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Unberührtes Mantelschleifen

■ »Kleider machen Frauen« — eine Ausstellung des Heimatmuseums Charlottenburg

Zwischen Nofretete und Schinkelgestein, inmitten hochwertiger Kulturbuden für durchreisende Schnellabnehmer, steht das Charlottenburger Heimatmuseum. Auf den Stufen lagern erschöpfte Schulklassen, hinter der Glastür ist es still. Dort lädt eine Sonderausstellung über Frauen in der Charlottenburger Modeindustrie nach 1945 mitSchaukästen, Textbändern und Inszenierungen aus Wellpappe ein zu einer Reise in private Biographien, in denen sich Berliner Geschichte abgelagert hat.

Ausgeschnittene Stücke von Frauenleben, Selbstaussagen über das Arbeiten in der Damenoberbekleidungsindustrie (DOB), hängen neben maßgeschneiderten Top-Modellkleidern. Das Entwerfen, Zuschneiden, Nähen, Stoffeinkaufen, Atelierführen usw. verlangte überdurchschnittliches Engagement. Noch mehr als üblich wurde in dieser Branche so auch der private Alltag den Gesetzen der Auftragslage unterworfen.

Mit dem Maßschneidern wurde auch am Frauenleben Maß genommen. Hier verband sich das Ideal vom kreativen Arbeiten und vom Traumvorführkleid mit den eingeschränkten Möglichkeiten weiblicher Berufsfindung. »Wenn man als Frau nähen kann, das ist doch immer schön, das kann man doch immer verwerten«, mußte sich eine Frau Küster noch 1964 vom Arbeitsamt sagen lassen. Aber da war die große Zeit der Modeateliers, der großen Berliner Konfektionshäuser, die die tragbare Mode nachhaltig bestimmten, schon lange vorbei.

Frau Küster ist eine von 46 Frauen und zwei Männern, die von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Heimatmuseums, Manuela Goos und Brigitte Heyde, nach ihren Erlebnissen in der Charlottenburger Modebranche befragt wurden. Die meisten der heute vierzig bis sechzig Jahre alten Frauen sind gelernte Schneiderinnen und haben zwischen 1945 und 1975 in einer Maßschneiderei oder einer Konfektionsschneiderei gearbeitet. Nicht das Phänomen der außergewöhnlichen, schnellen Expansion des Textilgewerbes nach 1945 wollen die Ausstellungsmacherinnen erklären, das »Berliner Wunder«, das in Unternehmer- und Landespresseamtsblättern so verklärt wird, daß es nur »mit höfischer Auftragsdichtung vergleichbar ist«. Ihnen geht es um eine Entmythologisierung des Aufstiegs »aus dem Nichts« und um die Frage, wer daran Anteil hatte.

So viel zu wundern gab es auch nicht am »Wunder«, war doch das Kriegsende nicht die Stunde Null der Damenoberbekleidung. Die »großen« Männer der Konfektionsindustrie machten sich in den einst marktführenden Betrieben breit, dort, wo jüdische Besitzer mittels Arisierung vertrieben worden waren. Dabei hatte ein Großteil der späteren Modekönige ausgerechnet bei den vertriebenen jüdischen Meistern sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Nachkriegspolitiker mit guten USA-Kontakten machten Zusatzgelder zum Marshallplan locker, um der zerstörten Textilindustrie wieder auf die Beine zu helfen und 60.000 Fachkräfte von der Straße wegzukriegen. Vom traditionellen Konfektionszentrum am nun im sowjetischen Sektor gelegenen Hausvogteiplatz zogen über fünfzig Firmen in das neuerbaute Renommiergebäude »Zentrum am Zoo«. Hier entstand mit den Modellfirmen Gehringer&Glupp, Staebe&Seger und Hans W. Claussen, die Mode mittlerer Qualitäts- und Preisstufe herstellten, das »größte DOB-Zentrum in Europa«.

Die Lebensgeschichten der befragten Frauen relativieren jedoch den Anteil der Modemänner: Abgesehen von den Chefpositionen blieb die Branche eine Frauendomäne, wobei in den 50er Jahren auch viele Frauen als selbständige »Zwischenmeisterinnen«, das heißt als Auftragsnehmerinnen der großen Modehäuser arbeiteten. Schuld an der Überquotierung war der geringe Stundenlohn (1949 lag er bei 1,48 DM, in der Druckindustrie bei 2,34 DM), die Tradition (»Schneiderin wirste, Näherin — machste!«) und nicht zuletzt eine Bereitschaft zum unbezahlten Arbeitseinsatz, die offenbar nur bei Frauen endlos abgefordert werden kann.

