gründe für das Verbot der Aufführung wurden mögliche Störungen der Amtshandlungen des Bundeswahlleiters und des Berliner Wahlleiters in dem Parlamentsgebäude genannt. Die Veranstalter kritisierten die Entscheidung. Ihrer Ansicht nach hätte die Aufführung nicht zu Störungen geführt.

Der Zug hatte sich vor zwei Wochen von Bonn aus in Richtung Berlin auf Umwegen in Bewegung gesetzt. Auf seiner über 2.500 Kilometer langen Reise machte er an 16 Stationen halt. In Berlin begann der Zug kurz nach Schließung der Wahllokale mit einer Aufführung am Alexanderplatz.

Die Schauspielerin Katharina Thalbach las das Brecht-Gedicht, zu dem sich die geschmückten Wagen in Bewegung setzten. Die Anführer des satirischen Zugs, der die Deutschlandpolitik kritisieren wollte, trugen ein Schild mit dem Spruch »Wir waren das Volk«. Auf den Wagen waren unter anderem Parolen zu lesen wie: »Lieber dumm als rot«, »Deutsche aller Völker schlagt zu« und »Nur der Papst bleibt polnisch«.

Vom Alexanderplatz führte der Zug in Richtung Brandenburger Tor. Mehrere hundert Anhänger hatten sich ihm angeschlossen, darunter auch einige Dutzend Autonome, die laut riefen: »Wir haben Euch was mitgebracht. Haß, Haß, Haß!« Als die Polizei den Zug am Brandenburger Tor stoppte und auf einen anderen Weg umleiten wollte, kam es zu einem längeren Aufenthalt und den ersten Abwanderungen der Anhänger.

Der Zug, der eine halbe Million Mark gekostet hat, wurde nach Angaben der Veranstalter aus Spenden und Krediten verschiedener Organisationen finanziert. Als Initiatoren des Zugs zeichneten unter anderem die Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth, der Schriftsteller Bernt Engelmann, der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi und der ehemalige Spionagechef der DDR, Markus Wolf. Bereits 1980 hatte ein »Anachronistischer Zug« durch die Bundesrepublik stattgefunden, als Franz Josef Strauß für das Kanzleramt kandidiert hatte. dpa

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