: Was tun!
■ betr.: "What is left?" (Thesen zur Identität der Linken) von Ralf Fücks, taz vom 10.11.90, Leserbriefe dazu in der taz vom 20.11.90
betr.: „What is left?“ (Thesen zur Identität der Linken) von Ralf Fücks, taz vom 10.11.90, Leserbriefe dazu in der taz vom 20.11.90
Das war fein beobachtet: der satte Krämer Ralf Fücks, grüner Bauchladenbesitzer, ausgestattet mit der Vorstellungskraft einer Made, unterwegs in Richtung Sozialdemokratisierung. Die Leserbriefeschreiber in der taz erweisen sich so nicht nur als famose kritische Kritiker „sans phrase“, sondern gar als altlinke Analytiker „avec phrases“ (um es einmal mit grammatikalischer Lockerheit zu formulieren). Wie tief muß die Verunsicherung dieser Verteidiger der sozialdemokratischen Utopie sein, wenn mit solch einem Aufwand an Projektionen und Rationalisierungen der Zweifel exorziert, der Härektiker abserviert werden soll?!
Wie hätten's denn die kritischen Kritiker gern? Am liebsten schwarz- weiß: hie die „zerstörerische Logik des Kapitals“, die „Bourgeoisie als Vertreter von Klasseninteressen“, dort der real erdachte, geläuterte, vollständig sozialisierende Sozialismus. Aber wie reimt sich das: die vielen Opfer des Kapitalismus — systembedingt, die vielen Opfer des Sozialismus — menschliche Irrungen? Wie altersschwach und wie verbogen muß das analyitische Instrumentarium der Linken sein, wenn es solch verzerrte Sichtweisen befördert!
Immerhin hat der Systemvergleich eines deutlich werden lassen: Der wesentliche Stützpfieler für das politische Programm „Sozialismus“, nämlich die behauptete ökonomische Überlegenheit der Planwirtschaft, ist weggebrochen. Daß die kritischen Kritiker das Eingeständnis dieses Scheiterns zugleich als Heiligsprechung des Kapitalismus zu interpretieren und zu fürchten scheinen, ist ebenso offenkundig wie unbegründet. Allerdings fordert die historische Entwicklung neue Denkansätze und ein neues analytisches Instrumentarium, mithin auch den Verzicht auf bequeme linke „Wahrheiten“. Leider werden diese Dogmen jedoch weiterhin von vielen Linken wie eine Monstranz vor sich her getragen. Sehr treffend enthüllt sich diese Unfähigkeit (oder Unwilligkeit), Neues zu denken, im Leserbrief von H.Seidel (taz vom 26.11.90 [betr.: „Der anachronistische Zug ist selbst anachronistisch“ von Renate Damus, taz vom 15.11.90. d.Red.]) in dem er jeden Versuch einer Positionsbestimmung jenseits von Kapitalismus und Kommunismus als „hirnrissig“ abqualifiziert.
Bei so viel Engagement der kritischen Kritiker für den Sozialismus — läßt sich da nicht dennoch die Errichtung der neuen Gesellschaftsordnung betreiben? Immerhin sind Aufbau und Betrieb kommunitärer Lebens- und Arbeitsgemeinschaften bei uns ja nicht verboten. Wird also durch solch praktischen Einsatz den Kapitalismus zu guter letzt doch noch Mores gelehrt? Der kritische Kritiker P.Hess (taz vom 20.11.90) weiß es besser: Nicht die Mitarbeit in „Kinderläden, soziokulturellen Einrichtungen, ökologischem Landbau und Fischmehlfabriken“ ist von Bedeutung, sondern „linke Politik“. Nun wissen wir also: Nicht auf die — mühselige — Veränderung der Welt kömmt es an, sondern auf ihre richtige Interpretation. Jürgen Bartsch, Rheinberg
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