»Ich hab' einmal gearbeitet einen ganzen Tag und eine Nacht durch bis am nächsten Tag um halb zwölf, weil die Kollektion stehen mußte, nur mit Kaffee, Zigaretten und 'n Joghurt schnell nebenbei. Das war nichts Seltenes. Ich bin kaum eine Woche unter 60, 65 Stunden nach Hause gegangen. Bezahlt wurde das fast nie«, wird in der Ausstellung eine Entwurfsdirectrice zitiert, die zwischen 1954 und 1963 in einem Modeatelier am Kurfürstendamm für Einkauf, Entwurf, Zuschneiden und Leitung zuständig war. Schon mit 34 Jahren mußte sie für immer aussteigen — eine Doppelbelastung durch Heirat und Kind hätte sie nicht verkraftet: »Mußte Spritzen kriegen, um es bis zum Standesamt zu schaffen...«

Immer wieder bricht die Karriere mit der Heirat ab: Selbst Ursula Schewe, die als Meisterin im Schneidern eleganter Abendkleider galt, die der Pariser Haute Couture in nichts nachstanden und die in den Nachkriegsjahren mit ungewöhnlichen Materialien — Fallschirmseide — die Oberweiten russischer Offiziersfrauen beglückte, mußte ihre »Modewerkstätten« schließen, als sie nicht mehr persönlich über den Standard des Hauses wachte: Qualitätshandarbeit forderte ihren körperlichen Tribut. So existierte die Modeindustrie offenbar von einem geradezu klösterlichen Askese-Ideal weiblicher Lebensführung: In manchen Werkstätten durfte bei der Arbeit nicht gesprochen werden, Ledigsein war Vorbedingung für ein Mannequin-Dasein.

Selbst in diesen Glamourbereichen der Branche schnitt der Beruf ins Fleisch. »Die Chefs haben es überhaupt nicht gern gesehen, daß man ausging, nachts, in Bars — mit tollen Männern und so. Von einigen Mädchen hieß es: ‘Ach, die hat so dunkle Augenränder, die ist wohl übriggeblieben von gestern nacht.‚ Die haben sie maximal zwei Saisons beschäftigt«, erinnert sich Felicia Monjü Sun, Topmodel bei Gehringer&Glupp. Sie hatte die Aufgabe, in den »Hochzeiten« (im Doppelsinn zu verstehen) der Branche bei der Berliner »Durchreise« vor den Einkäufern die neuesten Kollektionen vorzuführen. Dazu gehörte neben der Fähigkeit, elegant einen Mantel auszuziehen und ihn hinter sich herzuschleifen, viel Stehvermögen und die idealen Maße — Abmagerungskuren waren die Regel. Ausgerechnet die Normerfüllung sollten der Zierlichen zum Verhängnis werden, als sich die Norm änderte. Die Freßwelle in den Fünfzigern ließ neue ökonomische Zwänge entstehen: »Wir müssen jetzt möglichst alle Konfektionsstücke verkaufen — aber in deine Größe kommt ja kaum einer rein...« Damit war die Karriere zu Ende.

Die Ausstellung versucht über den Traum vom eleganten Kleid, von einer aristokratischen Repräsentationswelt, die ebenfalls strengen Regeln unterlag, in die schattigeren Bereiche des Arbeitsalltags in der Modebranche vorzudringen. Mit den Musterzeichnungen, auf denen auch immer das kleine, angeheftete Stück Stoff dazu auffordert, das fertige Kleid im Kopf zusammenzusetzen, mit Schneiderbüsten, Stofflagen, Industrienähmaschinen und nicht zuletzt mit Echtendprodukten der Berliner Nachkriegs-Couture tut sich eine untergegangene, dem heutigen Modenutzer völlig unbegreifliche Welt auf. Nicht nur den Bildern sind im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit ihre Aura abhanden gekommen. Auch den Kleidern, die im Zeitalter der gewerkschaftlich organisierten, emanzipierten Näherinnen lieber in Billiglohnländern zusammengeheftet werden, haftet nichts mehr von einer »Création« an. Mit der Demokratisierung der Kleider werden die Unter- und Mittelschichten vom Einzelstück ausgeschlossen.

Zugleich ist die Macht des auratischen Kleides über das Frauenleben gebrochen. Denn die am Modell der idealen Frau maßgeschneiderten Abnäher des Kostüms simulierten wohl so exakt die Ausbeulungen des Frauenkörpers, daß es seiner realen Existenz gar nicht mehr bedurfte. Der war schon als Arbeitsenergie im Stoff mit eingewebt. Dorothee Hackenberg

Kleider machen Frauen. Eine Ausstellung über Frauen in der Charlottenburger Modeindustrie nach 1945. ist bis 13. Januar im Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69, Berlin 19 zu sehen: Di-Fr 10-17 Uhr, So 11-17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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